im weiteren Sinn die Musik der Griechen in Vergangenheit und Gegenwart, deren rd. 3 000-jährige Geschichte die altgriechische Musik, die byzantinische Musik (byzantinische Kultur) und die neugriechische Musik umfasst. Im engeren Sinn versteht man unter griechischer Musik die Musik der alten Griechen (ausgenommen die frühchristliche Musik). Sie wird ihrem Erscheinungsbild nach zu den melodisch orientierten Musikkulturen gerechnet und somit von der andersartigen klanglich-mehrstimmigen Musik des Abendlandes unterschieden.
Grundlegende Begriffe abendländischer Musiklehre wie Ton, Musik, Harmonie, Melodie und Rhythmus stammen aus der Antike. Von ihrer ursprünglichen Bedeutung haben sie sich mehr oder weniger entfernt. So umfasste der griechische Begriff »mousike« zunächst ein breiteres Feld als der heutige Begriff Musik: Als wörtlich »die Musische« schloss er auch Dichtung und Tanz ein. Für eine Vorstellung vom Klang der altgriechischen Musik sind die bis heute entdeckten Notenbeispiele zu kurz.
Für die Frühzeit liefern Mythen Hinweise auf die Herkunft der Instrumente und ihre Stellung im Musikleben: Hermes ersann die Leier und reichte sie an seinen Halbbruder Apoll weiter, der mit dem Instrument den Chor der Musen anführte. Der Hirtengott Pan erfand die Panflöte, auch Syrinx genannt nach der Nymphe, die sich seinen Nachstellungen nur durch Verwandlung in Schilfrohr entziehen konnte. Athene erschuf die Trompete Salpinx als Signalinstrument und den Doppelaulos. Dieser gelangte an den mythischen phrygischen Silen Marsyas und durch die Vermittlung des Olympos zusammen mit dem auletischen Nomos nach Griechenland. Den nach »althergebrachten Gesetzen geordneten Tönen« lag möglicherweise ein ähnliches Kompositionsprinzip zugrunde wie dem arabischen Maqam und dem indischen Raga. Berühmt für die magische Wirkung ihrer Lieder waren die thrakischen Sänger Orpheus, Linos und Amphion. Kopf und Leier des Orpheus wurden der Sage nach auf Lesbos angeschwemmt. Von dieser Insel stammte dann als erste musikhistorisch nachweisbare Gestalt der namhafte Leierspieler Terpandros. Er brachte siebenteilige kitharodische Nomoi nach Sparta und siegte dort 657 v. Chr. bei den Karneia (Kultfeste zu Ehren Apolls). Im 6. Jahrhundert v. Chr. stellte Pythagoras von Samos die ersten musiktheoretischen Überlegungen an, die aber erst seine Schüler überlieferten. Verbunden mit philosophisch-mystischen Lehren setzte er Intervalle, die Umlaufgeschwindigkeiten der Planeten und ihre Entfernungen zur Erde (Sphärenharmonie) sowie die ethische Wirkung der Musik in Beziehung zu Zahlen und ihren Verhältnissen. Musikwissenschaft. Fachschriften kamen im 4. Jahrhundert v. Chr. auf. Darunter stellen die Abhandlungen des Aristoxenos von Tarent die Hauptstütze für die heutigen Kenntnisse der griechischen Musiktheorie dar. Inwieweit sie der musikalischen Praxis entsprachen, ist nicht geklärt. Grundelement der Tonordnungslehre ist das Tetrachord (griechisch »vier Saiten«). Im Rahmen einer Quarte umfasst es vier Töne, deren Intervallfolge das Tongeschlecht (Genos) bestimmt. Es gibt drei Genera (Anordnung von oben nach unten): diatonisch 1-1-½ (a g f e), chromatisch 1½-½-½ (a ges f e), enharmonisch 2-¼-¼ (a geses Viertelton e). Tetrachorde setzte man zu Systemen zusammen, in denen man wiederum sieben Oktavgattungen (eine Oktave umfassende Reihen mit unterschiedlichen Intervallfolgen) und 15 Tonarten (zwei Oktaven umfassende Reihen mit gleichen Intervallfolgen auf unterschiedlichen Tonhöhen) bildete. Ob die Harmoniai der Frühzeit neben Skalen tonale Zentren und typische Melodiefiguren charakterisierten, ist unbekannt. Beim Rhythmus als »Ordnung von Zeiten« galt als kleinstes Element die »erste«, nicht mehr teilbare Zeit. Nächstgrößere Einheit war der »Fuß«, zusammengesetzt aus Arsis und Thesis (ursprünglich das Auf- und Absetzen des Fußes), die in gleichem oder unterschiedlichem Zeitverhältnis zueinander stehen und zu komplexen Gebilden kombiniert werden konnten. Entscheidend für die Entzifferung der griechischen Notenschrift (Vokalform mit ionischen, Instrumentalform mit altdorischen Zeichen) sind die Erklärungen des Alypios (3.-4. Jahrhundert n. Chr.).
