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Brüssel
Hauptstadt von Belgien

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Brụ̈s|sel :
Hauptstadt von Belgien.

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Brụ̈ssel,
 
flämisch Brussel ['brysəl], französisch Bruxelles [bry'sɛl], Haupt- und Residenzstadt von Belgien, Mittelpunkt des Landes, 15-80 m über dem Meeresspiegel auf den Hügeln beiderseits der Zenne vor ihrem Eintritt in die Ebene, 134 000 Einwohner. Die aus der Hauptstadt und 18 weiteren Gemeinden bestehende städtische Agglomeration bildet die Region Brüssel mit 953 200 Einwohner. Die Region Brüssel ist eine zweisprachige Insel im niederländischen Sprachgebiet, der Anteil der Niederländisch sprechenden Bevölkerung wird auf nur 15-30 % geschätzt. Zur Region Brüssel gehören u. a. Schaerbeek (104 800 Einwohner), Anderlecht (87 500 Einwohner), Uccle (74 300 Einwohner) und Ixelles (72 500 Einwohner).
 
Brüssel ist Sitz von Regierung und Verwaltungsbehörden Belgiens, des ständigen Generalsekretariats der Beneluxstaaten, der EU-Kommission, der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) sowie der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) und der Nordatlantischen Versammlung; 40 km südwestlich von Brüssel befindet sich der Sitz des NATO-Hauptquartiers (SHAPE).
 
Als kultureller Mittelpunkt Belgiens hat Brüssel neben den beiden Volluniversitäten (gegründet 1834; 1970 Zweiteilung) drei Teiluniversitäten (»Fakultäten«), Handels- und Wirtschaftshochschulen, Architekturhochschule, Hochschule für Übersetzer und Dolmetscher, die Europäische Universität der Arbeit (gegründet 1979), die Königliche Militärschule, Kunst- und Fachschulen; wissenschaftliche Akademien (die älteste von 1772), Forschungsinstitute, Bibliotheken, Archive, Kunstmuseen (Musées Royaux d'Art et d'Histoire, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique), Architekturmuseum, Erasmusmuseum, naturhistorisches, Militärmuseum, »Auto World« (1986 eröffnetes Automobilmuseum); zahlreiche Theater.
 
Wirtschaft:
 
Brüssel ist eine lebhafte Handelsstadt mit internationalen Messen und Kongressen, Sitz der Nationalbank und vieler bedeutender nationalen und internationalen Handelsunternehmen. Die Industrie Brüssels umfasst neben Textilindustrie (Woll- und Möbelstoffe, »Brüsseler Spitzen«) Metallverarbeitung und Maschinenbau, chemische Industrie sowie vielfältige Nahrungsmittelindustrie. Unmittelbar außerhalb der Stadt hat sich entlang der Kanäle auch Schwerindustrie angesiedelt. Bemerkenswert ist die Niederlassung junger Hochtechnologiefirmen in Gewerbe-, Technologie- und Forschungsparks um die städtische Agglomeration. Das Geschäftsleben und der Fremdenverkehr konzentrieren sich heute auf die Altstadt zwischen Nord- und Zentralbahnhof sowie auf das Viertel um die Galerie Louise südlich des Justizpalastes.
 
Verkehr:
 
Brüssel ist Mittelpunkt des belgischen Eisenbahn- und Straßennetzes und eines bedeutenden internationalen und interkontinentalen Luftverkehrs. Seine Häfen sind durch den bereits 1550-61 angelegten Brüssel-Rupel-Kanal (heute für Seeschiffe bis 2 000 BRT) mit Antwerpen verbunden, durch einen Binnenkanal mit dem Industriegebiet von Charleroi; U-Bahn seit 1976; TGV-Verbindungen nach Lille und Paris.
 
Stadtbild:
 
Den Mittelpunkt der Unterstadt bildet die Grand' Place (UNESCO-Weltkulturerbe); das spätgotische Rathaus (1402 begonnen) mit 96 m hohem Turm (1455 vollendet) ist eines der größten Belgiens. Rings um den Platz reihen sich Zunfthäuser; die mittelalterlichen Gebäude fielen der Beschießung durch die Franzosen (1695) zum Opfer, wurden aber in kurzer Zeit wieder aufgebaut. Gegenüber dem Rathaus steht das »Maison du Roi« (ehemaliges »Brothaus«, heute Museum), das 1871-96 nach alten Stichen des Vorgängerbaus (16. Jahrhundert) im Stil der flandrischen Spätgotik wieder hergestellt wurde. Das »Haus der Herzöge« an der Südostseite des Platzes ist aus ursprünglich sechs Zunfthäusern zusammengefasst; in Marktnähe Brunnen mit Bronzestatuette des »Manneken-Pis« von J. Duquesnoy der Ältere (1619). Die Galeries Saint-Hubert (1847) ist eine der ältesten überdachten Ladenstraßen Europas. In der Unterstadt liegt die gotische Kirche Notre-Dame-de-la-Chapelle (1216-1483).
 
