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Flaubert
Flaubert
 
[flo'bɛːr], Gustave, französischer Schriftsteller, * Rouen 12. 12. 1821, ✝ Croisset (bei Rouen) 8. 5. 1880; Sohn eines Chirurgen, studierte 1840-43 Rechtswissenschaften in Paris. Seit 1846 lebte er - an einem Nervenleiden erkrankt - zurückgezogen in Croisset und widmete sich (abgesehen von Reisen, u. a. nach Ägypten, Griechenland, Italien und in den Vorderen Orient, 1849-51, sowie nach Tunis, 1858) ganz der Schriftstellerei.
 
Flauberts Frühwerk steht - in Thematik und lyrisch-bekenntnishafter Darstellung - noch in der Nachfolge der Romantik. Mit »Madame Bovary« (1857; deutsch), einer aus dem Missverhältnis von (falschen) Illusionen und banaler Realität erwachsenden Geschichte eines Ehebruchs (die dem Autor eine Anklage wegen Verletzung der öffentlichen Moral einbrachte), gewann Flaubert seinen realistischen, objektiv-unpersönlichen Stil. Auch der Roman »Salammbô« (1862; deutsch) zeigt - trotz heroisch-pathetischer Handlung und exotischer Bilderfülle - eine entpersönlichte, auf präziser Detailschilderung und sorgfältiger historischer, kunsthistorischer und archäologischer Dokumentation beruhende Darstellung, hinter der zugleich die Sinnlosigkeit des Geschehens sichtbar wird. »L'éducation sentimentale« (endgültige Fassung 1869; deutsch »Lehrjahre des Gefühls«) schildert die innere Geschichte der Generation um die Jahrhundertmitte und die Zerstörung privater Illusionen, verbunden mit dem Verlust politischer Ideale nach dem Scheitern der Revolution von 1848. »La tentation de Saint-Antoine« (endgültige Fassung 1874; deutsch »Die Versuchung des heiligen Antonius«) bietet eine Schau verschiedener Religionen und Mythen in der Art, dass sie sich in der nivellierenden Aufeinanderfolge gegenseitig aufheben. Das Romanfragment »Bouvard et Pécuchet« (herausgegeben 1881; deutsch »Bouvard und Pecuchet«), worin Flaubert umfangreiche Studien auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachgebieten verarbeitet hat, ist eine Satire auf menschliche Dummheit, positivistische Wissenschaftsgläubigkeit und naiven Fortschrittsoptimismus. - Im Zusammenhang mit Flauberts Arbeitsweise und Kunstauffassung kommt seinen Briefen und Tagebüchern große Bedeutung zu.
 
Mit Flaubert wurde der Roman zu einem den wissenschaftlichen Methoden angenäherten Instrument beobachtender Genauigkeit, das zugleich höchsten Formansprüchen genügt. Ziel war nicht (wie etwa bei H. de Balzac) die Erkenntnis der der Realität zugrunde liegenden inneren Prinzipien oder (wie häufig bei den Naturalisten) ein gesellschaftsreformerisches Anliegen, sondern die Darstellung der reinen Faktizität - in den moralischen und weltanschaulichen Merkmalen der zeitgenössischen Bourgeoisie und im psychologischen, ja medizinischen Befund des Menschen. Flauberts Protagonisten sind keine Willensmenschen (wie bei Stendhal oder Balzac), sondern mittelmäßige Figuren, die an der gesetzmäßigen Inkongruenz zwischen Ich und Umwelt, (illusionärer) Idealität und trivialer Wirklichkeit zugrunde gehen. Den Daseinsekel, das Leiden an der Banalität seines (bürgerlich-kapitalistischen) Zeitalters und am Menschen überhaupt, objektivierte Flaubert im künstlerischen Formwillen (hierin den Kunstauffassungen des L'art pour l'art und des Parnasse verwandt). Die entpersönlichte Darstellung schließt bei Flaubert den auktorialen, direkt in die Handlung eingreifenden Erzähler aus; die Wirklichkeit wird mittels Perspektiventechnik (v. a. durch das Mittel der erlebten Rede) in eine Reihe von Teilansichten zerlegt, deren Nichtübereinstimmung den Blick über den Bewusstseinshorizont der einzelnen Figuren hinaus erweitert und damit eine indirekte Kommentierung (zugleich Distanzierung und ironische Brechung) bewirkt. Dieser Urteile, Wertungen und Schlussfolgerungen meidenden Erzählhaltung entspricht auch das Abrücken von einer geschlossenen Handlungsführung mit kausalen oder finalen Verknüpfungen. Flauberts objektivierender Stil hat u. a. G. de Maupassant und noch die Autoren des Nouveau Roman beeinflusst.
 
Weitere Werke: Romane und Erzählungen: Trois contes (1877; deutsch Drei Erzählungen); Mémoires d'un fou (herausgegeben 1901; deutsch Erinnerungen eines Verrückten); Novembre (herausgegeben 1910; deutsch November).
 
Dictionnaire des idées reçues (herausgegeben 1913).
 
Ausgaben: Œuvres complètes, 28 Bände (1910-54); Les œuvres, herausgegeben von M. Nadeau, 18 Bände (1964-65); Correspondance, herausgegeben von J. Bruneau, 2 Bände (1973-80).
 
Gesammelte Werke, herausgegeben von E. W. Fischer, 10 Bände (1907-09); Tagebücher, herausgegeben von demselben, 3 Bände (1919/20); Gesammelte Werke, herausgegeben von W. Weigand, 6 Bände (1923); Briefe, herausgegeben und übersetzt von H. Scheffel (Neuausgabe 1977).
 
Literatur:
 
P. Binswanger: Die ästhet. Problematik F.s (1934);
 B. F. Bart: F. (Syracuse, N. Y., 1967);
 E. Starkie: G. F. (a. d. Engl., 1971);
 U. Dethloff: Das Romanwerk G. F.s (1976);
 J.-P. Sartre: Der Idiot der Familie, 5 Bde. (a. d. Frz., 1977-80);
 J. Suffel: G. F. (Neuausg. Paris 1979);
 H. Friedrich: Drei Klassiker des frz. Romans. Stendhal, Balzac, F. (81980);
 W. Krömer: F. (1980);
 M. Robert: En haine du roman. Étude sur F. (Paris 1982);
 A. Thibaudet: G. F. (Neuausg. ebd. 1982);
 M. Lowe: Towards the real F. (Oxford 1984);
 H. Lottman: F. Eine Biogr. (a. d. Amerikan., 1992);
 J. de La Varende: G. F. (a. d. Frz., 43.-44. Tsd. 1996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Stendhal, Balzac, Flaubert: Der Roman als Spiegel der Gesellschaft
 

Universal-Lexikon. 2012.