Fatimiden
Das einzige erfolgreiche schiitische Herrschergeschlecht im islamischen Mittelalter war das der Fatimiden, deren Macht am Anfang des 10. Jahrhunderts zunächst von Tunis ausging. Mit viel Geschick gelang es ihnen, die Macht der Omaijaden in Nordafrika zu unterminieren. Nach der Entmachtung der Aghlabiden, die ein Jahrhundert lang regiert hatten, wurde Said Ibn Husain 909 Emir in Tunis. Saids Nachfolger setzten die Politik der Expansion fort und griffen mit ihrer Flotte 969 Ägypten an, besiegten die Ichschididen und nahmen das Land ein. Der Eroberer Djauhar gründete eine neue Stadt, der er den Namen Kairo gab (arabisch »Al Kahira«, »die Siegreiche«); sie wurde kurz danach Hauptstadt der Fatimiden.
Der Einfluss dieser Dynastie wuchs immer mehr, sodass ihr fünfter Kalif, Al Asis Billah (975-96), zum mächtigsten islamischen Herrscher zwischen Atlantik und Rotem Meer wurde. Unter ihm wurde die von seinem Vorgänger 972 gegründete Ashar-Moschee (»die Blumenreiche«) zu einer großartigen Stätte der Gelehrsamkeit, und die Christen in seinem Reich erlebten ein bis dahin nicht gekanntes Maß an Freiheit. Alles sollte zur Prachtentfaltung der Fatimiden beitragen, die ihren Namen auf Fatima, Tochter des Propheten Mohammed, zurückführten. Al Asis beging je doch dieselben Fehler wie die Abbasidenkalifen von Bagdad, indem er seine Herrschaft auf ein heterogenes Heer aus türkischen Soldaten und schwarzen Söldnern stützte.
Al Asis' Nachfolger, Al Hakim (996-1021), trat das Kalifenamt mit nur elf Jahren an; seine Regierungszeit war durch Grausamkeit und Blutvergießen gekennzeichnet. Er ließ einige seiner Wesire ermorden und Kirchen, darunter die Grabeskirche in Jerusalem, zerstören, was u. a. Anlass für die Kreuzzüge sein sollte. Christen und Juden erlebten schlimme Jahre der Erniedrigung. Dem ismaelitisch-schiitischen Glauben folgend, beanspruchte dieser Kalif die Gottheit für sich; damit entstand die Sekte der Drusen, die ihren Namen einem ihrer bekanntesten Anführer, Ad Darasi (gest. 1019), verdanken.
Auf Al Hakim, der 1021 ermordet wurde, folgten unfähige junge Kalifen; so lag die Herrschaft in den Händen von mehr oder weniger mächtigen Wesiren. Al Mustansir (1036-94) kam im Alter von elf Jahren an die Macht und behielt sie fast 60 Jahre lang, was die längste Regierungszeit im Islam darstellte; in diesem Zeitraum schmolz das Territorium der Fatimiden zusammen, und die meisten beherrschten Gebiete machten sich selbstständig. 1073 versuchte der Kalif, den desolaten Zustand seines Reiches zu beenden, indem er den Gouverneur in Akko, Badr, zum Wesir und Oberbefehlshaber der Armee ernannte; darauf folgte eine kurze Periode der Wiedergewinnung der Autorität. Jedoch hatten die Unruhen unter den türkischen, berberischen und sudanesischen Truppen die Regierungsautorität bereits so sehr untergraben, dass der Kalif, wie etwa Al Hafidh (1131-49) zur Zeit seines Todes, nur noch Herr über seinen Palast war.
Die Lage der Bevölkerung wurde durch Naturkatastrophen und Hungersnöte sowie durch die Bedrohung Kairos durch die wiederholten Angriffe der Kreuzfahrer von Jerusalem aus verschlimmert. Mit der Eroberung des Landes durch Saladin (1169-93), der im Jahre 1171 den letzten Fatimidenkalifen entmachtete und 1175 Sultan von Syrien und Ägypten wurde, ging die Herrschaft der Fatimiden zu Ende. Saladin brachte die Sunna als Staatsreligion nach Ägypten zurück.
Fatimiden,
islamische Dynastie (909-1171), die ihren Ursprung auf Ali Ibn Abi Talib und Fatima zurückführte. Von der Verbreitung ismailitischen Gedankenguts (Ismailiten) getragen, nahm die Herrschaft der Fatimiden unter den Berbern und Arabern der Provinz Ifrikija in Nordafrika (im späteren Tunesien) ihren Ausgang. Die Fatimiden lösten dort 909 (bis 1051/52) die seit 800 herrschenden Aghlabiden ab und eroberten fast ganz Nordafrika und Sizilien (bis 1069/91). Entscheidend und von Dauer war jedoch ihre Expansion nach dem Osten: 969 eroberte der fatimidische Feldherr Djauhar Ägypten; 973 hielt sein Herr, Kalif und Imam Muiss (953-975), Einzug in das neu gegründete Kairo. Unter ihm und seinen Nachfolgern Asis (975-996) und Hakim (996-1021) entfalteten die Fatimiden ihre größte Macht. Ägypten, ihr eigentliches Herrschaftsgebiet, erlebte einen Hochstand an materieller und geistiger Kultur, doch hat die von den Fatimiden offiziell vertretene ismailitische Glaubensrichtung nach dem Untergang der Dynastie in der einheimischen Bevölkerung keine Spuren hinterlassen. Von Ägypten dehnten die Fatimiden ihren Machtbereich auch auf Palästina (1099 Verlust von Jerusalem) und Syrien (zum Teil bis 1153) aus. Im 11. Jahrhundert setzte der Zerfall der fatimidischen Herrschaft ein. Saladin machte ihr nach dem Tod des 13. Kalifen 1171 ein Ende.
H. Halm: Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der F. (1991);
H. Halm: Die F., in: Gesch. der arab. Welt, hg. v. U. Haarmann (31994).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Nordafrika unter dem Islam bis zur osmanischen Eroberung: Eroberte und Eroberer
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Fa|ti|mi|den <Pl.> [nach Fatima, der jüngsten Tochter des Propheten Mohammed]: vom 10. bis 12. Jh. regierende islamische Dynastie in Nordafrika u. im Vorderen Orient.
Universal-Lexikon. 2012.