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Nationalismus
Patriotismus; Vaterlandsliebe; völkische Gesinnung; Nationalbewusstsein; Nationalstolz; Jingoismus; Staatsgesinnung; Volkstümelei; Nationalgefühl

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Na|ti|o|na|lis|mus [nats̮i̯ona'lɪsmʊs], der; -:
politische Haltung, aus der heraus in übersteigerter, intoleranter Weise Größe und Macht des eigenen Staates als die höchsten Werte angesehen werden:
ein engstirniger, fanatischer, gefährlicher Nationalismus.

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Na|ti|o|na|lịs|mus 〈m.; -, -lịs|men〉 übersteigertes Nationalgefühl  [<frz. nationalisme]

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Na|ti|o|na|lịs|mus, der; -, …men [frz. nationalisme]:
a) (meist abwertend) übersteigertes Nationalbewusstsein:
ein engstirniger N.;
b) (selten) erwachendes Selbstbewusstsein einer Nation mit dem Bestreben, einen eigenen Staat zu bilden.

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Nationalịsmus
 
der, -, eine Ideologie, die auf der Grundlage eines bestimmten Nationalbewusstseins den Gedanken der Nation und des Nationalstaates militant nach innen und außen vertritt. Sie sucht durch nationale Identifikation, aber auch durch Assimilation oder gewalttätige Gleichschaltung soziale Großgruppen zu einer inneren Einheit zu verbinden und gegen eine anders empfundene Umwelt abzugrenzen. In seinen vielfältigen Erscheinungsformen ist der Nationalismus an keine bestimmte Gesellschafts- oder Staatsform gebunden.
 
Das Bewusstsein eines Anders- und Besondersseins verbindet sich im Nationalismus oft mit einem starken Sendungsbewusstsein. Die Hochschätzung der eigenen Nation, der Vorrang, der ihren Rechten und Interessen (besonders auf territorialem oder wirtschaftlichem Gebiet) eingeräumt wird, geht häufig einher mit der Geringschätzung, gar Verachtung anderer Völker oder nationaler Minderheiten (Fremdenfeindlichkeit, Rassismus). Das nationale Interesse (italienisch »sacro egoismo«) wird zum alleinigen Maßstab des politischen Handelns, besonders in seiner höchsten Steigerung, im Chauvinismus.
 
Historisch gesehen, entsteht Nationalismus als Ideologie von Gesellschaftsschichten (z. B. des Bürgertums), die infolge wirtschaftlicher und sozialer Wandlungsprozesse aufsteigen, oder als Ideologie eines sich seiner Originalität bewusst werdenden Volkes gegenüber einem übernationalen Herrschaftsverband oder einer Kolonialmacht. Als politische Maxime gewann der Nationalismus seit der Französischen Revolution von 1789 infolge seiner Verbindung mit der liberalen Idee der Selbstbestimmung und dem demokratischen Gedanken der Volkssouveränität große Bedeutung. Unter Einschluss von Gewalt suchten im 19. Jahrhundert bestimmte Nationalbewegungen (z. B. in Griechenland, Italien, Ungarn und Deutschland) ihre soziale Großgruppe, meist durch die Vorstellung einer gemeinsamen Geschichte, Kultur und Sprache verbunden, als Nation politisch in einem Nationalstaat zusammenzufassen. Bestehende Nationalstaaten aktivierten den Nationalismus nicht allein zur inneren Festigung der Nation, sondern auch zur Ausdehnung ihres Territoriums und ihrer Macht nach außen. So war der Gewinn der »Rheingrenze« ein besonderes Anliegen des französischen, der Gewinn der »Brennergrenze« ein Ziel des italienischen Nationalismus. In der nationalistisch bestimmten Außenpolitik v. a. von Großmächten trat das Streben nach Vorherrschaft hervor (z. B. Russlands Anstrengungen um eine Vorherrschaft auf der Balkanhalbinsel). Im Wettlauf um Einfluss und Weltgeltung, um Rohstoffquellen und Absatzmärkte entwickelte sich der Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert zur Triebfeder von Kolonialismus und Imperialismus. All diese Tendenzen fanden ihren Höhepunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Ersten Weltkrieg. Dabei spielte im Hinblick auf Deutschland und Japan die enge Verbindung von Nationalismus und Militarismus eine große Rolle. Nach 1918 traten besonders der Faschismus und der Nationalsozialismus als die aggressivsten Formen des Nationalismus hervor, nach innen in Gestalt einer totalitären Diktatur, nach außen durch unbedenklich ausgelöste Angriffskriege. Nach 1945 wurde der Nationalismus in Europa (zum Teil auch als Folge der Weltkriegserfahrungen) von neuen internationalen Bündnisbeziehungen sowie supranationalen Integrationsvorgängen überlagert, bis 1989/91 auch geprägt durch die Bipolarität im Ost-West-Konflikt.
 
