Wịrt|schafts|po|li|tik 〈f.; -; unz.〉 alle Maßnahmen zur Lenkung der Wirtschaft
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Wịrt|schafts|po|li|tik, die:
Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen zur Gestaltung der Wirtschaft.
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Wirtschaftspolitik,
allgemein als Teilbereich der (praktischen) Politik Sammelbegriff für alle Maßnahmen des Staates zur Beeinflussung von Wirtschaftsordnung (Wirtschaftssystem), -ablauf und -struktur. In diesem Sinne wird unterschieden in Ordnungs-, Ablauf- (Prozess-) und Strukturpolitik sowie weiter differenziert in die unterschiedlichsten Politikbereiche, die sich zum Teil erheblich überschneiden, z. B. Wettbewerbs-, Verbraucher-, Konjunktur-, Stabilitäts-, Geld-, Fiskal-, Einkommens-, Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs-, Verteilungs-, Außenwirtschafts-, Währungs-, Entwicklungs-, Wachstums-, Regional-, Forschungs- und Technologiepolitik sowie sektorale Strukturpolitik (u. a. Agrar-, Verkehrs-, Industrie-, Gewerbe-, Mittelstandspolitik). Auch bestehen enge Beziehungen zu Sozial-, Bildungs- und Umweltpolitik. Wirtschaftspolitische Maßnahmen betreffen entweder die gesamte Volkswirtschaft, nur Teilbereiche oder die Weltwirtschaft.
In der Volkswirtschaftslehre steht der Begriff Wirtschaftspolitik verkürzt für eine Teildisziplin (theoretische Wirtschaftspolitik, Volkswirtschaftspolitik, Theorie der Wirtschaftspolitik), die sich einerseits mit der Aufbereitung und Umsetzung wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse für die Zwecke der praktischen Wirtschaftspolitik beschäftigt und die andererseits den wirtschaftspolitischen Prozess selbst einer ökonomischen Analyse unterzieht. Eine Grobgliederung der theoretischen Wirtschaftspolitik lässt sich durch die Unterscheidung nach Bereichen und Aufgaben vornehmen. Im Hinblick auf die Bereiche folgt die theoretische Wirtschaftspolitik der Einteilung in Ordnungs-, Prozess- und Strukturpolitik beziehungsweise der feineren Differenzierung in Wettbewerbs-, Verbraucher-, Konjunkturpolitik usw. Bezüglich der analytischen Aufgaben wird im Allgemeinen in Träger-, Ziel-, Lage-, Instrumenten- und Ordnungsanalyse untergliedert. Es ist allerdings zu beachten, dass eine solche Theorie der Wirtschaftspolitik - in stärkerem Maße als die Wirtschaftstheorie - nicht frei von Werturteilen ist, die in die Analyse einfließen und damit auch die Art der wissenschaftlichen Politikberatung bestimmen.
Bei der Trägeranalyse ist eine Vielzahl von Entscheidungs- und Einflussträgern bestimmend. Als Entscheidungsträger werden Personen und Institutionen angesehen, die über formale Entscheidungsbefugnis, faktische Entscheidungsgewalt und Sanktionsmöglichkeiten verfügen und für die eine gewisse Dauerhaftigkeit der Befugnisse gilt. Liegt zwar die Möglichkeit vor, die Wirtschaftspolitik zu beeinflussen, fehlt aber v. a. die formale Entscheidungsbefugnis, so spricht man von Einflussträgern. Zu den wichtigen Entscheidungsträgern der Wirtschaftspolitik zählen die Parlamente, Regierungen und Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden. Hinzu kommen supranationale Organisationen (z. B. Europäische Kommission, Weltbank, Internationaler Währungsfonds), die mit ihren Entscheidungen die nationale wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen können, die Zentralbank (mit Beginn der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die Europäische Zentralbank) sowie sonstige Behörden und Einrichtungen wie z. B. das Bundeskartellamt und die Bundesanstalt für Arbeit. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind in Bezug auf die Tarifpolitik Entscheidungsträger, in Bezug auf andere Bereiche der Wirtschaftspolitik aber meist nur Einflussträger. Andere wichtige Einflussträger sind z. B. der Verband der Deutschen Industrie, die Automobilclubs, aber auch Verbraucher- und Umweltschutzverbände. Der wirtschaftspolitische Entscheidungsprozess unterliegt somit einer Vielfalt von Einflüssen. Er stellt insoweit einen Abstimmungs- und Kompromissfindungsprozess dar, zumal nicht selten verschiedene Entscheidungsträger legitimiert sind, für denselben Politikbereich gesamtwirtschaftlich relevante Entscheidungen zu treffen.
