Alkoholkrankheit,
Alkoholịsmus der, -, chronischer Alkoholmissbrauch, Trunksucht, durch ständiges oder vermehrtes periodisches Trinken von Alkohol hervorgerufene chronische Krankheit mit körperlicher, psychischer und sozialer Schädigung. Die Alkoholkrankheit zieht sich meist über viele Jahre hin und führt unbehandelt häufig zum Tod. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Alkoholkranke Trinker mit einer solchen Abhängigkeit, dass gesundheitliche, seelische und zwischenmenschliche Störungen auftreten und die sozialen und wirtschaftlichen Funktionen des Menschen beeinträchtigt sind. Als Ursache werden die Lebensbedingungen in Industriegesellschaften, das Lernen von Trinkmustern bereits in der Jugend (Alkoholkonsum in der Familie), bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, aber auch die soziale Situation und psychische Einflüsse (z. B. Krisensituation bei Arbeitslosigkeit) angenommen. Außerdem wird ein genetischer Defekt der Alkoholdehydrogenase diskutiert. Man kann davon ausgehen, dass nicht allein die Eigenschaften des Alkohols (auch nicht in Abhängigkeit von der Menge) zur Alkoholkrankheit führen, sondern v. a. die genetisch und lebensgeschichtlich bedingte Disposition sowie das soziale Umfeld.
Unterschieden wird zwischen dem gewohnheitsmäßigen, nichtabhängigen Alkoholkonsumenten und dem abhängigen Alkoholkranken, der an Kontrollverlust (Unfähigkeit, vor dem Vollrausch mit dem Trinken aufzuhören) oder einer Unfähigkeit zur Abstinenz leidet. Eine beginnende Abhängigkeit wird durch bestehende Trinksitten meist lange verschleiert. Es gibt mehrere Einteilungen für das Trinkverhalten von Alkoholkranken. Eine der bekanntesten Typologien unterteilt in 5 Stadien.
Der aufgenommene Alkohol wird größtenteils in der Leber abgebaut, wobei eine gesunde Leber maximal 170 g (reinen) Alkohol je Tag metabolisieren kann. In der Leber gibt es 2 Alkohol abbauende Enzyme: die Alkoholdehydrogenase (ADH) und das mikrosomale Ethanol oxidierende System (MEOS). Sie verwandeln den Alkohol zunächst in Azetaldehyd. Dieser wird mithilfe der Azetaldehydrogenase über Azetat in Kohlensäure und Wasser abgebaut. Werden größere Alkoholmengen konsumiert, nimmt die Aktivität von MEOS stark zu, während sich die ADH nicht verändert. Damit kann der Alkoholkranke vermehrt Alkohol abbauen. Dies hat allerdings den Nachteil, dass er immer mehr trinken muss, um seinen Blutalkoholspiegel und damit die Alkoholwirkung im gewünschten Bereich zu halten. Durch den gesteigerten Alkoholabbau wird auch vermehrt Azetaldehyd gebildet, der als hochtox. Substanz gilt. Es gibt (fast) kein Organsystem, das nicht durch Alkoholmissbrauch geschädigt werden kann.
Zu den wichtigsten Symptomen der Alkoholkrankheit gehören die chronischen Magenschleimhautentzündung, Magen-Darm-Geschwüre, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Fettleber, Leberzirrhose, Entzündungen der peripheren Nerven (Alkoholpolyneuropathie), Schrumpfung der Kleinhirnrinde und auch des Großhirns sowie epileptische Anfälle. Die wichtigsten psychiatrischen Komplikationen sind das Delirium tremens (Säuferwahnsinn), das in der Regel nach Alkoholentzug auftritt, die Alkoholhalluzinose (krankhafte Sinnestäuschungen, »weiße Mäuse«), das Korsakow-Syndrom (Merkfähigkeitsschwäche, Orientierungsverlust, Konfabulationen) und der Eifersuchtswahn.
