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Finanzgerichtsbarkeit
Finạnzgerichtsbarkeit,
 
Gerichtsbarkeit, die durch unabhängige, von den Finanzbehörden getrennte, besondere Verwaltungsgerichte nach Maßgabe der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 6. 10. 1965 und des vorerst bis zum 31. 12. 1999 befristeten Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. 7. 1975 ausgeübt wird. Die Finanzgerichtsbarkeit ist zweistufig: Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit sind in den Ländern die Finanzgerichte als obere Landesgerichte, im Bund der Bundesfinanzhof (Abkürzung BFH, Sitz: München). Die Senate der Finanzgerichte entscheiden in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und, mit Ausnahme bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden, zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 5 Absatz 3 FGO). Der Senat kann den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die Senate des BFH entscheiden in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mit drei Berufsrichtern; bei grundsätzlichen Fragen und wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, entscheidet ein aus dem Präsidenten als Vorsitzenden und zehn Richtern bestehender Großer Senat.
 
Das Finanzgericht entscheidet, soweit nicht der BFH zuständig ist, im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Finanzrechtsweg gegeben ist, also insbesondere in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über bestimmte, der Gesetzgebung des Bundes unterliegende Verwaltungsakte, soweit sie durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden gemäß der AO zu vollziehen sind, und über berufsrechtliche Streitigkeiten (§ 33 FGO). Örtlich zuständig ist das Finanzgericht, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat. Wie bei den Verwaltungsgerichten können Anfechtungs-, Leistungs-, Feststellungs- und Verpflichtungsklagen erhoben werden (§ 40 ff. FGO). In den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf (Einspruch, Beschwerde) gegeben ist, ist die Klage regelmäßig nur zulässig, wenn das außergerichtliche Vorverfahren erfolglos geblieben ist (§ 44 FGO). Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats der Klageschrift zustimmt (§ 45 Absatz 1 FGO, »Sprungklage«). Das Finanzgericht entscheidet in der Regel nach mündlicher Verhandlung durch Urteil, kann aber auch ohne eine solche einen Gerichtsbescheid erlassen.
 
Der BFH entscheidet über Revisionen gegen Urteile der Finanzgerichte (ein Berufungsverfahren kennt die Finanzgerichtsbarkeit nicht) sowie über Beschwerden gegen Entscheidungen der Finanzgerichte. Die Revision ist in der Regel nur möglich, wenn sie vom Finanzgericht oder BFH zugelassen wurde (Art. 1 Ziffer 5 Gesetz zur Entlastung des BFH). Im Gegensatz zu den Finanzgerichten besteht vor dem BFH Vertretungszwang; vertretungsbefugt sind Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.
 
In Österreich besteht keine eigene Finanzgerichtsbarkeit. Gegen abgabenrechtliche Bescheide kann Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde erhoben werden.
 
Auch in der Schweiz besteht keine gesonderte Finanzgerichtsbarkeit. Gegen abgaberechtliche Entscheide der Bundesbehörden kann auf Bundesebene Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben werden; für bestimmte Sachgebiete bestehen verwaltungsunabhängige Rekurskommissionen. In den Kantonen werden Abgabestreitigkeiten von Verwaltungsgerichten oder Steuerrekurskommissionen beurteilt.
 
Literatur:
 
B. Hartmann u. U. Christians: Chance u. Risiko im Finanzgerichtsprozeß (1986);
 U. Dürr: Der Steuerberater vor dem Finanzgericht (1987);
 F. Gräber: Finanzgerichtsordnung. Mit Nebengesetzen, bearb. v. R. von Groll u. a. (31993);
 R. Ax u. a.: Abgabenordnung u. Finanzgerichtsordnung (141994);
 H. Bähr u. W. Schurmann: Abgabenordnung u. Finanzgerichtsordnung (21995);
 R. Kühn: Abgabenordnung. Finanzgerichtsordnung - Nebengesetze, bearb. v. R. Hofmann(171995).

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Fi|nạnz|ge|richts|bar|keit, die: durch Finanzgerichte ausgeübte Gerichtsbarkeit zur Entscheidung von finanzrechtlichen Streitigkeiten.

Universal-Lexikon. 2012.