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Supraleitung
Sụ|p|ra|lei|tung [ supra- u. elektrischer Leiter]; Syn.: Superleitfähigkeit: Bez. für die Eigenschaft mancher metallischer, oxidkeramischer u. selbst org. Stoffe (Supraleiter), bei Abkühlung unter eine stoffspezif. Temp. Tc (Sprungtemperatur) ihren elektr. Widerstand zu verlieren, den elektr. Strom verlustfrei zu leiten u. ein Magnetfeld aus ihrem Inneren zu verdrängen. Aufgrund ihres magnetischen u. thermischen Verhaltens unterscheidet man Supraleiter 1. Art (metallische Elemente außer Nb, V, Zr), 2. Art (Nb, V, Zr sowie ihre Leg., z. B. Nb3Sn mit Tc = 18 K), Chevrel-Phasen (z. B. Mo6S8Pb mit Tc = 16 K), Verb. wie MgB2 (Tc = 39 K) u. die sog. Hochtemperatursupraleiter (HTS, z. B. YBa2Cu3O7 mit Tc = 92 K oder Tl2Ca2Ba2Cu3O10 mit Tc = 125 K). An der Tieftemp.-S. sind nach der BCS-Theorie Cooper-Paare, an der Hochtemp.-S. die gleichen oder andere Quasiteilchen (Bipolaronen) beteiligt. Supraleitende Magnete finden Einsatzmöglichkeiten in Hochenergiephysik, physikal. Analyse, med. Diagnostik, Kryoelektronik u. zur Strahlungs- u. Magnetfeldmessung.

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Supraleitung,
 
das physikalische Phänomen, dass bestimmte Materialien, die Supraleiter, unterhalb einer für das betreffende Material charakteristischen, meist sehr niedrigen Temperatur, der kritischen Übergangstemperatur Tc, sprunghaft in einen Zustand übergehen, in dem sie keinen messbaren elektrischen Widerstand mehr besitzen und damit supraleitend werden. Die Supraleitung tritt in metallischen Systemen auf, die also über Leitungselektronen verfügen. Der supraleitende Zustand ist neben dem widerstandslosen, d. h. verlustfreien Stromtransport (Suprastrom) durch weitere bemerkenswerte Eigenschaften gekennzeichnet. Beim Phasenübergang in den supraleitenden Zustand wird ein nicht zu großes Magnetfeld aus dem Innern des Supraleiters teilweise oder vollständig verdrängt (Meißner-Ochsenfeld-Effekt). In Magnetfeldern und bei Belastung mit elektrischen Strömen ist der supraleitende Zustand nur bis zu bestimmten Grenzen, der kritischen magnetischen Feldstärke Hc beziehungsweise der kritischen Stromstärke Ic, stabil. Bei Überschreiten dieser Werte wird das Material normal leitend. Für die Wärmeleitfähigkeit zeigen sich unterschiedliche Werte im normal leitenden und supraleitenden Zustand, und die spezifische Wärmekapazität weist bei Tc einen unstetigen Sprung in der Temperaturabhängigkeit auf.
 
Aus Messungen der spezifischen Wärmekapazität konnte man schließen, dass im Supraleiter mit abnehmender Temperatur ein Zustand höherer Ordnung aufgebaut wird. Da keine Änderungen im atomaren Gitteraufbau der Supraleiter festgestellt werden, muss die Ordnung im System der freien Ladungsträger auftreten. Die Natur des Ordnungsvorgangs wurde erst durch die BCS-Theorie als mikroskopische, quantenmechanische Theorie der Supraleitung verstanden. Unterhalb von Tc werden die Elektronen durch eine anziehende Wechselwirkung, die durch die Quanten der Gitterschwingungen, die Phononen, vermittelt wird (Elektron-Phonon-Wechselwirkung), zu Elektronenpaaren korreliert. Diese Paarung erfolgt aber im Impulsraum, d. h. die beiden Elektronen können weit auseinander liegen. Waren die ungepaarten Elektronen Fermionen, so sind die neuen, spinlosen Quasiteilchen Bosonen und unterliegen somit nicht mehr dem Pauli-Prinzip. Diese Cooper-Paare besetzen alle einen einzigen quantenmechanischen Zustand, den Grundzustand des Supraleiters, in dem sie nicht gestreut werden und so zur widerstandslosen Stromleitung führen. Die Bindungsenergie der Cooper-Paare äußert sich in einer charakteristischen Energielücke zwischen dem Grundzustand und den darüber liegenden Zuständen für ungepaarte Elektronen.
 
