Akademik

Verhaltensforschung
Ethologie

* * *

Ver|hạl|tens|for|schung 〈f. 20; unz.〉 Erforschung des objektiv feststellbaren Verhaltens von Tieren u. Menschen; Sy Ethologie

* * *

Ver|hạl|tens|for|schung, die:
Erforschung der menschlichen u. tierischen Verhaltensweisen (als Teilgebiet der Biologie); Ethologie.

* * *

Verhaltensforschung,
 
Verhaltensbiologie, vergleichende Verhaltensforschung, Ethologie, Teilgebiet der Biologie, das sich mit der objektiven Erforschung des Verhaltens der Tiere (Tierethologie) und des Menschen (Humanethologie) befasst. Die deskriptive Verhaltensforschung beobachtet und registriert Verhaltensabläufe in möglichst natürlicher Umgebung. Demgegenüber arbeitet die analytische (experimentelle) Verhaltensforschung mit veränderten Untersuchungsbedingungen, um Einblick in Kausalzusammenhänge zu gewinnen. Änderungen der inneren Bedingungen reichen von der elektrischen Stammhirnreizung bis zu operativen Eingriffen in das Zentralnervensystem; Änderungen der äußeren Bedingungen reichen von der Aufzucht der Versuchstiere in völliger Isolation (Kaspar-Hauser-Versuch; Hauser, Kaspar) bis zu den Attrappenversuchen, bei denen die natürlichen Reizangebote durch künstliche ersetzt werden. Von der allgemeinen Verhaltensforschung werden v. a. die neuro- und sinnesphysiologischen sowie die hormonalen und physiologischen Grundlagen des Verhaltens untersucht (z. B. die Einflüsse neuroendokriner Mechanismen auf tägliche oder saisonale Verhaltensmuster und -zyklen). Die spezielle Verhaltensforschung befasst sich mit den Formen der Orientierung, des Erkundens, des territorialen Verhaltens (z. B. Nahrungserwerb und -aufnahme), des Fortpflanzungsverhaltens (v. a. Balz, Kopulation, Brutpflege), des sozialen Verhaltens. Forschungsgebiete der Verhaltensforschung sind u. a. das elterliche Verhalten und die Rolle der Familienstruktur (z. B. das Pflegeverhalten der Mutter, des Vaters oder Nichtverwandter, motivationale Prozesse bei der Schaffung von Familiensystemen), die soziale Diskrimination (z. B. die Frage, wie Verwandte erkannt werden, welche Rolle dabei geruchliche, akustische und visuelle Reize spielen und wie die Auswahl der Geschlechtspartner erfolgt). Basis der modernen Verhaltensforschung bildet die Evolutionstheorie C. Darwins, der erkannte, dass Instinkte für das Überleben einer Art ebenso wichtig sind wie morphologische Strukturen und in gleicher Weise der stammesgeschichtlichen Selektion unterliegen. Die Zoologen und Verhaltensforscher Charles Otis Whitman (* 1842, ✝ 1910) und Herbert Spencer Jennings (* 1868, ✝ 1947) und v. a. Oskar Heinroth (* 1871, ✝ 1945) stellten (unabhängig voneinander) fest, dass es formkonstante Verhaltensweisen gibt, die für Arten (und höhere systematische Kategorien) typisch sind und daher (wie körperliche Merkmale) für taxonomische Überlegungen verwertet werden können. Wallace Craig, ein Schüler Whitmans, unterschied als Erster zwischen einem variablen Suchverhalten (»Appetenzverhalten«) und der relativ starren, triebbefriedigenden Endhandlung. J. von Uexküll zeigte auf, wie Tiere aus dem begrenzten Ausschnitt der von ihnen wahrgenommenen Umwelt einige wenige Sinneswahrnehmungen als Bedeutungsträger (Merkmale) erfassen und mit einer Handlung beantworten. Aufbauend auf eigene Arbeiten zu Dohlen, Entenvögeln und Gänsen, integrierte K. Lorenz die Einsichten seiner Vorgänger und legte 1935 das Konzept einer biologischen Verhaltensforschung vor. Er ging auf die Homologisierbarkeit der Instinktbewegungen ein, beschrieb ihre Auslösbarkeit durch einfache Schlüsselreize und entwickelte das Konzept des angeborenen, auslösenden Schemas, später als angeborener Auslösemechanismus (AAM) definiert, mit dessen Hilfe ein Tier bestimmte auslösende Reizsituationen erkennt. Bei Eintreffen der passenden Schlüsselreize werden über den AAM bestimmte Verhaltensweisen ausgelöst. Es handelt sich um neuronale Referenzmuster, in denen ein Vorwissen kodifiziert ist, gegen das einlaufende Sinnesmeldungen verglichen werden. Mit der Prägung entdeckte Lorenz einen Lernvorgang besonderer Art, der sich durch eine sensible Periode und eine starke Resistenz gegen Umlernen, ja in einigen Fällen Irreversibilität auszeichnet. Obgleich er die Spontaneität der Instinkthandlungen erkannte, erklärte er sie zunächst als Kettenreflexe, bis er von der Entdeckung der zentralnervösen Automatismen durch E. von Holst erfuhr. Lorenz stellte die Instinktforschung auf eine empirische Basis. An der weiteren Entwicklung des Faches wirkten insbesondere N. Tinbergen und K. von Frisch mit.
 
