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Strahlenschaden
Strah|len|scha|den 〈m. 4u〉 = Strahlenschädigung

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Strah|len|scha|den, der, Strah|len|schä|di|gung, die (Physik, Med.):
durch Einwirkung ionisierender Strahlen bes. an lebenden Organismen hervorgerufener Schaden.

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Strahlenschäden,
 
1) Festkörperphysik und Werkstoffkunde: dauerhafte Eigenschaftsveränderungen in Festkörpern, verursacht durch die Einwirkung energiereicher Strahlung (z. B. Gammastrahlung, Alphateilchen, Protonen, Neutronen, Elektronen, Ionen). Strahlenschäden treten z. B. unter dem Einfluss radioaktiver Strahlung (z. B. in Kernreaktoren), der kosmischen Strahlung (bei Raumfahrzeugen) oder der Strahlung bei Experimenten der Hochenergiephysik (in Detektorbauteilen) auf. Sie beruhen v. a. auf einer durch die Bestrahlung erzeugten Fehlordnung, besonders auf Bildung von Frenkel-Defekten entlang den Bahnen der einfallenden Teilchen (beziehungsweise Strahlungsquanten). Während Gammaquanten und Elektronen weniger wirksam sind, erzeugen Protonen, Neutronen und Ionen bei hinreichender Energie und Intensität hohe Defektdichten.
 
Strahlenschäden können die mechanischen, elektrischen, optischen und chemischen Eigenschaften von Materialien und Werkstoffen (in der Regel nachteilig) verändern, z. B. in Form von Materialversprödung, Blasenbildung an der Oberfläche, Verringerung der elektrischen und thermischen Leitfähigkeit. Chemische Materialveränderungen ergeben sich durch Kernumwandlungen, die von einfallender Strahlung induziert werden. Schon bei geringen Konzentrationen von Strahlenschäden kann die elektronische Funktion von Halbleiterbauelementen beeinträchtigt werden, v. a. dann, wenn sich der Leitfähigkeitscharakter (p- oder n-leitend) von dotiertem Material unter der Einwirkung ionisierender Strahlung verändert. Strukturelle Strahlenschäden in Kristallen können, zumindest teilweise, durch Wärmebehandlung (gegebenenfalls bis in die Nähe des Schmelzpunkts) wieder beseitigt werden (Ausheilen von Strahlenschäden). Unter Umständen kann die Erzeugung von Strahlenschäden auch konstruktiv eingesetzt werden, z. B. zur Erhöhung der Festigkeit bestimmter Werkstoffe und bei der Ionenimplantation zur Dotierung von Halbleitern.
 
 2) Medizin: durch Strahlenwirkung verursachte Schädigungen von Organismen, im Bereich der Lichtstrahlung in Form der Lichtschäden der ungeschützten Haut, auch der Augen (ähnliche Wirkungen außerdem durch Mikrowellen und Radarstrahlen); im engeren Sinn jedoch die durch ionisierende Strahlung hervorgerufenen Veränderungen des Gewebes.
 
Bei erhöhten Strahlenexpositionen kann es zu Strahlenschäden kommen, wobei zwischen Früh- und Spätschäden sowie Erbschäden unterschieden wird. Körperliche (somatische) Früh- und Spätschäden treten bei den Bestrahlten selbst auf. Erbschäden können nicht nur bei den direkten Nachkommen, sondern auch in späteren Generationen manifest werden. Frühschäden äußern sich unmittelbar bis einige Wochen nach der Bestrahlung, Spätschäden unter Umständen noch nach jahrzehntelanger Latenzzeit. Außerdem unterscheidet man deterministische und stochastische Strahlenschäden infolge ionisierender Strahlung. Deterministische (früher nichtstochastische) Strahlenwirkung führt zu einem Funktionsverlust des bestrahlten Organs oder Gewebes, wenn durch die Strahlung genügend Zellen getötet oder an der Vermehrung und der normalen Funktion gehindert werden. Dieser Organfunktionsverlust wird umso schwerwiegender, je größer die Anzahl der betroffenen Zellen ist. Da viele Organe und Gewebe bei einer geringen Verminderung der Zahl der funktionsfähigen Zellen in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden, besteht für deterministische Strahlenwirkungen eine Schwellendosis, die überschritten sein muss, damit eine Wirkung eintritt. Bei Strahlendosen oberhalb dieser Schwelle steigt der Schweregrad der Erkrankung steil an. Die stochastische Strahlenwirkung ionisierender Strahlung, bei der die Wahrscheinlichkeit, dass sie auftritt, jedoch nicht ihr Schweregrad, eine Funktion der Dosis ist, besitzt keine Schwellendosis. In dem für Strahlenschutzzwecke relevanten Dosisbereich gehören vererbbare Schäden sowie Krebs und Leukämie zu den stochastischen Strahlenwirkungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass stochastische Strahlenschäden auftreten, ist bei einer Bestrahlung für die einzelnen Organe oder Gewebe sehr unterschiedlich. Die Internationale Strahlenschutzkommission gibt für eine Ganzkörperbestrahlung einen Wert von 5 % je Sv an. Der Risikokoeffizient für schwerwiegende vererbbare Schäden beträgt für die ersten beiden Folgegenerationen 0,4 · 10-2 je Sv Gonadendosis (von den Keimdrüsen absorbierte Strahlendosis), für alle folgenden Generationen 1 · 10-2 je Sievert.
 
