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Mittelsteinzeit
Mesolithikum (fachsprachlich)

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Mịt|tel|stein|zeit 〈f. 20; unz.〉 Übergangszeit von der Alt- zur Jungsteinzeit; Sy Mesolithikum, Epipaläolithikum

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Mittelsteinzeit,
 
Mesolithikum, älteste und von tiefgreifenden Klima- und Umweltveränderungen gekennzeichnete Epoche der Nacheiszeit (Holozän) zwischen der Alt- und der Jungsteinzeit in der Alten Welt. Der chronologische Rahmen der Mittelsteinzeit ist seit 1900 oft Erweiterungen und Einschränkungen unterworfen gewesen. Maßgeblich für die Gliederung der Mittelsteinzeit war in allen altweltlichen Gebieten zuerst die in Frankreich ermittelte Abfolge: 1) Azilien, 2) Tardenoisien. In den Nord- und Ostseeländern lieferte die Moorarchäologie zusätzliche Datierungsmittel, die eine enge Verzahnung der Archäologie mit der Klima- und der Vegetationsgeschichte zulassen (z. B. durch die Pollenanalyse). Durch Geochronologie und Radiokarbondatierung konnte die mittelsteinzeitliche Kulturentwicklung später absolutchronologisch eingeordnet werden. Ihr Beginn wird jetzt im Allgemeinen in das Präboreal (um 8000 v. Chr.) verlegt. Der Mittelsteinzeit geht das Spätpaläolithikum voraus, dessen Beginn mit einem letzten Kältevorstoß der Eiszeit während der Allerödzeit (um 9500 v. Chr.) zusammenfällt. Bereits hier erfolgte der Wandel in Kultur und Lebensweise, weshalb in manchen Untersuchungen, insbesondere der Mittelmeerländer und Nordafrikas, Spätpaläolithikum und Mesolithikum zusammengefasst werden. In Verbindung mit naturwissenschaftlichen Ergebnissen wird heute die Mittelsteinzeit in Deutschland in die Abfolge Frühestmesolithikum (um 8000 v. Chr.) - Beuronien A bis C (nach Beuron in Baden-Württemberg) - Spätmesolithikum (etwa zwischen 6000 und 5500 v. Chr.) gegliedert. In Westeuropa wird das Azilien nach einer erneuten Untersuchung der Funde vom namengebenden Fundort Le Mas-d'Azil in Frankeich meist als noch paläolitischen Technokomplex angesehen; hier gilt daher das Tardenoisien als mittelsteinzeitlich. Das für das Tardenoisien typische Fundspektrum an Steingeräten findet sich auch in Mitteldeutschland und in Osteuropa bis in die Ukraine. In Nordosteuropa folgt dem Tardenoisien die ebenfalls mesolithische Kunda-Kultur.
 
Die besondere Prägung der Kulturen der Mittelsteinzeit findet ihre Erklärung in der nacheiszeitlichen Klimaänderung und der dadurch notwendig gewordenen Anpassung der Lebens- und Wirtschaftsweise. Durch Abwanderung oder Aussterben der eiszeitlichen Tiere und aufgrund der zunehmenden Wiederbewaldung gewannen die Jagd auf Standwild (v. a. Hirsch, Reh, Wildschwein) sowie Vogeljagd und Fischerei an Bedeutung. Diese Wirtschaftsweise und die vermehrte Einbeziehung von Weichtieren, Früchten, Beeren und Samen (v. a. Haselnuss) in den täglichen Speiseplan führten zusätzlich in allen Gebieten zu einer relativen Ortsgebundenheit der Menschen. Im östlichen Mittelmeergebiet und in Vorderasien bildete das Ernten von Wildgetreide während der Natufien-Zeit (etwa 10 000 v.Chr. bis um 9000 v.Chr.) den Übergang zum Pflanzenanbau, der mit der einsetzenden Haustierhaltung schrittweise zum wirtschaftlichen Umschwung der Jungsteinzeit führte. Die eigentlichen mesolithischen Kulturen kannten als Haustier nur den Hund, für dessen Haltung es bereits im Jungpaläolithikum deutliche Hinweise gibt (Domestikation).
 
Bei den Steingeräten der Mittelsteinzeit machte sich einerseits der schon im Spätpaläolithikum einsetzende Zug zur Verkleinerung bemerkbar (Mikrolithen), andererseits traten schwere, besonders zur Holzbearbeitung geeignete Geräte auf (Kern- und Scheibenbeile). Geräte aus organischem Material nahmen einen breiten Raum ein, sie lassen sich bei Ausgrabungen aber nur unter günstigen Bedingungen (z. B. in einem ständig feuchten Bodenmilieu) nachweisen. Pfeil und Bogen, als Erfindung bereits in die jüngere Altsteinzeit datiert, werden zur wichtigsten Jagd- und Streitwaffe. Die für die Mittelsteinzeit besonders typischen Mikrolithen (Dreiecke, Kreissegmente, Rhomben, Trapeze) wurden aus Steinklingen hergestellt und dienten hauptsächlich als Spitzen und Einsätze (Widerhaken, Schneiden) von Pfeilen und Speeren aus Holz und Knochen.
 