Dem entgegen beschäftigten sich die russische Reflexologie (I. P. Pawlow, W. M. Bechterew) und der amerikanische Behaviorismus (J. B. Watson) v. a. mit dem erlernten Verhalten, das unter experimentellen Bedingungen untersucht wurde.
 
Wie sich ein Nervensystem im Wachstumsprozess der Selbstdifferenzierung bis zur Funktionsreife verdrahtet, hat man inzwischen bis auf die molekulare Ebene erforscht. Von den auswachsenden Nervenkegeln tasten sich kontraktile Fäden nach allen Richtungen vor, die selektive Affinitäten zeigen. An bestimmten Faserbündeln oder Zellen bleiben sie haften und ziehen den auswachsenden Nervenkegel in eine bestimmte Richtung. Damit ist die chemische Affinitätstheorie von R. W. Sperry bekräftigt, der zufolge die auswachsenden Nervenenden die Endorgane, auf die sie abgestimmt sind, gewissermaßen »erschnüffeln«.
 
Alle grundlegenden Konzepte der Verhaltensforschung (Prägung, angeborener Auslösemechanismus, die motorischen Generatorsysteme [Automatismen]) sind heute bis auf die neuronale Ebene erforscht. Der Erkenntnisszuwachs in der Hirnchemie trug Entscheidendes zum Verständnis des Aufbaus spezifischer Handlungsbereitschaften bei.
 
Die Entwicklung der Verhaltensforschung ging seit den 1970er-Jahren sowohl in Richtung integrativer Ansätze, v. a. durch die Psychobiologie und Soziobiologie repräsentiert (E. O. Wilson entwickelte mit der Soziobiologie eine neue, ökologisch und populationsgenetisch ausgerichtete Zweigdiszipin), als auch hin zu einer Spezialisierung in Forschungsbereiche, wie Neurobiologie, Entwicklungspsychobiologie, Verhaltensökologie oder Verhaltensgenetik und Humanverhaltensgenetik.
 
Die Ausweitung ethologischer, psychobiologischer und soziobiologischer Fragestellungen und Forschungsergebnisse auf den Menschen (Humanethologie, Humansoziobiologie) hat dazu geführt, dass das Gebiet der Interaktion zwischen den genetischen und kulturellen Faktoren, die beide im Kontext evolutionärer Prozesse zu betrachten sind, in den Vordergrund rückte.
 
Literatur:
 
O. Koenig: Kultur u. V. Einf. in die Kulturethologie (1970);
 W. Wickler: Mimikry. Nachahmung u. Täuschung in der Natur (Neuausg. 1971);
 K. Lorenz u. P. Leyhausen: Antriebe tier. u. menschl. Verhaltens (41973);
 N. Tinbergen: Das Tier in seiner Welt, 2 Bde. (a. d. Engl., 1977-78);
 N. Tinbergen: Instinktlehre. Vergleichende Erforschung angeborenen Verhaltens (a. d. Engl., 61979);
 G. Tembrock: Grundr. der Verhaltenswiss.en (Neuausg. 31980);
 G. Tembrock: Verhaltensbiologie (21992);
 C. J. Lumsden u. E. O. Wilson: Genes, mind, and culture. The coevolutionary process (Cambridge, Mass., 1981);
 C. Buchholtz: Grundl. der Verhaltensphysiologie (1982);
 J. Lamprecht: Verhalten. Grundlagen, Erkenntnisse, Entwicklungen der Ethologie (101982);
 K. Immelmann: Einf. in die V. (31983);
 G.-H. Neumann: Einf. in die Humanethologie (21983);
 J. Goodall: The chimpanzees of Gombe. Patterns of behaviour (Cambridge, Mass., 1986);
 I. Eibl-Eibesfeldt: Grundr. der vergleichenden V. (71987);
 
Psychologie. Wegweisende Texte der V. von Darwin bis zur Gegenwart, hg. v. K. R. Scherer u. a. (1987);
 D. McFarland: Biologie des Verhaltens. Evolution, Physiologie, Psychobiologie (a. d. Engl., 1989);
 
Cricket behavior and neurobiology, hg. v. F. Huber u. a. (Ithaca, N. Y., 1989);
 B. Hölldobler u. E. O. Wilson: The ants (Cambridge, Mass., 1990);
 N. Bischof: Das Rätsel Ödipus. Die biolog. Wurzeln des Urkonfliktes von Intimität u. Autonomie (31991);
 W. Correll: Verstehen u. lernen. Grundlagen der Verhaltenspsychologie (21991);
 K. Lorenz: Über tier. u. menschl. Verhalten, 2 Bde. (Neuausg. 31992);
 E. O. Wilson: Sociobiology (Neuausg. Cambridge, Mass., 1993);
 J. Alcock: Das Verhalten der Tiere aus evolutionsbiolog. Sicht (a. d. Amerikan., 1996);
 I. Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschl. Verhaltens. Grundr. der Humanethologie (41997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Lernen: Theorien - Verhalten - Störungen
 
menschliches Verhalten im Spannungsfeld von Natur und Kultur
 

* * *

Ver|hạl|tens|for|schung, die <o. Pl.>: Erforschung der menschlichen u. tierischen Verhaltensweisen (als Teilgebiet der Biologie); Ethologie: Mein Interesse für Schlafpositionen nahm schließlich so zu, dass ich begann, mir die psychoanalytische Literatur und die der V. daraufhin anzuschauen (Dunkell, Körpersprache 11).

Universal-Lexikon. 2012.