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jüdische Philosophie
jüdische Philosophie,
 
das philosophische Durchdringen der jüdischen Religion; eine religionsphilosophische Systematisierung der eigenen Traditionen erfolgte im Judentum v. a. in Auseinandersetzung mit der nichtjüd. Umwelt, durch die das tradierte Glaubensgut infrage gestellt wurde. Im Mittelpunkt stand dabei das Verhältnis von (offenbarter) Tradition und Vernunfterkenntnis, das je unterschiedlich bestimmt wurde: angefangen mit der Behauptung einer Identität zwischen Vernunfterkenntnis und Offenbarungsinhalt über den Nachweis der Widerspruchslosigkeit zwischen beiden und einer sich ergänzenden Zuordnung (Korrektur der Vernunfterkenntnis durch die Offenbarung) bis zur Überhöhung der Offenbarung als jenseits der Grenzen des Erkenntnisvermögens liegender Realität.
 
Die Berührung mit dem Hellenismus gab den Anstoß zu einer jüdischen Religionsphilosophie. Die Werke Philons von Alexandria zeugen von dem Versuch einer Synthese zwischen griechischer (platonischer) Philosophie und jüdischem Glauben v. a. mittels der exegetischen Methode der Allegorese. Philon blieb jedoch im Judentum weitgehend wirkungslos und wurde v. a. von christlichen Theologen rezipiert. Eine kontinuierlich sich entwickelnde jüdische Philosophie entstand erst im 8./9. Jahrhundert nach der arabischen Eroberung im islamischen Kulturkreis durch die Konfrontation des rabbinischen Judentums mit dem philosophischen Denken der islamischen Theologie. Die frühe islamische Theologie (Kalam) sowie der Neuplatonismus und seit dem 12. Jahrhundert der Aristotelismus beeinflussten maßgeblich die jüdische Philosophie. Die religionsphilosophischen Fragen dienten einerseits (v. a. seit dem 9.-10. Jahrhundert) der Darlegung und Rechtfertigung der jüdischen Religion und damit der Orientierung im Rahmen der anders ausgerichteten Umwelt, andererseits betrafen sie die innerjüd. Kontroversen (z. B. die rationale Religions- und Bibelkritik der Karäer). Themen bildeten v. a. »Gottes Einheit und Eigenschaften«, »Gott und Welt«, »Thoraoffenbarung«, wobei die Behandlung sich je nach herrschender Schulrichtung unterschied: So war der in Babylonien wirkende Saadja (* 882, ✝ 942) von der islamischen Theologie, sein nordafrikanischer Zeitgenosse Isaak Israeli durch den Neuplatonismus beeinflusst, der auch die spanisch-jüdischen Denker Ibn Gabirol und Bachja Ben Joseph Ibn Paquda (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts) bestimmte. Die Verbindung zwischen Neuplatonismus und jüdischer Tradition führte zu kontroversen Diskussionen über die Frage der Schöpfung, den Gottesbegriff und die Weltwertung. Seit dem 12. Jahrhundert setzten sich der weitgehend von neuplatonischen Elementen gereinigte Aristotelismus und Averroismus durch, die v. a. Abraham Ben David Ibn Daud (* 1110, ✝ um 1180) und M. Maimonides vertraten. Maimonides begrenzte die aristotelische Physik auf die sublunare Welt und erkannte Vernunfterkenntnis und Offenbarung als gleichwertige Autoritäten an. Nur im Zweifelsfall, wie in der Frage der Anfangslosigkeit der Welt und der Schöpfung in der Zeit, räumte er der Offenbarung den Vorrang ein. Dies führte zu heftigen innerjüd. Auseinandersetzungen über die Vereinbarkeit von profaner Bildung mit jüdischer Tradition (Maimonidischer Streit). Bei den Harmonisierungsversuchen von Tradition und Philosophie setzten sich im Spätmittelalter und in der Neuzeit traditionsgebundene Richtungen immer mehr durch. Vertreter einer kritischen philosophischen Auseinandersetzung mit den orthodox-jüdischen Glaubenstraditionen wie U. Acosta und B. Spinoza wurden von ihren Gemeinden ausgeschlossen. Zudem wurde seit dem Mittelalter die mystisch-spekulative Strömung, die auf der neuplatonischen Auffassung von der absoluten Jenseitigkeit und Einheit Gottes fußende Kabbala, vorherrschend. Erst die jüdische Aufklärung mit M. Mendelssohn und Isaak Ascher Francolm (* 1788, ✝ 1849), griff wieder bewusst, jedoch in rationalistisch-ethisierender Umdeutung, auf die jüdische Philosophie des Mittelalters zurück. Im Unterschied dazu ist im 19./20. Jahrhundert die religionsphilosophische Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition v. a. vom deutschen Idealismus geprägt. Unter seinem Einfluss stehen Samuel Hirsch (* 1815, ✝ 1889; »Die Religionsphilosophie der Juden«), Solomon Formstecher (* 1808, ✝ 1889; »Die Religion des Geistes«), H. Cohen und F. Rosenzweig. M. Buber und Abraham Joshua Meschel (* 1907, ✝ 1972) verbanden die Religionsphilosophie mit modernen theologischen und sozialphilosophischen Fragestellungen, während E. Bloch und Emmanuel Levinas (* 1906, ✝ 1995) zwar Einflüsse ihrer jüdischen Tradition aufnahmen, sie jedoch in eine säkularisierte, marxistisch beziehungsweise phänomenologisch geprägte Philosophie umsetzten.
 
Literatur:
 
J. B. Agus: Modern philosophies of Judaism (New York 1941);
 S. H. Bergmann: Faith and relation (a. d. Hebr., Neuausg. New York 1966);
 A. A. Cohen: Der natürl. u. der übernatürl. Jude (a. d. Engl., 1966);
 N. Rotenstreich: Jewish philosophy in modern times (New York 1968);
 E. Berkovits: Major themes in modern philosophies of Judaism (ebd. 1974);
 H. u. M. Simon: Gesch. der j. P. (1984);
 J. Guttmann: Die Philosophie des Judentums (Neuausg. 1985);
 W. E. Kaufman: Contemporary Jewish philosophies (Lanham, Md., 1985);
 Z. Levy: Between Yafeth and Shem. On the relationship between Jewish and general philosophy (New York 1987);
 N. M. Samuelson: Moderne j. P. Eine Einf. (a. d. Engl., 1995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
jüdische Philosophie nach Maimonides
 
Maimonides und die arabische Kultur der Juden
 

Universal-Lexikon. 2012.