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Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis,
 
in Art. 10 GG normierte Grundrechte. Der sachliche Schutzbereich erstreckt sich für das Briefgeheimnis über Briefe im Sinne des Postrechts hinaus auf schriftliche Mitteilungen aller Art. Eigenständige Bedeutung erlangt das Brief- neben dem Postgeheimnis nur, soweit die schriftliche Mitteilung nicht durch die Deutsche Post AG (Post) befördert wird. Das Fernmeldegeheimnis schützt den Inhalt der Telekommunikation (d. h. Nachrichten aller Art, die in Zeichen, Sprache, Bildern oder Tönen mit Telekommunikationsanlagen ausgesandt, übermittelt oder empfangen werden) und ihre näheren Umstände vor staatlichem Zugriff, unabhängig davon, ob diese durch die Deutsche Telekom AG (Telekom) oder andere vermittelt wird. Vor dem Zugriff durch Private schützt Art. 10 GG als gegen den Staat gerichtetes Abwehrrecht nicht; eine Beeinträchtigung durch Private wird jedoch strafrechtlich sanktioniert. So stellt § 201 StGB die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, insbesondere durch Abhörgeräte unter Strafe. § 202 StGB bedroht den mit Strafe, der unbefugt Briefe u. Ä. öffnet oder sich auf andere Art Kenntnis von ihrem Inhalt verschafft. § 206 StGB erfasst die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses durch Inhaber oder Beschäftigte von Post- und Telekommunikationsdiensten.
 
Obwohl der insofern missverständliche Wortlaut des Art. 10 Absatz 1 GG das B.-, P.- und F. für »unverletztlich« erklärt, lässt Art. 10 Absatz 2 GG Beschränkungen zu, die aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Die bestehenden bundes- oder landesrechtlichen Beschränkungen dienen hauptsächlich der Strafrechtspflege. Z. B. ist eine Beschlagnahme der an einen Beschuldigten gerichteten Briefe u. a. Postsendungen bei der Post nach § 99 StPO zulässig. Ebenso ist es nach dieser Vorschrift zulässig, Postsendungen zu beschlagnahmen, bei denen Tatsachen den Schluss zulassen, dass sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind und ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung hat. Die Anordnung der Postbeschlagnahme ist dem Richter, bei Gefahr im Verzug der Staatsanwaltschaft vorbehalten; im letzteren Fall tritt die Beschlagnahme außer Kraft, wenn der Richter sie nicht binnen drei Tagen bestätigt. Die Öffnung der ausgelieferten Gegenstände steht dem Richter zu, der die Befugnisse auf den Staatsanwalt delegieren kann (§ 100 StPO).
 
Die Überwachung der Telekommunikation und ihre Aufnahme auf Tonträger darf angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer der in § 100 a StPO aufgelisteten Straftaten ist, wobei hinzukommen muss, dass die Ermittlungen auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wären. Zu den in § 100 a StPO aufgezählten Straftaten (deren Kreis durch die Gesetze zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 1992 und 1998 erweitert wurde) gehören u. a. Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Tötungsdelikte, Menschenhandel, Geld- und Wertpapierfälschung, Erpressung, gewerbsmäßige Hehlerei. Die Anordnung zur Überwachung der Telekommunikation unterliegt der gleichen Zuständigkeit wie die Postbeschlagnahme. Sie darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass dieser ihren Anschluss benutzt (§ 100 a StPO); sie ist gemäß § 100 b Absatz 2 StPO schriftlich abzufassen und muss Namen und Anschrift des Betroffenen enthalten sowie Art, Umfang und Dauer (grundsätzlich höchstens drei Monate) bestimmen. Von der Postbeschlagnahme sowie von der Überwachung des Fernmeldeverkehrs sind die Beteiligten zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks möglich ist; Sendungen, deren Öffnung nicht angeordnet wurde, sind dem Beteiligten sofort auszuhändigen. Weitere Beschränkungen des B.-, P.- und F. ergeben sich zulasten von inhaftierten Straftätern nach dem Strafvollzugsgesetz Die Beschränkung des B.-, P.- und F. für Untersuchungshäftlinge ist in § 119 Absatz 3 StPO nur generalklauselartig geregelt; das Bundesverfassungsgericht hat dies gebilligt.
 
