Gno|sis 〈f.; -; unz.; Philos.〉
1. Erkenntnis, Einsicht in eine relig. Gedankenwelt
2. religionsphilosoph. Strömung innerhalb des frühen Christentums, die die Erkenntnis Gottes erstrebte
[<grch. gnosis „Erkenntnis, Urteil“]
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1. [Gottes]erkenntnis.
2. in der Schau Gottes erfahrene Welt des Übersinnlichen; hellenistische, jüdische u. bes. christliche Versuche der Spätantike, die im Glauben verborgenen Geheimnisse durch philosophische Spekulation zu erkennen u. so zur Erlösung vorzudringen.
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Gnosis
[griechisch »Erkenntnis«] die, -, im heutigen Sprachgebrauch eine esoterische Philosophie, Weltanschauung oder Religion. - Die Griechen verstanden unter Gnosis Erkenntnis überhaupt. Das Neue Testament bezeichnet oft mit Gnosis die christliche Erkenntnis als Heilswahrheit (z. B. 1. Korintherbrief 1, 5) und nennt die Irrlehren eine falsche Gnosis (1. Timotheusbrief 6, 20). Schon im späten Hellenismus und besonders dann im Frühchristentum differenzierte sich aber die ursprüngliche allgemeine Bedeutung in eine Reihe von verschiedenen Variationen. Gnosis in diesem Sinne (auch Gnostizismus genannt) dient als zusammenfassende Bezeichnung einer Reihe spätantiker religiöser dualistischer Bewegungen, die im Neuen Testament wie in vielen altchristlichen Gruppen nachweisbar sind. Ihr theologisches Wissen, mit dem sie dem suchenden Menschen höchste Wahrheiten zu offenbaren strebte, galt häufig im Sinne einer Arkandisziplin als streng geheim zu haltende Tradition. Ihre Originalschriften sind bis in die Gegenwart fast nur aus Zitaten der sie bekämpfenden Kirchenväter bekannt. Neuerdings wurden jedoch umfangreiche gnostische Originalschriften entdeckt (Nag Hammadi).
Die Ursprünge der Gnosis und das Vorhandensein einer vom Christentum unabhängigen heidnischen oder jüdischen Gnosis sind umstritten. Innerhalb der Kirche werden gnostische Tendenzen schon im Urchristentum deutlich (»johanneische Schriften«), sie erreichten im 2. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die Grenze zur Rechtgläubigkeit war in dieser Zeit noch fließend. Marcion, Valentin sowie die Mandäer ausgenommen, brachte es die Gnosis nicht zu größeren Kirchen- und Gemeindebildungen. Die Gnosis lehnte sich an orientalische Mysterienreligionen, die sie in der Regel allegorisch deutete. Sie zeigte durchweg einen rationalen Grundzug im Anschluss an die antike Philosophie, besonders Platons. Entsprechend ihrem dualistischen Ansatz schließt die Gnosis von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen auf den Satan oder das böse Prinzip als »Herrn der Welt«, da der gute Gott für sie nicht verantwortlich gemacht werden kann. Grundlegend ist die Vorstellung von einem Sturz der Seele in die niedere, materielle Welt, die nicht vom höchsten, sondern von einem niederen Gott (Demiurg) geschaffen ist und als aktive, böse Macht vorgestellt wird: Die Materie ist gottfeindlich und zu überwinden (Dualismus). In dieser Welt sind Teile des jenseitigen Lichts eingeschlossen, die erlöst werden müssen. Das Licht schickt Gesandte, die die zerstreuten Lichtteile erwecken, sammeln und in die Lichtheimat zurückführen. Erlöser ist v. a. Christus, dessen Ruf jedoch nur die den »Geist« (griechisch pneuma) besitzenden »pneumatischen« Naturen folgen. Andere, in nichtgnostischen Gemeinden verharrende, gelangen nur bis zum »Glauben« statt zur wahren, vollen »Erkenntnis« oder verharren völlig im Sinnlichen. Im Hintergrund dieser Erlösungslehre steht die Vorstellung von den Stufen oder Sphären der Welt und ihren dämonischen Herrschern, die den Aufstieg der Erlösten hindern und sie verführen. Gott wurde als überweltlicher, transzendenter Urgrund gedacht, der nur negativ oder durch Metaphern wie »Licht«, »Geist« beschrieben werden kann. Er ist von ewigen Wesen (Äonen), Emanationen und Aspekten Gottes, umgeben, die in hierarch. Ordnung Teile der Gottheit in ihrer Fülle (griechisch pleroma) sind.
Die maßgebenden Gnostiker stammen aus dem Orient. Saturnil wirkte in Syrien, Basilides (2. Jahrhundert) in Alexandrien, Valentin dagegen in Rom. Eine spätere Bildung der Gnosis ist der persische Manichäismus. Die alte Kirche bekämpfte die Gnosis durch Abschwächung ihrer dualistischen Motive durch das Neue Testament, durch eine feste Organisation (monarch. Bischofsamt) und durch die Aufnahme der neuplatonischen Polemik gegen die Gnosis. Die gnostische Tradition pflanzte sich bis zu den Katharern des Mittelalters fort. Eine gnostische (nichtchristliche) Gruppe hat sich (mit umfangreichem Schrifttum) bis heute erhalten, die Mandäer. Gnostische Gedanken wurden auch in die philosophische Literatur aufgenommen (J. Böhme, F. X. von Baader, F. W. J. von Schelling); an sie erinnern theosophische und anthroposophische Spekulationen. In der Religionsphilosophie griffen zuletzt N. Berdjajew und L. Ziegler zum Teil auf gnostische Vorstellungen zurück.
H. Jonas: G. u. spätantiker Geist, 3 Tle. (1934-64);
W. Bousset: Hauptprobleme der G. (Neuausg. 1973);
W. Schmithals: N. T. u. G. (1984);
H. Leisegang: Die G. (51985);
K. Rudolph: Die G. (31990, Nachdr. 1994);
K. Rudolph: G. u. Spätantike Religionsgesch. (Leiden 1996);
M. Brumlik: Die Gnostiker (Neuausg. 1995);
G. Das Buch der verborgenen Evangelien, hg. u. übers. v. W. Hörmann (Neuausg. 1995);
G. Quispel: G. als Weltreligion (Bern 31995).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Gnosis: Welt der Materie - Welt des Lichts
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Gno|sis, die; - [griech. gnṓsis = (Er)kenntnis, zu: gignṓskein, ↑Gnome] (Rel.): 1. [Gottes]erkenntnis. 2. in der Schau Gottes erfahrene Welt des Übersinnlichen; hellenistische, jüdische u. bes. christliche Versuche der Spätantike, die im Glauben verborgenen Geheimnisse durch philosophische Spekulation zu erkennen u. so zur Erlösung vorzudringen.
Universal-Lexikon. 2012.