Bei der Behandlung der Alkoholkrankheit kommt dem ärztlichen Gespräch eine große Bedeutung zu. Dabei müssen die Probleme des Patienten, die für sein Trinkverhalten bestimmend sind, erörtert werden, und es muss auch gelingen, bei dem Patienten die Verschleierungs- und Verdrängungstendenzen abzubauen. Daran schließt sich die Entgiftungsphase an. Sie ist immer dann nötig, wenn mit dem Auftreten von beträchtlichen Entzugserscheinungen (schwere körperliche und psychische Störungen) gerechnet werden muss. Die Entzugskur wird deshalb stationär durchgeführt, um auch erneutem Alkoholkonsum vorzubeugen. Die darauf folgende Entwöhnungsbehandlung hat die völlige Alkoholabstinenz zum Idealziel. Das so genannte kontrollierte Trinken ist bei Gamma-, Delta- und Epsilontrinkern nicht möglich. Die Behandlung strebt außerdem den Abbau alter Fehlverhaltensweisen und den Aufbau neuer, positiver Einstellungen an. Natürlich müssen auch Bezugspersonen in die Behandlung einbezogen werden. Die medikamentöse Entwöhnungsbehandlung beschränkt sich (zurzeit noch) im Wesentlichen auf so genannte Alkohol sensibilisierende Medikamente (zurzeit Disulfiram). Sie bewirken, dass der Abbau des Alkohols auf der ersten Stoffwechselstufe, dem Azetaldehyd, blockiert wird, sodass es zu einer Anreicherung dieser toxischen Substanz im Körper kommt, sofern Alkohol getrunken wird. Dies führt zu einer Reihe von subjektiv unangenehmen und objektiv unter Umständen nicht unbedenklichen Wirkungen. Davon frei ist die medikamentöse Unterstützung der Rückfallfreiheit durch Acamprosat (Handelsname: Campral), das die Verstoffwechselung des Alkohols nicht beeinflusst. Campral ist ein Psychopharmakon, das durch eine Wirkung auf Übertragungsprozesse im Gehirn mittels Glutamat und Gammaaminobuttersäure (GABA) das krankhaft gesteigerte Verlangen nach Alkohol dämpft.
Eine sehr wirksame Methode ist auch die Gruppentherapie. Sie dient der Verbesserung des Selbstwertgefühls, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Selbstkontrolle sowie der Bildung und Stärkung der Gewissensinstanz des Kranken. In Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker) können geheilte Alkoholkranke mit ihren Erfahrungen Kranken gut helfen. Bei Menschen mit mangelnder Behandlungsbereitschaft oder fehlendem Therapieerfolg hat der uneingeschränkte Alkoholkonsum sehr oft soziale Folgen. Es kommt zu Problemen am Arbeitsplatz, zu familiären Konflikten und in der Folge zur Isolation. Der soziale Abstieg, oft verbunden mit Kriminalität, kann auch zu zivil- beziehungsweise strafrechtliche Konsequenzen führen.
In den meisten industrialisierten Ländern wird die Häufigkeit der Alkoholkrankheit auf etwa 3-5 % der Bevölkerung geschätzt, wobei der Anteil an Frauen und Jugendlichen zunimmt. Das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt bei der Alkoholkrankheit etwa 3:1. Die Lebenserwartung der Alkoholkranken ist gegenüber der der Normalbevölkerung stark reduziert, bei Männern etwa um 15 %, bei Frauen um 12 %. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Alkoholkranken wurde in Deutschland 1993 auf 2,5 bis 3 Mio. geschätzt, die Zahl der stark alkoholgefährdeten beziehungsweise alkoholabhängigen Kinder und Jugendlichen auf 0,5 Mio. Auch das weist auf die große gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Alkoholkrankheit hin.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Alkoholvergiftung · Anonyme Alkoholiker · Blutprobe · Guttemplerorden · Rauschgifte · Sucht
W. Feuerlein: Alkoholismus - Mißbrauch u. Abhängigkeit (41989);
L. Schlüter-Dupont: Alkoholismus - Therapie (21990);
L. Schmidt: A. u. Alkoholmißbrauch (31993);
H. Harsch: Alkoholismus (51993);
K. Mann: Alkohol u. Gehirn (1993);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Sucht und Suchtkrankheiten
Universal-Lexikon. 2012.