Phänomenologische Ansätze zum Verständnis der Supraleitung lieferten zuvor die londonsche Theorie (für Supraleiter 1. Art) sowie die umfassendere Ginsburg-Landau-Theorie. Diese zeigt, dass es bezüglich des Verhaltens in einem Magnetfeld zwei Arten von Supraleitern gibt, die Supraleiter 1. und 2. Art. Letztere sind die für die Anwendungen wichtigen Materialien, weil sie auch noch in starken Magnetfeldern und bei großen Belastungsströmen supraleitend bleiben können.
 
Wegen des extrem geringen Widerstandes können in supraleitenden Ringen Dauerströme fließen. Diese unterliegen einer Quantenbedingung, nach der der magnetische Fluss durch den Ring nur ganzzahlige Vielfache des Flussquants annehmen kann (Flussquantisierung). Wenn zwei Supraleiter elektrisch nur schwach gekoppelt sind, z. B. durch eine sehr dünne Isolierschicht (Tunnelkontakt) oder durch eine sehr kleine Berührfläche (Punktkontakt), treten die Josephson-Effekte auf.
 
1986 wurden Materialien mit wesentlich höheren Werten für TC entdeckt (Hochtemperatur-Supraleitung). Sie zählen zu der neuen Materialklasse der unkonventionellen oder exotischen Supraleiter, deren Verhalten durch die etablierte BCS-Theorie nicht ohne weiteres erklärt wird. In vielen Fällen scheint es eine Koexistenz von Magnetismus und Supraleitung zu geben. Es gilt aber als gesichert, dass auch bei ihnen die Supraleitung darauf beruht, dass ein einziger quantenmechanischer Zustand makroskopisch von Ladungspaaren besetzt wird.
 
Anwendungen:
 
Mit Supraleitern 2. Art werden Magnete (supraleitende Magnete) gebaut, die mit Normalleitern nicht realisierbar sind und sehr hohe magnetische Kraftflussdichten (über 20 Tesla mit Nb3Sn) erreichen. Für die Messtechnik können extrem empfindliche Magnetfeldmesser gebaut werden. Mit SQUIDs können Magnetfelder mit einer Kraftflussdichte von nur 10-14 Tesla gemessen werden. Die hohe Empfindlichkeit ermöglicht biomagnetische Messungen der Herz- und Gehirntätigkeit. - Weitere Anwendungen, etwa für empfindliche Strahlungsmesser, nutzen die scharfe Änderung des elektrischen Widerstandes mit der Temperatur beim Übergang in den supraleitenden Zustand aus. Auch dämpfungsarme Hochfrequenzresonatoren und -antennen (z. B. für die Mikrowellentechnik) werden aus Supraleitern gebaut. Da Frequenzen sehr genau gemessen werden können, verwendet man die Frequenz des Josephson-Wechselstroms zur Bestimmung der elektrischen Spannung. Auf dieser Basis werden Spannungsnormale gebaut (1 mV am Josephson-Kontakt entspricht einer Frequenz von 4,85 · 1011 Hz). Generell unterstützt die Verwendung von Supraleitern die Miniaturisierung von Bauteilen, was sowohl in der Elektronik (Supercomputer) als auch in Standardtechniken (z. B. Platzbedarf von Stromkabeln) von großer Bedeutung ist.
 
