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Sankt Petersburg
Sankt-Pieterburch (veraltet); St. Petersburg; Sankt-Peterburg; Paris des Ostens (umgangssprachlich); Leningrad (veraltet); Venedig des Nordens (umgangssprachlich); Petrograd (veraltet)

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Sankt Pe|ters|burg:
russische Stadt im Newadelta (1924–1991 Leningrad, 1914–1924 Petrograd).

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Sankt Petersburg,
 
russisch Sankt-Peterbụrg, Kurzform Petersburg, 1914-24 Petrogrạd, 1924-91 Leningrad [russisch lɪnin'grat], zweitgrößte Stadt Russlands, Verwaltungszentrum des Gebiets Leningrad, nach Moskau wichtigstes russisches Wissenschafts-, Kultur- und Wirtschaftszentrum, 4,69 Mio. Einwohner. Das 3-30 m über dem Meeresspiegel gelegene Stadtgebiet, in 17 Bezirke gegliedert, umfasst 600 km2 (davon 58 km2 Wasserflächen) und liegt im östlichen Winkel des Finnischen Meerbusens (Ostsee) beiderseits der hier 340-650 m breiten Newa sowie auf 42 Inseln ihres verzweigten Mündungsdeltas. 40 Flussarme und etwa 20 künstliche Kanäle, über die Hunderte von Brücken führen, durchziehen das Stadtgebiet, das zu allen Zeiten umfangreicher Wasserschutzbauten bedurfte. Der Bau eines 25 km langen Hochwasserschutz-Damms mit sechs Aquädukten und zwei Schiffsschleusen (1980 begonnen), der von Lomonossow an der Südküste zur Insel Kotlin (Kronstadt 2) und von dort nach Gorskaja an der Nordküste des Finnischen Meerbusens führt, ist nach 1990 fast zum Erliegen gekommen. Zu Groß-Sankt Petersburg zählen die acht Satellitenstädte Kolpino, Kronstadt, Lomonossow, Petrodworez, Puschkin, Pawlowsk, Selenogorsk und Sestrorezk. Kern der Stadt ist die Peter-und-Pauls-Festung. Das Zentrum liegt links der Newa, aufgelockert durch breite Straßen (Prospekte), große Plätze und Grünanlagen; nach Westen schließen sich auf der Wassilij-Insel das Wissenschaftsviertel, weiterhin Industrieanlagen, nach Südwesten Molen und Hafenviertel, nach Süden und Südosten Arbeitervorstädte an. Auf der rechten Newaseite befindet sich heute das Hauptindustriegebiet.
 
Sankt Petersburg ist Sitz eines russisch-orthodoxen Metropoliten. Zu den Einrichtungen von Wissenschaft, Bildung und Kultur (Kulturhauptstadt Russlands) gehören etwa 35 Institute der Russischen Akademie der Wissenschaften, darunter das astronomische Observatorium in Pulkowo, die Russische Akademie der Künste (beide Akademien haben ihren Ursprung in Sankt Petersburg, heute aber ihren Hauptsitz in Moskau), Forstakademie, Geistliche Akademie, Universität (gegründet 1819), TU, Pädagogische und Jüdische Universität sowie rd. 40 weitere Hochschulen sowie zahlreiche andere Forschungsinstitute, über 20 höhere Lehreinrichtungen für das Militärwesen, etwa 2 000 Bibliotheken (besonders Russische Nationalbibliothek [seit 1998] und Bibliothek der Akademie der Wissenschaften [älteste Bibliothek des Landes]); rd. 50 Museen (besonders Eremitage, Russisches Museum, Ethnographisches Museum der Völker Russlands) und Galerien; Goethe-Institut, etwa 20 Theater, Großer Konzertsaal, Philharmonien, Planetarium, zoologischer Garten u. a. Einrichtungen.
 
Sankt Petersburg war schon vor dem Ersten Weltkrieg stark industrialisiert. Neben dem Bau von Schiffen (Admiralitäts-, Baltische und Nord-Werft), Maschinen, Traktoren, Turbinen, Generatoren, Kränen, Baggern, Autobussen, Waggons sind von Bedeutung die elektrotechnisch-elektronische, chemische und petrochemische, optische sowie vielseitige Leicht- und Nahrungsmittelindustrie und die über 100 Druckereien. Sankt Petersburg ist Hauptzentrum des militärisch-industriellen Komplexes Russlands. Ein Kernkraftwerk (vier Blöcke mit einer Nettoleistung von je 925 MW) steht 50 km westlich von Sankt Petersburg bei Sosnowyj Bor. Sankt Petersburg ist Eisenbahnknotenpunkt (hier enden zwölf Eisenbahnlinien) und wichtigster russischer Ostseehafen (seit 1996 neuer Containerhafen), außerdem ein bedeutender Binnenschifffahrtshafen am Ende des Wolga-Ostsee-Wasserwegs. Der Güterumschlag aller Häfen erreichte 1995 10 Mio. t. Fährverbindungen bestehen mit Kiel, Oxelösund südlich von Stockholm und Sassnitz. Der internationale Flughafen Pulkowo liegt im Süden der Stadt. Seit 1955 hat Sankt Petersburg eine Untergrundbahn (gegenwärtig etwa100 km langes Streckennetz mit 58 Stationen).
 