Zu den wichtigsten Aufgaben der Zielanalyse gehören die Aufstellung eines systematischen Katalogs von Einzelzielen, die Klärung der Beziehungen zwischen diesen Zielen sowie die Konkretisierung von Einzelzielen, soweit möglich in quantitativer Form. Dabei geht es nicht darum, kurzfristige Zielvorgaben (Wachstumsrate, Inflationsrate, Arbeitslosenquote) für die aktuelle praktische Wirtschaftspolitik festzulegen (z. B. im Sinne von Zielprojektionen im Jahreswirtschaftsbericht). Der Versuch, ein Zielsystem aus einer gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion abzuleiten, muss als gescheitert angesehen werden. Heute wird das Grundzielsystem für die Wirtschaftspolitik im Sinne einer Zielhierarchie üblicherweise aus übergeordneten, gesellschaftlich allgemein anerkannten Grundwerten (Wohlstand, Sicherheit, Gerechtigkeit, Freiheit) abgeleitet. Dabei muss nicht nur geprüft werden, welche Ziele End- und welche Zwischenzielcharakter aufweisen und welche Ziele kurz-, mittel- oder nur langfristig erreichbar sind beziehungsweise erreicht werden sollen. Vielmehr stellt sich auch die Frage nach den Beziehungen zwischen Zielen derselben Hierarchiestufe. Zielharmonie liegt vor, wenn mit der Förderung eines Ziels zugleich auch ein anderes Ziel begünstigt wird (z. B. Wachstum und Beschäftigung), ein Zielkonflikt, wenn ein Ziel nur zulasten eines anderen Zieles erreicht werden kann (z. B. Preisniveaustabilität und Beschäftigung im Sinne der Phillips-Kurve). Wenn die Förderung eines Zieles andere Ziele weder positiv noch negativ tangiert, so ist Zielneutralität gegeben. Der häufigste Fall von Zielbeziehung dürfte in der Realität der Zielkonflikt sein, was die praktische Wirtschaftspolitik ungemein erschwert. Die Konkretisierung von Zielen in quantitativer Form (z. B. Erreichung einer Inflationsrate von 1-2 %, gemessen am Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte) bezeichnet man als Zieloperationalisierung. Sie ist v. a. für die Erfolgskontrolle der Wirtschaftspolitik notwendig. Man muss jedoch berücksichtigen, dass sich zahlreiche Ziele der Wirtschaftspolitik nicht quantitativ, sondern nur in Form von qualitativen Aussagen fassen lassen (z. B. Erhöhung des Wohlstands, gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, Mitbestimmung). Außerdem gilt insbesondere für die Zielableitung, dass sie nicht werturteilsfrei erfolgen kann, da die an der Spitze der Zielhierarchie angesiedelten Grundwerte einen hohen subjektiven Interpretationsspielraum aufweisen.
Bei der Lageanalyse geht es v. a. darum, den Istzustand in den einzelnen Bereichen der Wirtschaftspolitik zu beschreiben (Standortbestimmung) und gegebenenfalls an der Entwicklung des zur Lagebeschreibung notwendigen Instrumentariums mitzuwirken. Ferner gehört zur Lageanalyse auch die Feststellung der Ursachen, die zu der vorliegenden Istsituation geführt haben.
Mithilfe der Instrumentenanalyse werden u. a. die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz der Instrumente der Wirtschaftspolitik untersucht. Wichtige Kriterien für die Auswahl und den Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente sind: 1) Effektivität im Sinne eines hohen Beitrags zur Zielerreichung, 2) geringe zeitliche Wirkungsverzögerungen (Lag), 3) Problembezogenheit, d. h. ursachenadäquater Instrumenteneinsatz (so kann z. B. friktionelle Arbeitslosigkeit nicht erfolgreich durch expansive Fiskalpolitik bekämpft werden), 4) Effizienz im Sinne minimaler gesellschaftlicher Kosten, 5) System- beziehungsweise Gesetzeskonformität, d. h. Vereinbarkeit des Instruments mit der marktwirtschaftlichen Ordnung und den geltenden Gesetzen, 6) politische Durchsetzbarkeit, d. h. Akzeptanz beziehungsweise Mehrheitsfähigkeit des entsprechenden Instruments und seines Einsatzes bei den gesellschaftlichen Gruppen, 7) Einordnung in den internationalen Rahmen, d. h. Konformität mit internationalen Verträgen und Akzeptanz bei den Handelspartnern.