Geschichte:
 
Das Phänomen der Supraleitung wurde 1911 von H. Kamerlingh Onnes entdeckt (Nobelpreis 1913) und 1914 durch Dauerstromexperimente als Zustand praktisch völliger Widerstandslosigkeit aufgezeigt. Nachdem bereits W. H. Keesom (1924), C. J. Gorter (1933) u. a. die Thermodynamik auf den Übergang vom normal leitenden zum supraleitenden Zustand angewandt und 1933 F. W. Meissner und R. Ochsenfeld den heute nach beiden benannten Effekt entdeckt hatten, gaben 1934 Gorter und H. B. G. Casimir mithilfe eines Zweiflüssigkeitenmodells für die Leitungselektronen eine vollständige thermodynamische Behandlung dieser Phasenumwandlung. F. und H. London (ab 1934) sowie M. von Laue (1949) entwickelten eine phänomenologische Theorie der elektrodynamischen Eigenschaften von Supraleitern. 1950 folgten W. L. Ginsburg und L. D. Landau mit ihrer Theorie, die 1957 von A. A. Abrikossow erweitert und 1959 von Lew Petrowitsch Gorkow (* 1929) mit quantenfeldtheoretischen Methoden begründet wurde; diese GLAG-Theorie lieferte die Grundlagen zum Verständnis der Supraleitung 2. Art. 1950 erkannten H. Fröhlich und J. Bardeen die Bedeutung der Elektron-Phonon-Wechselwirkung für den Mechanismus der Supraleitung und leiteten die daraus resultierende Wechselwirkung der Elektronen ab. Auf dieser Grundlage und dem Konzept der 1956 von L. N. Cooper postulierten Cooper-Paare beruht die 1957 von Bardeen, Cooper und J. R. Schrieffer veröffentlichte BCS-Theorie, mit der sich alle Erscheinungen der Supraleitung erklären ließen (Nobelpreis 1972). Die von ihnen vorausgesagte Lücke im Energiespektrum wurde 1960/61 von I. Giaever experimentell gefunden. 1961 sagte B. D. Josephson die nach ihm benannten Effekte voraus (Nobelpreis 1973). Nachdem ab 1970 Nb3Ge der Supraleiter mit der höchsten Übergangstemperatur von 23,2 K war, entdeckten J. G. Bednorz und K. A. Müller 1986 die neuen Materialien der Hochtemperatur-Supraleitung mit wesentlich höheren Übergangstemperaturen (Nobelpreis 1987), die heute zum Teil jenseits der Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff bei 77 K (—196 ºC) liegen. Damit wird eine für die großflächige Anwendung wichtige Schallmauer durchbrochen: Stickstoffkühlung ist weitaus billiger und praktikabler als Heliumkühlung. Die Raumtemperatur-Supraleitung bleibt vorerst noch ein Wunschtraum, es gibt aber nach derzeitigem Kenntnisstand zumindest keine prinzipiellen Probleme mehr, die sie verbieten würden.
 
Literatur:
 
F. London: Superfluids, Bd. 1: Macroscopic theory of superconductivity (New York 21961);
 W. Buckel: S. Grundlagen u. Anwendungen (51994);
 J. B. Ketterson u. S. N. Song: Superconductivity (Cambridge 1999);
 J. R. Schrieffer: Theory of superconductivity (Neudruck Reading, Mass., 1999);
 
Applications of superconductivity, hg. v. Harold Weinstock (Dordrecht 2000);
 C. P. Poole: Handbook of superconductivity (San Diego, Calif., 2000);
 D. R. Tilley u. J. Tilley: Superfluidity and superconductivity (Bristol 32001);
 
Proceedings of the Third International Conference on New Theories, Discoveries and Applications of Superconductors and Related Materials, hg. v. J. D. Fan u. a. (Amsterdam 2001);
 
Supraleitung. Eine Komponente zukünftiger Energieversorgung? (2001).

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Su|pra|leit|fä|hig|keit, die, Su|pra|lei|tung, die (Elektrot.): unbegrenzte elektrische Leitfähigkeit bestimmter Metalle bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt.

Universal-Lexikon. 2012.