Antibiotika,
Singular Antibiotikum das, -s, Stoffwechselprodukte von Bakterien, Pilzen, Algen, Flechten und höheren Pflanzen, die dagegen empfindlichen Mikroorganismen abtöten oder ihre Vermehrungsfähigkeit blockieren.
Obwohl bei den meisten Antibiotika inzwischen auch Wege zur synthetischen Herstellung bekannt sind, erfolgt ihre Gewinnung wegen des meist komplizierten Aufbaus der Antibiotika noch überwiegend durch Fermentation, d. h. durch Vermehrung von Mikroorganismen in geeigneten Nährlösungen und anschließende Isolierung (Biosynthese). Nur bei wenigen, besonders bei einfach gebauten Antibiotika, z. B. Chloramphenicol, ist die synthetische Herstellung üblich (Chemosynthese). Halbsynthetische Antibiotika sind dagegen Antibiotika, die man durch chemische Abwandlung von natürliche Antibiotika erhält. Sie zeichnen sich häufig durch ein verändertes Wirkungsspektrum oder eine günstigere Anwendungsmöglichkeit aus.
Nur wenige der bisher bekannten 7 000 Antibiotika eignen sich für medizinische Zwecke (bei Mensch und Tier).
Die bakteriostatische oder bakterizide Wirkung eines Antibiotikums kann sich entweder gegen nur einige wenige Mikroorganismenarten (Schmalspektrum-Antibiotikum) oder gegen eine Vielzahl von Keimen (Breitband-, Breitspektrum-Antibiotikum) richten; auch die normal in Symbiose mit ihrem Träger lebende Bakterienflora, z. B. des Darmes, kann durch Antibiotika geschädigt werden. Durch Abnahme der Empfindlichkeit von Mikroorganismen (Resistenz), durch Auslese unempfindlicher Organismen bei Mischinfektionen (Infektionswechsel, Superinfektion) können Antibiotika an therapeutischer Wirksamkeit verlieren. Die meisten Antibiotika können toxische Nebenwirkungen und/oder allergische Reaktionen bei den behandelten Patienten hervorrufen. Antibiotika sollten deshalb nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden.
Die chemische Struktur der Antibiotika ist unterschiedlich; es handelt sich besonders um Aminosäurederivate, Peptide, Lactone, Polyene, zuckerhaltige Substanzen, aromatische Verbindungen, sauerstoff-, stickstoff- und schwefelhaltige Ringsysteme. Der Wirkmechanismus der meisten Antibiotika ist aufgeklärt; er besteht entweder in einer Hemmung des Aufbaus von Bakterienzellwänden (z. B. durch Penicilline), in einer Veränderung der Durchlässigkeit von Zellmembranen, die zum Austritt lebenswichtiger Zellinhaltsstoffe führt (z. B. bei Streptomycin), in einer Hemmung der DNA- und RNA-Synthese (z. B. bei Nalidixinsäure), in einer Antimetabolitenwirkung (z. B. bei Sulfonamiden) oder in einer Hemmung der Eiweiß- und Enzymsynthese im Zellstoffwechsel (z. B. bei Tetracyclinen).
Die Kenntnis der verschiedenen Wirkungsmechanismen ist von praktischer Bedeutung für die kombinierte Anwendung von zwei oder mehreren Antibiotika, weil nicht nur eine verstärkte bakterizide Wirkung, sondern gegebenenfalls auch ein Antagonismus auftreten kann. Zum anderen ergeben sich hieraus Hinweise auf die Toxizität der Antibiotika für den Menschen. Da (im Unterschied zu Membranen tierische Zellen) Zellwände nur von pflanzlichen Organismen (Bakterien) gebildet werden, haben penicillinartig wirkende Antibiotika geringere Nebenwirkungen als solche Präparate, welche die für jede lebende Zelle maßgeblichen Stoffwechselprozesse beeinflussen.
Entsprechend ihrer sehr unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung ist eine eindeutige Klassifizierung der Antibiotika nur zum Teil möglich; im Allgemeinen werden folgende Hauptgruppen unterschieden: Penicilline, Betalactamantibiotika, Cephalosporine, Tetracycline, Aminoglykosidantibiotika (mit Streptomycin, den nahe stehenden Rifamycinen einschließlich Rifampicin sowie Gentamicin), Peptidantibiotika (mit Polymyxinen und Bacitracin) und Makrolidantibiotika (mit Erythromycin). Zu den wichtigen Antibiotika, die keiner dieser Gruppen unmittelbar zuzuordnen sind, rechnen u. a. Chloramphenicol und Griseofulvin.