Als ureigenstes griechisches Instrument galt die Leier. Vom 6. Jahrhundert an verdrängten Lyra, Kithara und Barbitos die bei Homer oft genannte Phorminx. Von den Schlaginstrumenten Kymbala (Bronzebeckenpaar), Tympanon (Handrahmentrommel) und Krotalon (Handklapper) sind keine göttlichen Erfinder bekannt. Sie gewannen mit dem Dionysoskult an Bedeutung. - Als Gesangsgattungen formten sich aus dem Hymnos (Preislied) Lobgesänge für bestimmte Gottheiten: der Paian für Apoll, der Dithyrambos (Vorläufer des Dramas) für Dionysos. Enkomion oder Epinikion erklangen nach einem Sieg, das Skolion (zwei- bis vierzeiliges Lied) beim Symposion (Trankopfergelage), Hymenaios und Epithalamion zur Hochzeit, Threnos und Elegos (Trauergesang mit Aulosbegleitung) zur Totenklage. - Musische Agone (Wettkämpfe) fanden zu großen Kultfesten und bei den panhellen. Spielen in Delphi statt. Disziplinen waren solistische Vorführungen auf dem Aulos (Auletik) und der Kithara (Kitharistik), Sologesänge, begleitet von einem der Instrumente (Aulodie und Kitharodie), Chorgesänge und Theateraufführungen. Etwa 40 Melodiefragmente sind erhalten in Steininschriften (zwei Apollonhymnen in Delphi von 138/128 v. Chr., ein Skolion auf der Grabsäule des Seikilos vom 1. Jahrhundert v. Chr.), in Papyri (Teile von Instrumentalkompositionen, Tragödien und einem Paian) und in Handschriften aus dem 13.-16. Jahrhundert (Hymnen an die Muse, an Helios und an Nemesis von Mesomedes aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.). - Augustinus, Martianus Capella, Boethius und Cassiodor überlieferten griechische Musikanschauungen an das Mittelalter, die infolge ihrer philosophischen Durchdringung und ihrer theoretischen Grundlagen zum Ausgangspunkt der abendländischen Musik wurden.
H. Albert: Die Lehre vom Ethos in der g. M. (1899, Nachdr. 1968);
O. J. Gombosi: Tonarten u. Stimmungen in der antiken Musik (Kopenhagen 1939, Neuaufl. 1950);
M. Wegner: Das Musikleben der Griechen (1949);
W. Vetter: Mythos - Melos - Musica, Bd. 1 (ebd. 1957);
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H. Koller: Musik u. Dichtung im alten Griechenland (Bern 1963);
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C. Sachs: Die Musik der Alten Welt in Ost u. West (a. d. Engl., Berlin-Ost 1968);
J. Lohmann: Musiké u. Logos (1970);
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A. J. Neubecker: Altgriech. Musik (1977);
H. Thiemer: Der Einfluß der Phrygier auf die altgriech. Musik (1979);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
griechische Musik: Europäische Musik im Werden
Ton, Melodie, Harmonie, Rhythmus, Ethos: Elemente griechischer Musik
Kithara, Harfe und Laute: Instrumente der griechischen Musik
Universal-Lexikon. 2012.