Vega Cạrpio
['beɣa-], Lope Félix de, Kurzform Lope de Vega ['lope ȓe-], spanischer Dichter, * Madrid 25. 11. 1562, ✝ ebenda 27. 8. 1635; stammte aus einfachen Verhältnissen, besuchte das Madrider Jesuitenkolleg, studierte 1577-82 in Alcalá de Henares, 1583 wohl auch in Salamanca; zeitweilig Soldat, nahm 1588 an Fahrt und Untergang der Armada teil; lebenslang im Dienst und in der Abhängigkeit hoher Adliger; war häufig in Liebesaffären verstrickt, die er mehr oder minder verschlüsselt in seiner autobiographischen Lyrik, in der »Égloga a Claudio« (1631) und dem Lesedrama »La Dorotea« (1632; deutsch »Dorothea«) anspricht. Wegen eines Liebesskandals 1588-96 aus Madrid verbannt (1588 Heirat), lebte er u. a. zwei Jahre in Valencia, dessen Theater seine Dramenauffassung prägte. Um 1600 war er der führende Literat Spaniens und der angesehenste Dramenautor seiner Zeit. Nach dem Tod seiner Frau 1595 schloss er 1598 eine zweite Ehe. Im Alter band er sich immer stärker an die kirchlichen Institutionen; 1608 wurde er »familiar« (Vertrauter) der Inquisition, 1611 Tertiarier des Franziskanerordens; nach einer tiefen spirituellen Krise ließ er sich (nach dem Tod seiner zweiten Frau 1613) 1614 zum Priester weihen; 1627 wurde er Ritter des Johanniterordens.
Als Lyriker verwendete Vega Carpio die traditionellen spanischen Formen, v. a. die Romanze, die neueren italienischen Formen, Kanzonen und (über 3 000) Sonette, sowie die antikisierenden Gattungen der Ekloge (»Amarilis«, 1633), der Epistel und Ode. Viele seiner Gedichte (»Rimas«, 1604; »Rimas sacras«, 1614; »Rimas humanas y divinas«, 1634) haben religiöse Inhalte. In der Liebeslyrik steht er in der Nachfolge des Petrarkismus; stilistisch strebte er nach sprachlicher Schlichtheit im Gegensatz zum Culteranismo L. de Góngora y Argotes, gegen den er polemisierte. Die Epik Vega Carpios folgt im Wesentlichen zeitgenössischen Moden, so der Schäferroman »Arcadia« (1598; deutsch »Arkadien«) und das als spanisches Nationalepos konzipierte »Jerusalén conquistada« (1609). Bemerkenswert ist v. a. das burleske Epos »La Gatomaquia« (1634; deutsch »Die Gatomachia«), das die klassische Gattung parodiert.
Vega Carpio war jedoch v. a. Dramatiker: Auf Vorformen des 16. Jahrhunderts fußend, schuf er mit der »neuen Comedia« den Typus eines spanischen nationalen Theaters, der bis weit ins 18. Jahrhundert wirkte. Seine Hauptzüge sind die Mischung tragischer und komischer Elemente, die Nichtbeachtung der aristotelischen Einheiten außer der der Handlung, der systematische Einsatz der komischen Figur (Gracioso) in einer häufig ausführlicheren Nebenhandlung, die Gliederung in drei Akte (»jornadas«), die Verwendung von Polymetrie. Wie Vega Carpio in seiner Abhandlung »Arte nuevo de hazer comedias en este tiempo« (1609) darlegte, zielt dieses Theater nicht auf ein humanistisch gebildetes Publikum, sondern auf die breite Bevölkerung, den zahlenden »vulgo«, dessen Unterhaltungsbedürfnisse das Theater in erster Linie befriedigen sollte. Vega Carpios Stücke spiegeln die Ideologie Spaniens im Siglo de Oro: Betonung der Ehre und der altchristlichen Blutsreinheit, Preisung der feudalen Monarchie, der überkommenen ländlichen Ordnung sowie des spanischen Imperiums und seiner Vorkämpferrolle in der Gegenreformation. Vega Carpio soll über 1 500 Theaterstücke (Autos sacramentales, Entremeses, v. a. Comedias) geschrieben haben, von denen nur etwa 450 überliefert sind. Sie werden im Allgemeinen nach Themenkreisen gegliedert: Mantel-und-Degen-Stücke (u. a. »El caballero del milagro«, 1621, deutsch »Der Ritter vom Mirakel«; »Los melindres de Belisa«, 1617, deutsch »Die übertriebene Delikatesse«; »La dama boba«, verfasst um 1613, veröffentlicht 1617, deutsch »Die kluge Närrin«), Schäferstücke (u. a. »Belardo el furioso«, 1595), historische Dramen (u. a. »Fuenteovejuna«, 1619, deutsch »Loderndes Dorf«, u. a. auch unter dem Titel »Fuente Ovejuna«; »El mejor alcalde, el rey«, 1635, deutsch »Der beste Richter ist der König«), Ehrendramen (u. a. »El caballero de Olmedo«, erschienen zwischen 1615 und 1630, deutsch »Der Ritter von Olmedo«; »El castigo sin venganza«, 1631, deutsch »Richter, nicht Rächer«), biblische und Heiligenstücke (u. a. »La hermosa Ester«, entstanden 1610, erschienen 1621; »Lo fingido verdadero«, 1621, deutsch »Sein ist Schein«). Als Vega Carpios unmittelbare Schüler anzusehen sind die Dramatiker J. Pérez de Montalbán, L. Vélez de Guevara, J. Ruiz de Alarcón y Mendoza und Tirso de Molina. Im deutschen Sprachbereich ist der »heitere« Vega Carpio, außer bei F. Grillparzer, stets weniger umfassend rezipiert worden als der »tiefere« und religiösere P. Calderón de la Barca.
Ausgaben: Obras, herausgegeben von M. Menéndez Pelayo, 32 Bände (Neuausgabe 1946-72); Obras escogidas, herausgegeben von F. C. Sainz de Robles, 3 Bände (Neuausgabe 1987).
Ausgewählte Werke, 12 Bände (1960-75).
H. Tiemann: Lope de Vega in Dtl. (1939, Nachdr. 1970);
R. Froldi: Lope de Vega y la formación de la comedia (Salamanca 1968);
Lope de Vega, hg. v. E. Müller-Bochat (1975);
F. R. Fries: Lope de Vega (Neuausg. 1979);
Das span. Theater, hg. v. K. Pörtl (1985);
A. de Toro: Von den Ähnlichkeiten u. Differenzen. Ehre u. Drama des 16. u. 17. Jh. in Italien u. Spanien (1993);
A. Eglseder: Der Arte nuevo von Lope de Vega (1998).
Universal-Lexikon. 2012.