 Formen
 
Zu den deterministischen Strahlenfrühschäden gehört der Strahlenkater (Strahlenintoxikation, Röntgenkater), der bei Ganzkörperbestrahlung etwa ab einer Energiedosis von 0,5 Gy nach einigen Stunden auftreten kann und sich in Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Schwindelgefühl äußert. Bei örtlicher Bestrahlung mit 3-4 Gy tritt eine akute Strahlendermatitis, eine entzündliche Hautreaktion mit Hautrötung, vorübergehendem Funktionsausfall der Talgdrüsen, Haarausfall und Pigmentflecken auf; bei höheren Dosen kommt es zu bleibendem Verlust von Haaren und Nägeln, Verbrennungen mit Blasenbildung und Geschwüren (Strahlenulkus) mit geringer Heilungsneigung. Zu den Folgeerscheinungen gehören Hautschäden (Strahlen- oder Röntgendermatosen) in Form von Gewebevernarbungen und trockener, verletzlicher dünner Haut. Von akuten Organschäden sind u. a. Lunge (Strahlenpneumonitis), Harnblase (Strahlennephritis), Knochenmark und Darm betroffen. Schädigungen der Keimdrüsen können zu Sterilität führen. Als Folge einer Ganzkörper- oder umfangreichen Teilkörperbestrahlung treten in Abhängigkeit von Strahlendosis und individueller Strahlenempfindlichkeit (ab einer Dosis von etwa 1 Gy) unterschiedliche Ausprägungen des Strahlensyndroms (Strahlenkrankheit) auf. An den Strahlenkater schließen sich Symptome wie Fieber, Durchfälle, Blutungen, Haarausfall, Infektionen, Resorptionsstörungen, Störungen des Wasser- und Salzhaushaltes sowie Geschwüre in Mund, Rachen und Magen-Darm-Bereich an; nach sehr hohen Dosen (> 30 Gy) treten Hirnödeme, Hirnnekrosen und Funktionsstörungen im Herz-Kreislauf-System auf. Werden keine ärztlichen Maßnahmen ergriffen, ist damit zu rechnen, dass innerhalb der ersten 60 Tage nach einer kurzzeitigen Ganzkörperexposition mit etwa 2,5-3 Gy 50 % der so exponierten Personen sterben werden; 7 Gy werden unbehandelt nur von sehr wenigen Menschen überlebt. Durch intensive ärztliche Maßnahmen können viele Menschen vor dem akuten Strahlentod bewahrt werden.
 
Einen deterministischen Spätschaden nach einer Latenzzeit von 1 bis 2 Jahren stellt auch die nach Bestrahlung der Augenlinse mit mehr als 6 Gy auftretende Linsentrübung (Strahlenkatarakt, Strahlenstar) dar. Deterministische Strahlenschäden können auch beim Ungeborenen auftreten, dies gilt insbesondere für die Zeit der 8.-15. Schwangerschaftswoche mit einer Schwellendosis von etwa 0,1 Sv und der 16.-25. Woche mit einer Schwellendosis von 0,4 Sv. Typ. Embryonalschäden sind Mikrozephalie (verminderte Schädelgröße) und geistige Behinderung. Eine sehr hohe Strahlenbelastung vor Einnisten des Embryos in die Gebärmutter führt ebenso wie im Frühstadium der Embryonalperiode meist zum Embryonaltod.
 
Zu den wichtigsten stochastischen Strahlenspätschäden gehört der nach jahre- oder jahrzehntelanger Latenz in verschiedenen Formen auftretende Strahlenkrebs, z. B. als Lungenkrebs durch langfristiges Einatmen radioaktiver Gase und Stäube oder als Leukämie und Hautkrebs (Basaliome, Plattenepithelkarzinome), die besonders zu Beginn der Anwendung von Röntgenstrahlen durch mangelnde Strahlenschutzvorkehrungen in Form des Röntgenkarzinoms auftraten, sowie als Schilddrüsenkarzinome und Sarkome (z. B. Osteo-, Myosarkome). Ebenfalls einen stochastischen Effekt stellen die Schäden des Erbgutes in den Keimzellen dar, die auf weitere Generationen vererbt werden können. Man rechnet bei einer Gonadendosis von 0,01 Sv mit insgesamt 63 Betroffenen je 1 Mio. Neugeborene in der ersten Generation und insgesamt 185 Betroffenen in allen nachfolgenden Generationen.
 
Die Behandlung von Strahlenschäden beschränkt sich auf symptomatische Maßnahmen (Ruhigstellen, Infektionsprophylaxe, Bluttransfusionen, Infusionen) und eine Stärkung des Immunsystems. - Der Verhinderung von Strahlenschäden im medizinischen und technischen Bereich dienen die Maßnahmen des Strahlenschutzes.
 
Literatur:
 
Reaktorunfälle u. nukleare Katastrophen, hg. v. R. Kirchhoff u. H.-J. Linde (31987);
 
Wirkungen nach pränataler Bestrahlung, bearb. v. D. Gumprecht u. A. Kindt (21989);
 
Der Strahlenunfall. Ein Leitf. für Erstmaßnahmen, bearb. v. D. Gumprecht u. a. (1996);
 H. Fritz-Niggli: Strahlengefährdung, Strahlenschutz (Bern 41997).

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Strah|len|scha|den, der, Strah|len|schä|di|gung, die (Physik, Med.): durch Einwirkung ionisierender Strahlen bes. an lebenden Organismen hervorgerufener Schaden.

Universal-Lexikon. 2012.