Im Rahmen der Entkolonialisierung in Asien, Afrika und Ozeanien wirkte der Nationalismus als Mittel sozialer Integration und innerer Stabilisierung und trug zur Überwindung der kolonialen Abhängigkeit bei. In Verknüpfung mit sozialrevolutionären Kräften entfaltete er im Rahmen von Guerillabewegungen eine starke militärische Kraft (Indochinakrieg, Vietnamkrieg). Mit dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus nach 1979 gewann der Nationalismus besonders im arabischen Raum an politischer Bedeutung. Durch die globale Wende 1989/91 (Ende des Kalten Krieges) wurde der Nationalismus häufig zum neuen Orientierungsmodell und führte mit dem Zerfall multinationaler Staaten (UdSSR, Jugoslawien) zum Teil zu ethnischen Konflikten. Mit der fortschreitenden Verschmelzung der Weltwirtschaft (»Globalisierung«) sowie der Schaffung neuer politischer Großeinheiten (z. B. EU) gehen Prozesse der »Renationalisierung« (Jacques Rupnik) und Regionalisierung einher.
 
Eine besondere Spielart des Nationalismus sind in seiner Entwicklung die »Pan«-Bewegungen, z. B. Panafrikanismus, panarabische Bewegung, Pangermanismus, Panislamismus, Panslawismus.
 
Literatur:
 
H. Kohn: Die Idee des N. (a. d. Engl., Neuausg. 1962);
 E. Lemberg: N., 2 Bde. (1964);
 T. Schieder: Der Nationalstaat in Europa als histor. Phänomen (1964);
 M. R. Lepsius: Extremer N. (1966);
 E. Kedouri: N. (a. d. Engl., 1971);
 K. Lenk: Volk u. Staat. Strukturwandel polit. Ideologien im 19. u. 20. Jh. (1971);
 K. W. Deutsch: Der N. u. seine Alternativen (a. d. Engl., 1972);
 K. W. Deutsch: Nationalism and social communication (Cambridge, Mass., 21978);
 C. Graf von Krockow: N. als dt. Problem (21974);
 
N. u. sozialer Wandel, hg. v. O. Dann (1978);
 H. A. Winkler u. T. Schnabel: Bibliogr. zum N. (1979);
 
N., hg. v. H. A. Winkler (21985);
 
New nationalisms of the developed West, hg. v. E. A. Tiryahian u. a. (Boston, Mass., 1985);
 I. Berlin: Der N. (a. d. Engl., 1990);
 T. Schieder: N. u. Nationalstaat (21992);
 P. Alter: N. (Neuausg. 41993);
 
Nationen, Nationalitäten, Minderheiten. Probleme des N. in Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien u. Österreich 1945-1990, hg. v. V. Heuberger u. a. (Wien 1994, Text tlw. dt., tlw. engl.);
 
Le déchirement des nations, hg. v. J. Rupnik (Paris 1995);
 
N. - Nationalitäten - Supranationalität, hg. v. H. A. Winkler u. H. Kaelble (21995);
 O. Dann: Nation u. N. in Dtl. 1770-1990 (31996);
 M. Weber: Der Nationalstaat u. die Volkswirtschaftspolitik (Neuausg. 1996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nation: Das kollektive Leben
 
Konfliktforschung: Identität und Abgrenzung
 
Konfliktforschung: Nationalismus, Fundamentalismus, Multikulturalität
 
Ideologien des 19. Jahrhunderts: Liberalismus, Konservativismus, Nationalismus
 

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Na|ti|o|na|lịs|mus, der; - [frz. nationalisme]: a) (meist abwertend) übersteigertes Nationalbewusstsein: ein engstirniger N.; Bei den geringsten Anzeichen einer ... Krise wird nackter N. exerziert (MM 14. 1. 74, 11); b) (selten) erwachendes Selbstbewusstsein einer Nation mit dem Bestreben, einen eigenen Staat zu bilden: In unserer Generation sind zwei große Reiche ... auseinander gefallen, weil der Virus des N. und der Wunsch nach Eigenständigkeit die in jenen Gebilden zusammengeschlossenen Völker ergriffen hatte (Dönhoff, Ära 205).

Universal-Lexikon. 2012.