Stadtbild:
 
Das historische Zentrum von Sankt Petersburg wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Die geschlossene Bauweise, breite, gerade Straßen (»Prospekt«), weite Plätze, Paläste, Kirchen und öffentliche Gebäude, großzügige Parks und Kais (»Nabereschnaja«) sowie die freie Aussicht zum Meer prägen das vorwiegend barock-klassizistische Stadtbild, das als das schönste Russlands gilt. Die Grundkonzeption wurde von Peter I., dem Großen, geschaffen. Die 17 Stadtbezirke werden traditionell zu »Seiten« zusammengefasst: links der Newa die Große (Moskauer) Seite, rechts die Wyborger, im Newadelta die Petrograder Seite und die Wassilij-Insel. Als Kernpunkt der Stadt ließ Peter I., der Große, Festung und Werft errichten: Die auf einer Insel vor der Petrograder Seite liegende Peter-und-Pauls-Festung umschließt Staatsgefängnis, Münze, Arsenal (heute Artilleriemuseum) und die Peter-und-Pauls-Kathedrale (1712-33 von D. A. Trezzini; dreischiffige Hallenkirche mit 122 m hohem Westturm; unter Katharina II. frühklassizistisch umgestaltet; Grabkirche der russischen Zaren); auf der Großen Seite, heute im Mittelpunkt der Stadt, die Admiralität (1704 als Werft begründet, 1806-23 von A. D. Sacharow neu gestaltet); ihre Turmspitze ist ein Wahrzeichen von Sankt Petersburg. Von hier aus wurde in südöstlicher Richtung die Hauptachse der Stadt (ursprünglich eine Waldschneise) zum 5 km entfernten Alexander-Newskij-Kloster (Aleksandro-Newskaja Lawra, 1713 ff.) angelegt (heute die Prachtstraße »Newskij Prospekt«). Auf der Ostspitze der Wassilij-Insel (»Strelka«) entstand 1718-34 als erstes Museum die Kunstkammer (ursprünglich Sammlung Peters I., des Großen, heute Museum für Anthropologie und Ethnographie). Die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde bestimmt durch die spätbarocken Bauten B. F. Rastrellis, v. a. Winterpalais (Eremitage), Smolnyj-Kloster und Palais Stroganow. Die seit den 1760er-Jahren entstandenen Bauten stehen im Zeichen des einsetzenden Klassizismus (Akademie der Künste, 1764-88, J.-B. Vallin de la Mothe; Kleine Eremitage, 1764-67, Vallin de la Mothe; Marmorpalais, 1768-85, Antonio Rinaldi [* um 1709, ✝ 1794]), der nach 1780 zur vollen Entfaltung kam: Eremitage-Theater (1783-87, G. Quarenghi), Akademie der Wissenschaften (1783-89, Quarenghi), Alexander-Newskij-Kathedrale (1776-90, I. J. Starow), Taurisches Palais (1783-89, Starow). Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Kasaner Kathedrale (1802-12, A. N. Woronichin), auf der Strelka die Börse (1805-16, T. de Thomon; heute Zentrales Kriegsmarinemuseum) sowie der Neubau der Admiralität geschaffen. Unter K. I. Rossi entstanden seit 1816 große Architekturkomplexe: Palais des Großfürsten Michael (heute Russisches Museum), Puschkin-Theater mit der Straße des Architekten Rossi, Generalstabsgebäude mit Triumphbogen am Schlossplatz, Gebäude für Senat und Synod. 1819-58 schuf R. de Montferrand die Isaak-Kathedrale am ehemaligen Petersplatz (heute Dekabristenplatz) mit Reiterdenkmal Peters I., des Großen, von É.-M. Falconet (1782 enthüllt). Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Bauten im historisierenden Stil. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Elemente des Jugendstils verwendet (Witebsker Bahnhof, 1902-04). Die deutsche Botschaft (1911-12) ist ein von P. Behrens errichteter neoklassizistischer Bau. Für den Erhalt des alten Stadtzentrums und die Erschließung neuer Stadtbezirke wurden mehrere Generalbebauungspläne erarbeitet (1933/34, 1935/36, 1938-40 und 1959). Der Wiederaufbau der Innenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte aufgrund denkmalpflegerischer Forschungen. - Schlösser in der Umgebung Sankt Petersburgs Pawlowsk, Petrodworez, Puschkin..
 