Der im Rahmen der so genannten Notstandsgesetzgebung 1968 eingefügte Art. 10 Absatz 2 Satz 2 GG ermöglicht weiter gehende Beschränkungen, wenn der Eingriff in das B.-, P.- und F. dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes dient. So kann durch Gesetz bestimmt werden, dass die Beschränkung dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und an die Stelle des Rechtswegs die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Auf dieser Grundlage ist durch das Gesetz zur Beschränkung des B.-, P.- und F. vom 13. 8. 1968 (G 10 oder auch Abhörgesetz genannt) den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesnachrichtendienst (BND) die Befugnis eingeräumt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen und Sendungen, die dem Brief- und Postgeheimnis unterliegen, zu öffnen und einzusehen, wobei dies dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen nicht mitgeteilt und der Rechtsweg durch die Kontrolle seitens eines parlamentarischen Kontrollgremiums ersetzt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im Wesentlichen für zulässig erachtet.
 
Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. 10. 1994 sind die Befugnisse des BND durch Änderung des Gesetzes zu Art. 10 GG erheblich erweitert worden. Zur frühzeitigen Erkennung bestimmter aus dem Ausland drohender schwerer Gefahren (neben der Kriegsgefahr ist das seit 1994 u. a. auch der internationale Terrorismus und der Rauschgifthandel) ist der BND auch zur verdachtsunabhängigen Überwachung der Telekommunikation mit dem Ausland befugt. Die Neufassung des Gesetzes zu Art. 10 GG vom 26. 6. 2001 erweitert den Straftatenkatalog, der eine Überwachung der Telekommunikation in Einzelfällen rechtfertigt, verschärft die parlamentarische Kontrolle, verbessert den Schutz personenbezogener Daten und dehnt die strategische Kontrolle durch den BND auf die glasfasergeleitete internationale Telekommunikation aus.
 
Das österreichische Staatsgrundgesetz schützt in Art. 10 das Briefgeheimnis und in Art. 10 a das Fernmeldegeheimnis; die Beschlagnahme von Briefen darf, außer dem Fall einer gesetzlichen Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kriegsfällen oder aufgrund eines richterlichen Befehls »in Gemäßheit bestehender Gesetze« erfolgen. Im Rahmen bestehender Gesetze darf in das Fernmeldegeheimnis nur aufgrund eines richterlichen Befehls eingegriffen werden. In strafrechtlicher Hinsicht ist das B.-, P.- und F. in den §§ 118 ff. StGB geschützt. In der Schweiz wird das Post- und Fernmeldegeheimnis durch Art. 13 Absatz 1 Bundesverfassung und Art. 5 und 6 des Postverkehrsgesetzes vom 2. 10. 1924 sowie durch Art.15 ff. des Fernmeldegesetzes vom 21. 6. 1991 gewährleistet. Durch Bundesgesetz vom 23. 3. 1979 wurde die Durchbrechung des Briefgeheimnisses zu Strafverfolgungszwecken an strengere Voraussetzungen gebunden, insbesondere an eine richterliche Genehmigung. Die Strafbarkeit der Verletzung des B.-, P.- und F. ergibt sich aus den Art. 179 ff., 400bis StGB. Nicht strafbar macht sich, wer ein Gespräch, das über eine dem Telefonregal unterstehende Telefonanlage geführt wird, mittels einer von den Postbetrieben bewilligten Sprechstelle oder Zusatzeinrichtung mithört oder aufnimmt.
 
Literatur:
 
G. Dürig u. H.-U. Evers: Zur verfassungsändernden Beschränkung des Post-, Telefon- u. Fernmeldegeheimnisses (1969);
 J. Welp: Die strafprozessuale Überwachung des Post- u. Fernmeldeverkehrs (1974);
 C. Arndt: Das G 10-Verfahren, in: Verfassungsschutz u. Rechtsstaat (1981);
 
GG-Komm., begr. v. I. von Münch, hg. v. P. Kunig, Bd. 1 (41992).

Universal-Lexikon. 2012.