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Machiavelli
Machiavelli
 
[makja'vɛlli], Niccolò, italienischer politischer Schriftsteller, * Florenz 3. 5. 1469, ✝ ebenda 22. 6. 1527; aus gebildeter florentinischer Familie, wurde nach humanistisch-juristischen Studien 1498, nach dem Sturz G. Savonarolas, Vorsteher der Zweiten Kanzlei, die sich mit der inneren Verwaltung und Kriegssachen der Republik Florenz befasste. Darüber hinaus führten ihn diplomatische Missionen zu König Ludwig XII. von Frankreich und zu Kaiser Maximilian I., zu Cesare Borgia und Papst Julius II. In seinen Gesandtschaftsberichten (»Legazioni«) beschrieb er scharf und unbeteiligt das politische Handeln. Bereits 1500 erkannte er im Feldlager vor Pisa die militärisch-strategische Unbrauchbarkeit ausländischer Söldner. Die von ihm angeregte Organisation einer Bürgermiliz aus dem Landvolk leitete er seit 1505/06; sie versagte jedoch bei ihrem ersten Einsatz 1512 gegen die spanische Infanterie vor Prato und besiegelte mit dem Schicksal der Republik auch Machiavellis Karriere. Die Medici stellten mit spanisch-päpstlicher Hilfe ihre Herrschaft wieder her, und Machiavelli wurde entlassen. 1513 wurde er nach einer fehlgeschlagenen Verschwörung unschuldig verhaftet und gefoltert, aber nach der Wahl des ersten Medici-Papstes Leo X. amnestiert.
 
In der erzwungenen Untätigkeit auf seinem Landgut in Sant'Andrea bei San Casciano entstand von Juli bis Dezember 1513 »Il principe« (1532; deutsch »Der Fürst«), den Machiavelli den Medici widmete. Er schloss sich dem florentinischen Humanistenkreis der »Orti Oricellari« an, schrieb Komödien, u. a. »Mandragola« (entstanden 1518, gedruckt 1524; deutsch) und verteidigte in seinen »Sette libri dell'arte della guerra« (1521; deutsch »Kriegskunst«) das republikanische Milizheer. Zugleich nahm er die 1513 unterbrochene Arbeit an den »Discorsi. ..« (1531; deutsch »Betrachtungen über die ersten zehn Bücher des Livius«) wieder auf. Daneben bemühte sich Machiavelli stets um die Gunst der Medici, die ihn zwar nicht in die praktische Politik zurückholten, aber Ende 1520 damit betrauten, die Geschichte der Stadt Florenz darzustellen (»Istorie fiorentine«, 1532; deutsch »Geschichte von Florenz«). Kurz nachdem die Truppen Kaiser Karls V. Rom 1527 erobert und geplündert hatten, wurden die Medici vorübergehend aus Florenz vertrieben; damit büßte auch Machiavelli seine Stellung ein.
 
Den Schriften Machiavellis liegt ein gemeinsames Anliegen zugrunde, nämlich die theoretisch fundierte Untersuchung der als unzureichend beurteilten politischen Praxis mit dem Ziel, diese zu verändern. In »Il principe« stellt Machiavelli die generell abstrakte Frage nach den Bedingungen erfolgreicher Politik. Seine empirisch-systematischen Untersuchungen zwingen Machiavelli methodisch und inhaltlich zum Bruch mit der Tradition christlich-metaphysischer Staatstheorie. Mit dem antiker Ethik verpflichteten Begriff der »virtù« tritt an die Stelle der christlichen Tugenden des Herrschers als Voraussetzung dauerhafter politischer Herrschaft dessen Fähigkeit, politische Macht zu erwerben und zu erhalten und - unter dem Aspekt des fremdbeherrschten Italien - die nationale Einheit herzustellen. Unter Ablehnung der jenseitsgerichteten Ethik der mittelalterlich-theokratischen Reichehierarchie gibt Machiavelli dem staatlichen Zusammenschluss seinen antiken Wert für das Leben der Individuen zurück. Die Frage nach der Erhaltung des Staates ist für Machiavelli so zentral, dass er den Herrscher unter der Voraussetzung des Staatsnotstandes (»necessità«) vom Zwang, nach ethischen Normen zu handeln, befreien will. Damit begründet Machiavelli, ohne schon den Begriff zu verwenden, die Lehre von der Staatsräson. Die individuelle »virtù« des Herrschers wird durch den Fortbestand der von ihm eingerichteten politischen Ordnung zur Quelle einer durch Erziehung vermittelten kollektiven »virtù«, die als politische Kultur über den zukünftigen Zustand des Gemeinwesens entscheidet. Daher besteht zwischen dem als »Handbuch für Tyrannen« missverstandenen »Il principe« und den am republikanischen Prinzip ausgerichteten »Discorsi. ..« auch keine Unvereinbarkeit.
 
Als Vorläufer einer erklärenden Geschichtswissenschaft und einer theoretischen Wissenschaft von der Politik hat Machiavelli einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Staatsphilosophie des 16., 17. und 18. Jahrhunderts ausgeübt. Gegen die partielle Entlassung der Politik aus der Ethik wandte sich insbesondere die Kritik der Aufklärungsphilosophie, die zugunsten einer normativen Harmonietheorie zugleich auf die Thematisierung dieses fundamentalen Konfliktes verzichtete.
 
Ausgaben: Opere, herausgegeben von S. Bertelli, 11 Bände (1968-82).
 
Gesammelte Schriften, herausgegeben von H. Floerke, 5 Bände (1925).
 
Literatur:
 
A. Renaudet: Machiavel (Neuausg. Paris 1956);
 K. Kluxen: Politik u. menschl. Existenz bei M. Dargestellt am Begriff der Necessità (1967);
 R. Ridolfi: Vita di N. M. (Florenz 71978);
 S. Bertelli u. P. Innocenti: Bibliografia Machiavelliana (Verona 1979);
 M. Hulliung: Citizen M. (Princeton, N. J., 1983);
 R. König: N. M. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende (Neuausg. 1984);
  H. Münkler: M. Die Begründung des polit. Denkens der Neuzeit aus der Krise der Rep. Florenz (Neuausg. 1984);
 A. Buck: M. (1985);
 H. Freyer: M. (21986);
 W. Kersting: N. M. (1988);
 H. Fink: M. Eine Biogr. (1988);
 Q. Skinner: M. zur Einf. (a. d. Engl., 21990);
 E. Barincou: N. M. (a. d. Frz., 41993);
 V. Marcu: M. Die Schule der Macht (Neuausg. 1994);
 T. Macaulay: M. (a. d. Engl., 1994);
 A. Riklin: Die Führungslehre von N. M. (Bern 1996).
 

Universal-Lexikon. 2012.