Am Westabhang der Oberstadt erheben sich die Kathedrale Saint-Michel (früher Gudulakirche), eine dreischiffige Kirche im Stil der französischen Gotik (1226-1665), und die Kirche Notre-Dame-du-Sablon im Flamboyantstil (15.-16. Jahrhundert). Auf dem Höhenrand der Oberstadt verläuft die seit 1774 bebaute Rue Royale mit dem Nationalpalast (1779-83), dem Königlichen Palast (1740-87, mehrfach verändert) und der klassizistischen Kirche Saint-Jacques-sur-Coudenberg (1776-85). Weiter südlich liegt der Justizpalast (1866-83 von J. Poelaert), der größte Monumentalbau des 19. Jahrhunderts, ein Musterbeispiel des Historismus. Für die Weltausstellung von 1958 wurde das Atomium errichtet. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im Stadtzentrum tief greifende städtebauliche Eingriffe vorgenommen, die bis in die heutige Zeit andauern und den ursprünglichen, heute nur noch in wenigen Teilen vorhandenen Charakter der Stadt stark verändert haben.
 
Geschichte:
 
Brüssel (der Name »Bruocsella« ist seit dem 7. Jahrhundert belegt) entstand um eine Ende des 10. Jahrhunderts errichtete Burg der Grafen von Löwen (später Herzöge von Brabant), die auf einer Insel der Zenne lag. Im 11. Jahrhundert verlegten die Grafen ihren Sitz auf den Koudenberg. Die sich zwischen beiden Burgen entwickelnde Siedlung wurde schon zu dieser Zeit als Handelsposten bezeichnet, der von seiner günstigen Lage am Übergang der Handelsstraße Köln-Brügge über die Zenne profitierte. Um 1100 wurden diese Siedlung sowie weitere um die Burgen liegende Siedlungskerne mit einer Ringmauer umgeben. Seit dem 12. Jahrhundert erlangte die Tuchindustrie ein ständig wachsendes wirtschaftliches Gewicht. Nach mehreren Aufständen der Zunftbürger erreichten die Zünfte 1421 Mitspracherecht in der städtischen Verwaltung.
 
Mit der Übernahme der Herrschaft in Brabant durch die Herzöge von Burgund (1430) wuchs Brüssel, bis dahin einer der sieben (später vier) Hauptorte Brabants, zur Hauptstadt des weiträumigen Territoriums. Bereits im 14. Jahrhundert waren aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs (Tuchgewerbe und Tuchhandel, Handel mit Erzeugnissen des Kunsthandwerks; Brüssel war Zentrum der flämischen Bildwirkerei) mehrere außerhalb des Mauerrings gelegene Vororte entstanden, die mit dem Bau einer neuen Mauer (1357-79) in die Stadt mit einbezogen wurden.
 
Unter den Habsburgern wurde Brüssel, seit 1530 neu befestigt, die Hauptstadt der Niederlande. Während des niederländischen Freiheitskampfes ließ Herzog von Alba hier am 5. 6. 1568 die Grafen Egmont und Horne hinrichten. 1576 schloss sich Brüssel dem niederländischen Aufstand an, wurde aber 1585 nach langer Belagerung durch spanische Truppen zurückerobert. Der Freiheitskrieg der Niederlande schädigte die Wirtschaft Brüssels schwer. Durch die Blockade der Scheldehäfen verloren Tuchmacherei und Tuchhandel an Bedeutung. Die Umstellung auf die Produktion von Glas- und Fayencewaren sowie auf Brüsseler Spitzen ging nur langsam vonstatten. In den Kriegen des französischen Königs Ludwig XIV. gegen Spanien wurde die Stadt schwer getroffen. 1695 brannte nach einer Beschießung fast die gesamte mittelalterliche Altstadt ab. Unter der österreichischen Regierung (1713-94) nahm Brüssel einen neuen Aufschwung, v. a. wegen des mit Brüssel als Zentrum entstehenden Wegenetzes. Handelsfirmen und Banken nahmen ihren Sitz in der Stadt (1778 Eröffnung der Börse).
 
Im Verlauf der Französischen Revolutionskriege kam Brüssel 1795 unter französische Herrschaft; es war Hauptstadt des Départements Dyle. Seit 1815 gehörte es, neben Den Haag zweite Hauptstadt, zum Vereinigten Königreich der Niederlande. 1830 ging von Brüssel die Revolution aus, die zur Bildung des Königreichs Belgien führte, dessen Hauptstadt Brüssel wurde. Den in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung, v. a. durch die Entstehung von Industriebetrieben, förderte das auf die Hauptstadt ausgerichtete belgische Eisenbahnnetz. In beiden Weltkriegen war die Stadt von deutschen Truppen besetzt. Im Zweiten Weltkrieg erlitt sie durch Luftangriffe schwere Schäden. Nach 1945 war Brüssel einer der Streitpunkte im flämisch-wallonischen Sprachenstreit. Im Zuge der schrittweisen Umwandlung Belgiens in einen Bundesstaat (zwischen 1970 und 1988/93) erhielt Brüssel den Status einer eigenen, zweisprachigen Region.
 
Literatur:
 
L. Verniers: Bruxelles et son agglomération de 1830 à nos jours (Brüssel 1958);
 L. Verniers: Un millénaire d'histoire de Bruxelles. Depuis les origines jusqu'en 1830 (ebd. 1965);
 B. Jouret: Définition spatiale du phénomène urbain bruxellois (ebd. 1972);
 W. Krings: Innenstädte in Belgien (1984);
 
La région de Bruxelles. Des villages d'autrefois à la ville d'aujourd'hui, hg. v. A. Smolar-Meynart u. a. (Brüssel 1989);
 H. Gaigl: B. von den Anfängen zur Gegenwart (1993).
 

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Brụ̈s|sel: Hauptstadt von Belgien.

Universal-Lexikon. 2012.