Vorwegnahme
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An|ti|zi|pa|ti|on 〈f. 20〉 Vorwegnahme [<lat. anticipatio „ursprüngliche Vorwegstellung, Vorbegriff“]
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An|ti|zi|pa|ti|on, die; -, -en [lat. anticipatio]:
(bildungsspr.) Vorwegnahme, Vorgriff:
die A. eines Gedankens;
die A. von Tönen eines folgenden Akkords.
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Antizipation
[zu lateinisch anticipare »vorwegnehmen«] die, -/-en,
1) bildungssprachlich: (gedankliche) Vorwegnahme eines zukünftigen Geschehens.
2) Finanzwirtschaft: Vorgriff des Staates auf spätere ordentliche (besonders Steuer-)Einnahmen.
3) Handelsverkehr: Zahlung vor Fälligkeitstermin; hat zum Teil Zinsvergütung oder Diskont zur Folge.
4) Medizin: die Erscheinung, dass sich der statistische Gipfel in der Häufigkeitskurve einer Krankheit (z. B. Herzinfarkt) oder etwa des Klimakteriums vorverlagert. Der Aussagewert der Antizipation wird bezweifelt, da vom statistischen Ergebnis nicht unbedingt auf eine tatsächliche Entwicklungstendenz zu schließen ist.
5) Musik: melodisch die Vorwegnahme einer Melodienote (*), häufig der letzten Note einer Kadenz; harmonisch die meist dissonierende Vorwegnahme eines oder mehrerer Töne (*), die erst der folgenden Harmonie angehören; rhythmisch (hier auch pathetische Antizipation) das verfrühte Eintreten einer betonten Silbe (*) wie in Beethovens Sinfonie Nummer 9 d-Moll Opus 125, 1822-24.
6) Philosophie: Nach I. Kant kann alle Erkenntnis, wodurch man dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation heißen. Insbesondere gibt es unter den Grundsätzen des reinen Verstandes die Antizipation der Wahrnehmung. Im Neukantianismus hat H. Cohen die Antizipation, die Ausrichtung auf die Zukunft, als das Charakteristikum der Zeit herausgestellt.
7) Psychologie: die Vorwegnahme eines Vorgangs oder Zieles in der Fantasie, wonach sich das Verhalten ausrichtet. In einem Bedürfnis wird dessen Befriedigung »antizipiert«, der empfundene Mangel führt unter Vorwegnahme der erstrebten Abhilfe zur Wahl der Mittel, um das Ziel zu erreichen. Gelerntes Verhalten wird durch die Antizipation seiner Folgen gesteuert (Verstärkung, Motivation). Auch die Denkpsychologie verwendet den Begriff: Denkabläufe entstehen durch Antizipation, sie werden von Zielvorstellungen determiniert. Bestimmte Formen des Versprechens machen die Antizipation eines folgenden Teils der Aussage deutlich.
8) Rhetorik: 1) Prokatalepsis. 2) Vorwegnahme eines Ereignisses oder Vorgangs in Form eines attributiven Adjektivs oder Partizips, z. B. »er warf die Fackel in das brennende Reisig« (d. h. so, dass es brannte).
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An|ti|zi|pa|ti|on, die; -, -en [lat. anticipatio] 1. Vorwegnahme, Vorgriff: die A. eines Gedankens; Er versteht sich auf Ahnungen, Andeutungen und -en (K. Mann, Wendepunkt 422); die A. von Tönen eines folgenden Akkords. ∙ 2. Vorschuss, Vorauszahlung: Der Jude wird mich nicht verschonen, der schafft -en, die speisen Jahr um Jahr voraus (Goethe, Faust II, 4 870 ff.).
Universal-Lexikon. 2012.