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Chaucer
Chaucer
 
['tʃɔːsə], Geoffrey, mittelenglischer Dichter, * London um 1340, ✝ ebenda 25. 10. 1400; Sohn eines wohlhabenden Weinhändlers; gehörte ab 1357 zum Hofstaat des Königs und seiner Söhne, nahm unter Eduard III. am Hundertjährigen Krieg in Frankreich teil, reiste ab 1370 in diplomatischen Missionen nach Frankreich, Flandern und Italien (1372/73 und 1378); 1374 wurde er zum Oberaufseher der Zölle im Londoner Hafen ernannt, 1385 zum Friedensrichter in Kent; 1389-91 war er in der königlichen Schlossverwaltung, ab 1391 in der königlichen Forstverwaltung tätig. Er wurde in Westminster Abbey beigesetzt.
 
Zunächst stand Chaucer unter dem Einfluss der französischen Literatur (Guillaume de Lorris, Guillaume de Machaut); er übersetzte (zumindest teilweise) den »Roman de la rose« (um 1370) und betrauerte in »The book of the duchess« (1369/70) in der damals verbreiteten Form des Traumgesichts den Tod von Blanche, der Gattin seines Gönners John of Gaunt, Herzog von Lancaster. Seit der ersten Italienreise machte sich der Einfluss Dantes, Petrarcas und Boccaccios bemerkbar. Aus dieser Zeit stammen die Traumvision »The house of Fame« (um 1380; deutsch »Das Haus der Fama«), das Tierfabeltraumgedicht »The parliament of fowls« (um 1382; deutsch »Das Parlament der Vögel«), dann eine Übertragung der Schrift des Philosophen Boethius »De consolatione philosophiae« (um 1384); ferner »Troilus and Criseyde« (um 1385; deutsch »Troilus und Cressida«), die Verserzählung einer tragischen Liebe vor dem Hintergrund des Trojanischen Krieges; schließlich »The legend of good women« (um 1385; deutsch »Die Legende von guten Weibern«), Lebensdarstellungen von berühmten Frauen der Antike, denen die Liebe zum Verhängnis geworden war. Den Höhepunkt erreichte Chaucers Schaffen mit »The Canterbury tales« (deutsch [nur 5 Erzählungen] »Canterbury-Erzählungen«), einer Rahmenerzählung, an der er seit 1387 arbeitete (Erstdruck um 1478). Eine aus 30 Vertretern verschiedenster Stände zusammengesetzte Pilgerschar, die zum Grab des heiligen Thomas Beckett in Canterbury wallfahrten will, kommt überein, dass jeder auf dem Hin- und Rückweg je zwei Geschichten erzählen soll, um allen die Zeit zu verkürzen. Die schließlich erzählten 23 Geschichten (davon einige nicht fertig gestellt) sind nicht nur ein sprachlich brillantes Kompendium literarischer Erzählformen des Spätmittelalters, das von der Ritterromanze über die Heiligenlegende bis zur derb-drastischen Schwankerzählung reicht, sondern entwerfen auch ein wirklichkeitsnahes und buntes Panorama englischen Lebens am Ausgang des Mittelalters. Als erster Autor gibt Chaucer jedem Erzähler eine ihn charakterisierende Geschichte und Sprache mit und setzt diese Charakterbilder in subtilen Zusammenhang zu dem berühmten Prolog des Erzählers Chaucer zu Anfang des Werkes.
 
Chaucers umfangreiches Werk bildet den Höhepunkt der spätmittelalterlichen Literatur Englands; es ist Ausdruck eines neuen nationalen und bürgerlichen Bewusstseins, das zur Ablösung des Französischen als Sprache der Gebildeten und der Literatur führte und der (mittel-)englischen Sprache Geltung verschaffte.
 
Ausgaben: Troilus and Criseyde, mittelenglisch und deutsch, ausgewählt und übersetzt von R. Schirmer (1974); The Canterbury tales, mittelenglisch und deutsch, herausgegeben von H. Bergner (1982, Nachdruck 1985).
 
Werke, herausgegeben von L. Hoevel, 3 Bände (1975); Die Canterbury tales, übersetzt und herausgegeben von M. Lehnert (1986); The Riverside Chaucer, herausgegeben von L. D. Benson (31987, Nachdruck 1990).
 
Literatur:
 
Five hundred years of C. criticism and allusion, 1357-1900, hg. v. C. F. E. Spurgeon, 3 Bde. (New York 1960);
 R. S. Loomis: A mirror of C.'s world (Princeton, N. J., 1965);
 P. M. Kean: C. and the making of English poetry, 2 Bde. (London 1972);
 D. Mehl: G. C.: Eine Einf. in seine erzählenden Dichtungen (1973);
 
G. C., hg. v. W. Erzgräber (1983);
 D. Brewer: An introduction to C. (London u. New York 1984);
 M. Allen u. J. H. Fisher: The essential C. An annotated bibliography of major modern studies (London 1987);
 D. R. Howard: C. His life, his works, his world (New York 1987);
 L. Kiser: Truth and textuality in C.'s poetry (Hanover, N. H., 1991);
 H. Cooper: The Canterbury tales (Neuausg. Oxford 1992);
 W. Riehle: G. C. (1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Chaucer: Die Canterbury-Erzählungen
 

Universal-Lexikon. 2012.