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Weltliteratur
Wẹlt|li|te|ra|tur 〈f. 20; unz.〉
1. Gesamtheit der Literaturen aller Länder
2. die bedeutendsten u. in vielen Sprachen verbreiteten Werke aller Länder u. Zeiten

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Wẹlt|li|te|ra|tur, die <o. Pl.>:
Gesamtheit der hervorragendsten Werke der Nationalliteraturen aller Völker u. Zeiten:
Werke der W.;
zur W. gehören, zählen.

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Weltliteratur,
 
im Allgemeinen in drei verschiedenen, einander überlagernden Bedeutungen verwendeter Begriff für das vor zwei Jahrhunderten nachhaltig ins europäische Bewusstsein gerückte Phänomen, dass eine Literatur nicht das ausschließliche Besitztum der jeweiligen Nation sein kann, sondern zugleich auch das anderer Völker beziehungsweise der ganzen Menschheit ist.
 
In der ersten, allgemeinsten Bedeutung bezeichnet Weltliteratur die Summe der Literaturen aller Völker und Zeiten, als welche sie auch zuerst ihre (fragmentarische) Darstellung gefunden hat.
 
Der zweite, geläufigste Wortsinn erfasst die Weltbedeutung: einen nach den jeweiligen ästhetischen Normen etablierten, also auch in Grenzen geschichtlich variablen Kanon herausragender Werke, denen Überzeitlichkeit und Allgemeingültigkeit zugesprochen wird, wobei die so genannten Klassiker eine tragende Rolle erhalten (z. B. Sophokles, Dante, Cervantes, Shakespeare, Goethe, Puschkin).
 
Die dritte Bedeutung stellt die problemreichste dar; sie benennt die in der historischen Realität hochkomplizierte und darum theoretisch auch schwer zu fassende kommunikative Natur allen Schrifttums, seine Funktionsweisen und universalen Zusammenhänge, was im Zeitalter einer ständig wachsenden historischen Forschung und einer überbordenden aktuellen Information immer mehr an Gewicht gewinnt.
 
Jede Ebene des Begriffsinhalts berührt Fragen literaturwissenschaftlicher Forschung. So befördert die erstgenannte Bedeutung etwa das Bedürfnis, adäquate Termini zu bilden, die es ermöglichen, den gegebenen nationalen, v. a. aber den wissenschaftsgeschichtlich tradierten europazentristischen Horizont zu überschreiten und den Literaturen der anderen Kontinente mit ihren zum Teil grundlegend anderen Voraussetzungen, Funktionen und Formen gerecht zu werden. Die zweite verpflichtet, schulpädagogisch und bildungspolitisch von großer Relevanz, auf eine notwendig wertende Auswahl rezeptionswürdiger Werke, die auf literaturspezifischer Weise den konfliktreichen Ablauf ganzer Epochen reflektieren und somit geschichtliches wie ästhetisches Bewusstsein in universeller Dimension vermitteln können. Die dritte Bedeutung führt direkt zu der seit einem Jahrhundert diskutierten Problematik der vergleichenden Literaturwissenschaft, deren Gegenstand der lebendige Austausch zwischen den einzelnen Literaturen, Autoren und Werken ist und die die literarischen Prozesse in ihrer Internationalität zu erfassen sucht.
 
Letzteres bildete den Kern jener Überlegungen, die, dokumentiert mit etwa 20 Textbelegen, Goethe zwischen 1827 und 1830/31 angesichts einer neuen historischen Qualität internationaler Kommunikation anstellte, aus denen der konzentrierende Begriff Weltliteratur in seiner heutigen Gestalt hervorging und zum internationalen (auch sprachlich genau übersetzten) Gemeingut wurde. Einmal mehr war Goethe damit die begriffliche Vollendung vorausgegangener geistiger Leistungen geglückt. Die Aufklärung, v. a. die französische durch die Enzyklopädisten und Voltaire, hatte insbesondere die Literatur einer universalgeschichtlicher Betrachtung unterworfen sowie - von Fontenelle am Ende des 17. bis Condorcet am Ende des 18. Jahrhunderts. - eine Theorie des geschichtlichen Fortschritts entwickelt. Der Begriff Nationalliteratur war bereits seit den 1770er-Jahren von C. M. Wieland, J. G. Herder, Goethe u. a. heftig diskutiert worden. Jetzt war die Zeit reif, die Beziehung der beiden einander scheinbar ausschließenden Konzeptionen in den Blick zu nehmen, auf die zuvor schon Wieland (um 1790) sowie A. W. und F. Schlegel (zwischen 1801 und 1808) hingedeutet hatten. Indem jedoch »Nationalliteratur« ohne deutsche Nation sich unter den neuen Bedingungen als höchst problematisch erwies, erwuchs die Vorstellung von Weltliteratur wie eine Kontrastbildung: Goethe schien, dass »die Poesie ein Gemeingut der Menschen ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in hunderten und aber hunderten von Menschen hervortritt... National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken diese Epoche zu beschleunigen« (zu Eckermann, 31. 1. 1827). Er sah in der Ausbreitung einer solchen Weltliteratur, die das »allgemein Menschliche« zum Gegenstand habe, eine unausbleibliche Folge der sich »immer vermehrenden Schnelligkeit des Verkehrs«. Die von ihm gleichfalls wahrgenommene Kehrseite dieses Prozesses war indessen die sich anbahnende Steuerung der Literatur durch den (internationalen) Markt und damit der drohende Verlust der ihr zugedachten hohen humanen Sendung und das Abgleiten ins Triviale. So geriet die goethesche Konzeption von Weltliteratur - im 19. Jahrhundert noch eine Barriere gegen nationalistische Tendenzen in Literaturkritik und Literaturwissenschaft - schon mit dem Dekadenzbewusstsein der Moderne in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine Krise. Die mit der Herausbildung der Industriegesellschaft einhergehende Auflösung traditioneller Kulturvorstellungen (Massenkultur) ließ auch den Begriff Weltliteratur als Bewertungsmaßstab v. a. zeitgenössischer Literatur immer schwerer fassbar werden.
 
Literatur:
 
F. Strich: W. u. vergleichende Literaturgesch., in: Philosophie der Literaturwiss., hg. v. E. Ermatinger (1930);
 
W. Festgabe für Fritz Strich zum 70. Geburtstag, hg. v. W. Muschg u. E. Staiger (Bern 1952);
 H. Bender u. U. Melzer: Die Gesch. des Begriffs W., in: Saeculum 9 (1958);
 H. J. Schrimpf: Goethes Begriff der W. (1968);
 V. Lange: Nationalliteratur u. W., in: Jb. der Goethe-Gesellschaft, NF Bd. 33 (1971);
 P. Weber: Die Herausbildung des Begriffs W., in: Literatur im Epochenumbruch, hg. v. G. Klotz u. a. (Berlin-Ost 1977);
 Z. Konstantinović: W. Strukturen, Modelle, Systeme (1979);
 C. Träger: Weltgesch. - Nationalliteratur, Nationalgesch. - W., in: Actes du VIIième Congrès de l'Association Internationale de Littérature Comparée (1979);
 R. Étiemble: Quelques essais de littérature universelle (Paris 1982);
 R. Étiemble: Nouveaux essais de littérature universelle (ebd. 1992);
 
W. heute. Konzepte u. Perspektiven, hg. v. M. Schmeling (1995).

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Wẹlt|li|te|ra|tur, die <o. Pl.>: Gesamtheit der hervorragendsten Werke der Nationalliteraturen aller Völker u. Zeiten: Werke der W.; zur W. gehören, zählen.

Universal-Lexikon. 2012.