Bei der Ordnungsanalyse geht es nicht darum, ob und wie der Staat in einer aktuellen Situation in den Wirtschaftsprozess eingreifen soll; vielmehr stellt sich die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis von »Markt« und »Staat« im Rahmen eines Wirtschaftssystems. Diese Frage hat zwei Dimensionen. Eine Dimension ist bei der Wirkungsanalyse angesiedelt: Je mehr man unterstellen kann, dass der Markt eine bedarfsorientierte Güterbereitstellung garantiert, dass er konjunkturelle Ungleichgewichte automatisch beseitigt und eine leistungsgerechte Einkommensverteilung sichert, desto mehr spricht dafür, den Wirtschaftsprozess dem Markt anzuvertrauen. Je weniger man dies unterstellen kann, desto mehr erhält der Staat Allokations-, Stabilisierungs- und Distributionsfunktionen - und damit das Recht, den Wirtschaftsablauf durch Maßnahmen der Finanzpolitik zu steuern. Die zweite Dimension geht über die Wirkungsanalyse hinaus: Hat die Marktwirtschaft eine Eigenwertigkeit, die aus dem liberalen Rechtsstaatsverständnis unmittelbar abgeleitet werden kann? Dann wären staatliche Interventionen - unbeschadet der Wirkungsanalyse - per se zu reduzieren (z. B. durch Deregulierung) und der öffentlichen Sektor zu beschränken (z. B. durch Privatisierung). Interpretierte man Marktwirtschaft ohne eine solche Eigenwertigkeit, dann wären auch gemischte Wirtschaftsordnungen vorstellbar, in denen neben dem Markt auch Staat und Verbände Funktionen haben. Beide Dimensionen der Ordnungsanalyse werden kontrovers diskutiert, z. B. zwischen Vertretern des Neoliberalismus (Neoklassik, Monetarismus) einerseits und des Keynesianismus und Postkeynesianismus andererseits. Gleichwohl bedarf es einer Positionsklärung, um eindeutige Grundlagen für eine Konzeption der Wirtschaftspolitik zu erarbeiten.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
angebotsorientierte Wirtschaftspolitik · Arbeitslosigkeit · Beschäftigung · Einkommensverteilung · Finanzpolitik · Fiskalpolitik · Geld · Inflation · Keynesianismus · Konjunktur · Monetarismus · Regionalpolitik · Stabilitätspolitik · Strukturpolitik · Wachstum · Wettbewerb · Wirtschaftssystem
H. Giersch: Allg. W. (1961, Nachdr. 1991);
W. im Systemvergleich, hg. v. D. Cassel (1984);
H. Luckenbach: Theoret. Grundlagen der W. (1986);
B.-T. Ramb: Grundlagen der W. (1987);
E. Tuchtfeldt: Bausteine zur Theorie der W. (Bern 21987);
W. zw. ökonom. u. polit. Rationalität, hg. v. M. E. Streit (1988);
Hb. der österr. W., hg. v. H. Abele u. a. (Wien 31989);
W. Eucken: Grundsätze der W. (61990);
J. Kromphardt: Konzeptionen u. Analysen des Kapitalismus. Von seiner Entstehung bis zur Gegenwart (31991);
M. E. Streit: Theorie der W. (41991);
W. Glastetter: Allg. W. (1992);
R. Klump: Einf. in die W. (21992);
A. Woll: W. (21992);
Allg. W., hg. v. O. Issing (31993);
U. Teichmann: W. (41993);
G. Poser: W. (51994);
H. Adam: W. u. Reg.-System der Bundesrep. Dtl. (31995);
B. Molitor: W. (51995);
H.-R. Peters: W. (21995);
Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie u. W., Beitrr. v. D. Bender u. a., 2 Bde. (61995);
P. J. J. Welfens: Grundlagen der W. (1995);
K. Witte: Ordnungspolit. Perspektiven der EU (1995);
H.-H. Bleuel: W. der Systemtransformation (1996);
H.-P. Spahn: Makroökonomie. Theoret. Grundlagen u. stabilitätspolit. Strategien (1996);
Hb. Europ. W., hg. v. P. Klemmer (1998);
J. Altmann: W. (72000).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Wirtschaftspolitik: Wirtschaftspolitische Beratung
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Wịrt|schafts|po|li|tik, die: Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen zur Gestaltung der Wirtschaft: »Wir vertreten unsere Grundsätze moderner W. offensiv nach innen und außen« (Zeit 22. 7. 99, 17).
Universal-Lexikon. 2012.