Die zunehmende Unempfindlichkeit von Krankheitserregern gegenüber den herkömmlichen Antibiotika, das Auftreten neuer Krankheitserreger und die Notwendigkeit, oftmals mit einer Chemotherapie beginnen zu müssen, bevor die Art des Krankheitserregers feststeht, hat zur Entwicklung der Breitspektrum-Antibiotika geführt. Zu ihnen gehören verschiedene Penicillinderivate (Ampicillin und Carbenicillin), Cephalosporine, Aminoglykosid-Antibiotika (Kanamycin, Gentamicin, Dobramycin) sowie Tetracycline (Minocyclin, Doxycyclin) und Rifampicin.
Antibiotika werden in der Tierzucht dem Futter von Schlachttieren zugesetzt. Die Ursache für die hierdurch erzielte erhebliche Wachstumsbeschleunigung liegt wahrscheinlich in der Verhütung von leichten Infektionen, die das Wachstum der Tiere hemmen würden. Rückstände der Antibiotika im Fleisch können zur Resistenzbildung bei Keimen und zur Sensibilisierung beim Menschen führen. Deshalb wurde die Verwendung von Antibiotika bei der Tiermast gesetzlich eingeschränkt. Die Einhaltung von Karenzzeiten zwischen der letzten Antibiotikagabe und dem Schlachten ist wichtig.
Geschichtliches:
Bereits 1877 beobachtete L. Pasteur, dass sich verschiedene Mikroorganismen in einem gemeinsamen Nährmedium gegenseitig in ihrer Entwicklung behindern. Obgleich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige antibiotisch wirksame Substanzen bekannt waren, wurde erstmals in den 1920er-Jahren aus Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa ein das Antibiotikum Pyocyan enthaltendes Stoffgemisch industriell hergestellt. Weitere zu dieser Zeit bekannte Antibiotika gewannen jedoch keine Bedeutung. Auch die 1928 von A. Fleming gemachte Beobachtung, dass der Schimmelpilz Penicillium notatum einen Staphylokokkenstamm in seinem Wachstum hemmt, und die Extraktion der dabei wirksamen, von ihm »Penicillin« genannten Substanz blieben zunächst unbeachtet. 1935 jedoch nahmen unter dem Eindruck der damals erkannten Heilwirkung der Sulfonamide H. W. Florey, E. B. Chain und Mitarbeiter in Oxford die Untersuchungen über Penicillin auf und setzten sie zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, als weltweit nach neuen Heilmitteln gegen Infektionskrankheiten und Wundinfektionen gesucht wurde, verstärkt fort. Ihnen gelang 1940 die Isolierung des inzwischen als Penicillin G bezeichneten Antibiotikums. Sie entwickelten es zur Therapiereife und wandten es 1941 erstmals erfolgreich gegen verschiedene Infektionskrankheiten an. Daraufhin wurde in den USA die großtechnische Gewinnung von Penicillin aufgenommen, in kleinerem Umfang ab 1943 auch in Deutschland u. a. bei den Farbwerken Hoechst. Jedoch erst nach Kriegsende erlangte Penicillin (Penicillin G, Benzylpenicillin) seine überragende Bedeutung als Chemotherapeutikum. Nachdem 1945 R. B. Woodward seine chemische Struktur aufgeklärt hatte, erfolgte durch V. du Vigneaud, O. Süs u. a. auch die Synthese verschiedener Derivate von Penicillin G. Durch den großen Erfolg der Penicilline wurde die Suche nach weiteren Antibiotika stark gefördert, und in rascher Folge wurden zahlreiche neue Antibiotika gefunden.
A.-Fibel. A. u. Chemotherapeutika, Therapie mikrobieller Infektionen, begr. v. A. M. Walter u. a., hg. v. H. Otten u. a. (41975);
J. Drews: Grundl. der Chemotherapie (Wien 1979);
H. Helwig: A. Chemotherapeutika (41989);
M. Alexander u. a.: A. u. Chemotherapeutika. Bakteriolog. Grundll., Pharmakologie u. therapeut. Einsatz antibakteriell wirksamer Arzneistoffe (21995).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Antibiotika: Sieg über die Bakterien?
Infektionskrankheiten durch Bakterien und Viren
Universal-Lexikon. 2012.