Sophokles,
griechisch Sophokles, griechischer Tragiker, * Athen 497/496 v. Chr., ✝ ebenda 406/405 v. Chr.; stammte aus vornehmer Familie, genoss in Athen großes Ansehen und bekleidete hohe politische und kulturelle Ämter (443/442 Schatzmeister des Attischen Seebundes, 441-439 mit Perikles Stratege, ab 413/411 wahrscheinlich Mitglied der Oligarchenregierung). Sophokles führte den Kult des Asklepios in Athen ein und wurde deshalb nach seinem Tod als Heros verehrt; sein Leben wurde von der Legende verklärt.
Schon mit seiner ersten Tetralogie errang Sophokles 468 v. Chr. den ersten Preis im tragischen Agon; von seinen Dramen sind 123 dem Titel nach bekannt, jedoch nur sieben erhalten: »Aias«, »Trachinierinnen«, »Antigone« (alle 442), »König Ödipus« (vor 425), »Elektra« (wahrscheinlich zwischen »König Ödipus« und »Philoktet«), »Philoktet« (409), »Ödipus auf Kolonos« (401 vom Enkel des Sophokles aufgeführt), von den Satyrspielen sind die »Ichneutai« (»Spürhunde«) durch einen Papyrusfund von 1911 am besten bekannt. Als Tragödiendichter steht Sophokles zwischen Aischylos und Euripides; gegenüber seinen Vorläufern erhöhte er die Zahl der Choreuten von 12 auf 15, ließ durch Einführung des dritten Schauspielers die dramatische Handlung stärker hervortreten und ermöglichte die Darstellung komplexen Geschehens. Seine kunstvollen Chorlieder sind in diesen dramatischen Aufbau wohl überlegt eingefügt, gegenüber Aischylos im Umfang reduziert und in der Aussage verdichtet. Die Konzeption der Tragödientrilogie ist fast ganz zugunsten in sich geschlossener selbstständiger Tragödien aufgegeben. Die Einzelpersönlichkeit tritt stärker hervor, wobei dem starken Individuum eben dieses Heraustreten aus der Gemeinschaft der Polis zum Verhängnis wird; seine innere Vollendung zeigt sich - im Rahmen einer mit unerbittlicher Konsequenz verlaufenden Handlung - in der Annahme eines Schicksals, das nicht - wie bei Aischylos - Strafe für begangene Schuld, sondern Zeichen der überragenden und furchtbaren Macht der Götter ist; die Frage nach der göttlichen Gerechtigkeit tritt demgegenüber zurück. Als ein Kunstmittel verwendet Sophokles die tragische Ironie, indem er den Protagonisten Worte aussprechen lässt, die sich im entgegengesetzten Sinn tragisch erfüllen. Mit der Aufklärung der Sophistik hatte Sophokles sich bereits auseinander zu setzen, wurde aber im Wesen nicht von ihr berührt; seine tragische Weltsicht beeinflusste das Geschichtswerk des mit ihm befreundeten Herodot. Für die spätere Entwicklung des römischen und europäischen Dramas hatten die stärker psychologisch motivierten Dramen des Euripides größere Bedeutung als die des Sophokles; die Wirkung seiner Werke blieb über die Vermittlung Senecas des Jüngeren bis hin zu P. Corneille (»Œdipe«, 1659) und J. Racine im Wesentlichen auf das Stoffliche beschränkt. Mit der Wiederentdeckung der griechischen Antike in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde auch Sophokles neu bewertet, wie G. E. Lessings Trauerspiel »Philotas« (1759) und die Übersetzungen F. Hölderlins zeigen. Im 20. Jahrhundert regte v. a. die »Antigone« immer wieder zu Auseinandersetzungen und Neugestaltungen an (u. a. durch W. Hasenclever, J. Cocteau und B. Brecht).
Ausgaben: Sophokles, bearbeitet von F. W. Schneidewin und A. Nauck, 8 Bände (2-121909-70); The plays and fragments, herausgegeben von R. C. Jebb, 7 Bände (Neuausgabe 1962-67); Tragicorum Graecorum fragmenta, Band 4: Sophocles, herausgegeben von S. Radt und R. Kannicht (1977); Sophoclis tragoediae, herausgegeben von R. D. Dawe, 2 Bände (21984-85).
Werke in einem Band, übersetzt von R. Schottlaender (31982); Die Trauerspiele, übersetzt von F. Hölderlin (Neuausgabe 1986); Sämtliche Werke, bearbeitet von L. Turkheim (1989); Dramen, herausgegeben von W. Willige (31995, griechisch und deutsch).
C. M. Bowra: Sophoclean tragedy (Neuausg. Oxford 1967);
S., hg. v. H. Diller (1967);
K. Reinhardt: S. (41976);
V. Hösle: Die Vollendung der Tragödie im Spätwerk des S. (1984);
W. Nicolai: Zu S.' Wirkungsabsichten (1992);
H.-L. Günther: Exercitationes Sophocleae (Göttingen 1996).
Universal-Lexikon. 2012.