Geschichte:
 
Unter Peter I., dem Großen, begann man am 27. 5. 1703 auf der Haseninsel im Mündungsdelta der Newa unterhalb der schwedischen Festungsstadt Nyen mit dem Bau von Wehranlagen (Peter-und-Pauls-Festung); in ihrem (durch die vorgelagerte Inselfestung Kronstadt verstärkten) Schutz entwickelte sich in den folgenden Jahren der Hafenplatz Sankt Piterburch. Seit 1706 wurde er zügig zum neuen Reichszentrum ausgebaut, das sich mit seiner dem Westen zugewandten kosmopolitischen Atmosphäre bewusst von dem engen Nationalismus in Moskau abhob. 1712 verlegte Peter I., der Große, die Hauptstadt nach Sankt Petersburg, jedoch blieb Moskau weiterhin die Krönungsstadt der Zaren (1728-32 noch einmal Sitz des Hofes).
 
Die bedeutendsten Baumeister der Zeit wurden zur planvollen Ausgestaltung der neuen Residenz mit Palästen, Parks, großzügigen Platzanlagen und Straßenzügen herangezogen. Die Metropole entwickelte sich bald zum Kultur- und Wissenschaftszentrum des Landes (1725 Gründung der Akademie der Wissenschaften, 1757 der Akademie der Schönen Künste). Sie nahm auch einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung und zog eine ethnisch gemischte Bevölkerung an (1764: 180 000 Einwohner, 1869: 667 200 Einwohner, 1897: 1,26 Mio. Einwohner, Ausländeranteil etwa 20 %). Über den Hafen lief schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Hälfte des russischen Außenhandels. Bedeutende Wirtschaftszweige waren Schiffbau, Waffenproduktion und Textilindustrie, im 19. Jahrhundert wurden der Maschinenbau (u. a. Putilow-Werk), die chemische und elektromechanische Industrie ausgebaut; charakteristisch war das starke Gewicht von Großunternehmen (mit mehr als 500 Beschäftigten). - 1837 wurde als erste Eisenbahnstrecke in Russland die Linie Sankt Petersburg-Zarskoje Selo eröffnet.
 
1825 scheiterte in Sankt Petersburg der Aufstand der Dekabristen. Die Stadt war Schauplatz der Revolution von 1905; hier tagten die Reichsduma (1906-17) und der Allrussische Rätekongress (Sowjet). Beim Sturz des Zarismus und bei den nachfolgenden revolutionären Ereignissen (Februar- sowie Oktoberrevolution 1917) waren das in Petrograd stationierte Militär und die hauptstädtische Fabrikarbeiterschaft (1917 rd. 500 000) die treibende Kraft. Seit der Übersiedlung der Sowjetregierung nach Moskau (März 1918) verlor Petrograd seine Vorrangstellung. Die Einwohnerzahl sank von 2,42 Mio. (1917) auf 720 000 (1920). Erst allmählich erholte es sich von dem wirtschaftlichen Rückschlag und gewann die frühere Bedeutung als Industriezentrum zurück; 1939 hatte die nunmehr Leningrad genannte Stadt rd. 3,01 Mio. Einwohner. Im Zweiten Weltkrieg trotzte die Bevölkerung unter enormen Opfern (zwischen 600 000 und 1 Mio. Tote v. a. durch Hungersnot, Seuchen, Erfrierungen, Luft- und Artilleriebombardements) einer fast 900-tägigen Blockade (8. 9. 1941 bis 27. 1. 1944) durch deutsche Truppen.
 
Literatur:
 
Očerki istorii Leningrada, hg. v. M. P. Vjatkin, 6 Bde. (Moskau 1955-70);
 
Leningrad. Enciklopedičeskij spravočnik, hg. v. L. S. Šaumjana u. a. (ebd. 1957);
 I. Parigi: Leningrad u. die Schlösser der Umgebung (1973);
 A. L. Kaganowitsch: Die Kunstschätze Leningrads u. seiner Umgebung (a. d. Russ., Neuausg. 1975);
 J. H. Bater: S. P. Industrialization and change (London 1976);
 S. Topf: Leningrad (Zürich 1983);
 
Leningrad, bearb. v. R. Meisel u. a. (1989);
 N. Börnson: S. P. - wiedergefundene Stadt (1993);
 N. von Michalewsky u. S. Erfurt: S. P. Rußlands Fenster zum Westen (1993);
 H. von Bechtolsheim: St. Petersburg Biogr. einer Stadt (41994);
 E. Gorys: Moskau u. S. P. (21997).
 

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Sankt Pe|ters|burg: russische Stadt im Newadelta (1924-1991 Leningrad, 1914-1924 Petrograd).

Universal-Lexikon. 2012.