Für die mesolithische Lebens- und Wirtschaftsweise sind ebenfalls kleine Wohn- und Jagdplätze mit runden, ovalen oder viereckigen Hütten charakteristisch. Diese Plätze wurden oft saisonal genutzt, was auf spezifische, dem Wirtschaftsraum und der Jahreszeit angepasste Mobilitätsmuster der Jagdgruppen deutet. In der Mittelsteinzeit lassen sich in vielen Gebieten voneinander abgegrenzte Regionalgruppen feststellen, die über Jahrhunderte ihre Siedlungsräume kontinuierlich nutzten. In Küstengebieten, insbesondere der Ostsee (Maglemose-, Erteböllekultur) und des Atlantiks (Starr Carr/Orkneyinseln), kam es zu ortsfesten, aber saisonal genutzten, in einigen Fällen möglicherweise auch ständig bewohnten Siedlungen, deren wirtschaftliche Grundlage der Fischfang, die Jagd auf Meeressäuger und das Sammeln von Muscheln (»kitchen middens« oder »kjökkenmöddinger«) war. Die häufig belegten Bestattungen verbinden den Bereich des Sozialen mit dem der Religion, denn aus der Totenfürsorge lassen sich rechtliche und kultische Institutionen ableiten. Mutter-Kind-Bestattungen (z. B. in Vedbaek/Dänemark) und Familiengräber sind in der Mittelsteinzeit besonders häufig. Daneben sind v. a. aus Süddeutschland so genannte Schädelbestattungen (z. B. Ofnet-Höhle im Nördlinger Ries) bekannt. Im Verkehr spielten die Wasserwege eine große Rolle, wie Funde von Paddeln (Duvenseer Moor, Kreis Herzogtum Lauenburg) und Booten beziehungsweise Einbäumen belegen. In Nordeuropa reicht die Verwendung von Schlitten und Ski mindestens bis in die Mittelsteinzeit zurück. Auf dem Gebiet der Kunst ist die Gerätverzierung neben der Kleinplastik für die Kulturen des Maglemosekreises typisch. Auch Felsbilder (Ostspanien, Nordeuropa) zeugen mit Jagd- und Kultszenen für die künstlerischen Fähigkeiten nacheiszeitlicher Jägervölker. Als bisher älteste Großskulpturen Europas (6500-5500 v. Chr.) gelten die bis 50 cm großen Steinplastiken aus Lepenski Vir/Jugoslawien; es handelt sich meist um Reliefköpfe mit fischähnlichen Gesichtszügen, die in trapezförmigen (Kult-?) Häusern aufgestellt waren.
 
Die Benennung der mesolithischen Einzelkulturen folgt in den verschiedenen Regionen Europas unterschiedlichen Nomenklaturen. Maßgebend für die Aufstellung von Formen- und Kulturgruppen sind stratigraphisch und chronologisch gesicherte Befunde und deren räumliche Verbindung durch Fundhorizonte. Das Ende der Mittelsteinzeit ist absolutchronologisch regional sehr unterschiedlich anzusetzen. Während im ostmediterranen Raum bereits um 8000 v. Chr. eine bäuerliche Wirtschaftsweise (Neolithikum) zu beobachten ist, setzt in Mitteleuropa eine Nahrungsmittelproduktion um 5500 v. Chr. ein, in Nordeuropa erst um 4000 v. Chr. Dieser Übergang von einer aneignenden Wirtschaftsweise zu einer Nahrungsmittel produzierenden Landwirtschaft ging einher entweder mit einer Assimilation oder einer Verdrängung mesolithischer Gruppen, die als Rand- und Mischkulturen zum Teil in der Jungsteinzeit weiterlebten.
 
Literatur:
 
The Mesolithic in Europe, hg. v. S. K. Kozlowski (Warschau 1973);
 M. Zvelebil: Hunters in transition. Mesolithic societies of temperate Eurasia and their transition to farming (Cambridge 1986, Nachdr. ebd. 1990);
 E. Probst: Dtl. in der Steinzeit (1991);
 E. Cziesla: Jäger u. Sammler. Die mittlere Steinzeit im Landkreis Pirmasens (1992);
 
Die Menschen der Steinzeit. Jäger, Sammler u. frühe Bauern, hg. v. G. Burenhult (a. d. Engl., 1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
neolithische Revolution
 
Technik der Frühzeit
 
Altsteinzeit: Am Anfang war das Feuer
 
Jungsteinzeit: Ackerbauern und Viehzüchter
 
Lepenski-Vir-Kultur
 
Mittelsteinzeit: Die Zeit der »Kleinen Steine«
 
Mittelsteinzeit: Hirschjäger und Hechtfischer - Die Maglemosekultur
 
Natufien: Revolutionäre Prozesse im Nahen Osten
 
Mittelsteinzeit: Steinerne Äxte und Beile - Geräte, Waffen und Votive früher Ackerbauern
 

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Mịt|tel|stein|zeit, die: Mesolithikum.

Universal-Lexikon. 2012.