Molière
[mɔl'jɛːr], eigentlich Jean-Baptiste Poquelin [pɔ'klɛ̃], französischer Dichter, Schauspieler und Theaterleiter, getauft Paris 15. 1. 1622, ✝ ebenda 17. 2. 1673, Sohn eines Tapezierers und königlichen Kammerdieners; erhielt am Collège de Clermont eine humanistische Ausbildung und studierte die Rechte in Orléans. 1643 gründete er mit Madeleine (* 1618, ✝ 1672), Geneviève und Joseph Béjart (* 1616, ✝ 1659) die Truppe des »Illustre Théâtre« und bereiste nach deren Bankrott 1645 mit einer Wandertruppe (unter dem Namen »Molière«) die Provinz (v. a. den Süden Frankreichs), wo seine ersten Stücke entstanden. 1652 wurde er Direktor der Truppe, die seit 1658 ständig in Paris spielte, seit 1661 im Palais Royal. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm mit »Les précieuses ridicules« (1659; deutsch »Die köstliche Lächerlichkeit«, auch unter dem Titel »Die lächerlichen Preziösen«). 1662 heiratete er Armande Béjart (* 1642, ✝ 1700), die Tochter oder Schwester von Madeleine Béjart. Seit 1665 stand Molières Truppe (als Troupe du roi) unter dem Schutz Ludwigs XIV.
Mit Molière erreichten die inhaltlichen und formalen Ideale der französischen Klassik (französische Literatur) die Komödie. Sein Werk umfasst unterschiedliche Komödienformen: die Farce, die freiere Prosakomödie, die fünfaktige Verskomödie unter weitgehender Beachtung der drei Einheiten und die Ballettkomödie (Comédie-ballet). Die Farce mit ihrer auf Gestik, Mimik und Pantomime beruhenden Komik, szenischen Improvisationen, stereotypen Handlungsabläufen und festgelegten Typen verbindet Züge der gleichnamigen spätmittelalterlichen Gattung und der Commedia dell'Arte. Elemente der Farce bleiben auch in den großen Komödien präsent, die durch differenzierte Psychologisierung der Figuren, Konzentration der künstlerischen Mittel in Handlungs- und Personenführung und eine v. a. durch das Wort bestimmte Komik ihre bis heute ungebrochene Theaterwirksamkeit erhalten. Die wichtigsten dieser Sitten- und Charakterkomödien (als deren Schöpfer Molière gilt) sind: »Tartuffe ou l'imposteur« (Uraufführung 1664, endgültige Fassung 1669, deutsch »Tartuffe«), »Dom Juan ou le festin de pierre« (Uraufführung 1665, gedruckt 1682, deutsch »Don Juan«, auch unter dem Titel »Das steinerne Gastmahl«), »Le misanthrope«, 1667 (deutsch »Der Menschenfeind«), »L'avare« (Uraufführung 1668, gedruckt 1682, deutsch »Der Geizige«). In den Ballettkomödien verbindet sich das gesprochene Wort mit Musik-, Tanz- und Gesangseinlagen zu einem Gesamtkunstwerk: »Le bourgeois gentilhomme« (1672, deutsch »Der Bürger als Edelmann«, auch unter dem Titel »Der adelssüchtige Bürger«), »Le malade imaginaire« (1673, deutsch »Der eingebildete Kranke«, auch unter dem Titel »Der Kranke in der Einbildung«).
Molières Komödie trägt überzeitliche Züge, indem sie Missstände als Sonderformen menschlicher Defekte zeigt, sie ist aber auch in hohem Maße zeitbezogen, da Maßstab der Kritik die Normen der von Ludwig XIV. geprägten höfischen Gesellschaft sind und das allem Extremen und Exzentrischen entgegengesetzte (standesübergreifende) Ideal von »honnêteté« und »bon sens«. Da Molière sich über die Ständeklausel hinwegsetzte, erscheinen Opponenten der ganzen Gesellschaft (wie der Menschenfeind) ebenso lächerlich wie Vertreter einzelner sozialer Schichten, z. B. der reich gewordene Bauer (»George Dandin«, 1669; deutsch), der bürgerliche Parvenü (»Le bourgeois gentilhomme«) oder der stutzerhafte Provinzadlige (»Monsieur de Pourceaugnac«, 1670; deutsch »Der Herr von Pourceaugnac«). Der Lächerlichkeit preisgegeben werden alle dem gesunden Menschenverstand und den Prinzipien von Natur und Vernunft zuwiderlaufenden Verhaltensweisen (z. B. monomanischer Gestalten wie des Geizigen), auch gesellschaftliche Modeerscheinungen wie die »Préciosité« (»Les précieuses ridicules«; preziöse Literatur) oder falsche Vorstellungen von weiblicher Bildung und Erziehung (»L'école des femmes«, 1663; deutsch »Die Schule der Frauen«, u. a.). Besondere gesellschaftskritische Brisanz enthielt der »Tartuffe«, ein Angriff auf religiöse Heuchelei als soziale Gefahr; die Komödie löste heftige Kontroversen aus und bedrohte Molières schriftstellerische Existenz. Sie spiegelt die Mehrdimensionalität von Molières Komik, die (auch in der Anlage dramatische Gestalten wie dem Menschenfeind) tragische Momente nicht ausschließt. Damit wirkte Molière auf die Entwicklung des bürgerlichen Dramas in der Aufklärung, darüber hinaus ist sein Einfluss noch in den Stücken u. a. von A. Tschechow, L. Pirandello, C. Sternheim und B. Brecht spürbar.
Weitere Werke: Sganarelle ou le cocu imaginaire (1660; deutsch Scanarell, oder der Hahnrei in der Einbildung); L'escole des maris (1661; deutsch Die Schule der Ehemänner, auch unter dem Titel Die Männerschule); La critique de l'Escole des femmes (1663; deutsch Die Kritik der Schule der Frauen); L' impromptu de Versailles (Uraufführung 1663); Le médecin malgré-luy (1667; deutsch Der Arzt wider seinen Willen); Amphitryon (1668; deutsch); Les fourberies de Scapin (1671; deutsch Scapins Streiche, auch unter dem Titel Scapins Schelmereien); Les femmes savantes (1672; deutsch Die gelehrten Frauen).
Ausgaben: Œuvres, herausgegeben von E. Despois u. a., 13 Bände (Neuausgabe 1873-1900); Œuvres complètes, herausgegeben von M. Rat, 2 Bände (Neuausgabe 1965); Œuvres complètes, herausgegeben von G. Couton, 2 Bände (Neuausgabe 1976).
Werke, übersetzt von A. Luther u. a. (Neuausgabe 1967); Komödien, übersetzt von H. Weigel, 7 Bände (1975); Komödien, übersetzt von G. Fabricius u. a. (21987).
D. Mornet: M. (Paris 71962);
Cent ans de recherches sur M., bearb. v. M. Jurgens u. a. (ebd. 1963);
M. Gutwirth: M. ou l'invention comique (ebd. 1966);
R. Bray: M. Homme de théâtre (Neuausg. Paris 1979);
R. Fernandez: M. ou l'essence du génie comique (ebd. 1979);
M., hg. v. R. Baader (1980);
J. Grimm: M. (1984);
F. Mallet: M. (Paris 1986);
J. von Stackelberg: M. Eine Einf. (1986);
J. Hösle: M. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit (Neuausg. 1992);
C. Mazouer: M. et ses comédies-ballets (Paris 1993).
Universal-Lexikon. 2012.