Palästinensische Autonomiegebiete
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Pa|läs|ti|na; -s:
Gebiet zwischen Mittelmeer u. Jordan.
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Palästina
[»Land der Philister«], arabisch Filastin, seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Bezeichnung für Philister (»Palaistinoi«) beziehungsweise abgeleitet davon das Gebiet der Philister (»Palaistine«, »Philisterland«); im griechisch-lateinischen Sprachgebrauch erweiterte sich die Bedeutung schließlich etwa auf das »Land Israel« beziehungsweise das Heilige Land (Gelobtes Land) jüdisch-christlicher Tradition, was ungefähr das Gebiet der heutigen Staaten Israel und Jordanien (außer den Wüstengebieten im Nordosten und Südosten) ist. Maßgebend wurde die römische Provinzbezeichnung Palaestina, die in den Sprachgebrauch des lateinischen Mittelalters überging. Eine kontinuierliche territoriale Begrenzung ist wegen des wechselhaften politischen und ethnographischen Schicksals dieses Gebietes kaum möglich. Als Heiliges Land blieb Palästina religiös-nationaler Bezugspunkt für das Judentum. Konkurrierend dazu erwuchs aufgrund der jeweiligen heiligen Stätten auch ein christlicher und ein islamischer Anspruch auf das Land (besonders auf Jerusalem als »Heilige Stadt«), das so Ziel für Pilger dieser drei Weltreligionen wurde. Mit seiner landschaftlichen Vielgestaltigkeit und seiner Lage zwischen den Kulturzentren im Niltal und in den Großreichen Vorderasiens einerseits und zwischen Meer und Wüste andererseits war es schon in vorgeschichtlicher Zeit Schauplatz lebhafter Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und deren Kulturen.
Vor- und Frühgeschichte:
Die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung in Palästina, Bestandteil des Fruchtbaren Halbmondes, sind Fundstellen mit Geröllgeräten (Ubeidiya, Khirbet Maskana) und Faustkeilen (Djisr Banat Yakub) im Jordantal. In zahlreichen Höhlen sind Kulturschichten des Acheuléen, Jabrudien und Moustérien nachgewiesen. In der Höhle Mugharet as-Sukhul im Karmel wurden Bestattungen einer hoch entwickelten Neandertalform aus der Zeit des Moustérien ausgegraben. Die wichtigste Kultur der Mittelsteinzeit ist das Natufien mit einer Jagd und Fischfang treibenden Bevölkerung, die auch Wildgetreide erntete.
Zu Beginn des Neolithikums (8000-5000 v. Chr.) ist in Jericho, dessen älteste Spuren bis in das 10./9. Jahrtausend v. Chr. reichen, die erste städtische Siedlung mit Befestigungsanlagen in zwei aufeinander folgenden präkeramischen Schichten belegt, von denen die jüngere (Phase B) eine Einwanderung aus dem Norden (Syrien) bezeugt. Nach einer Zerstörung folgt in Jericho eine Schicht mit primitiven Behausungen, die auf das Eindringen von Hirtennomaden schließen lässt. In dieser Zeit tritt erstmals Keramik in Erscheinung, die in ähnlicher Form auch an anderen Orten Palästinas vorkommt. Das Chalkolithikum (Kupferzeit: rd. 5000-3200 v. Chr.) ist durch mehrere Kulturphasen vertreten, die starke Beziehungen zum Zweistromland haben. Farbige Wandmalereien aus Tulelat Ghassul im Südosten von Jericho verdienen dabei besondere Beachtung.
Seit der frühen Bronzezeit (rd. 3200-2200 v. Chr.) sind in Palästina zahlreiche Stadtstaaten nachgewiesen, die unter ägyptischem Einfluss standen. Die Einwanderung semitischer Bevölkerungsteile (meist als Amoriter bezeichnet) hatte in der Übergangszeit zur mittleren Bronzezeit (rd. 2200-2000 v. Chr.) große Umbrüche zur Folge, die besonders an den Grabbeigaben erkennbar sind. Die stark unter ägyptischem Einfluss stehende mittlere Bronzezeit (rd. 2000-1550 v. Chr.) brachte die höchste Blüte kanaanäischer Stadtkultur. Die Zeit 1650-1550 v. Chr. ist durch die neu eingewanderten semitischen Hyksos bestimmt. Die Pharaonen der 18. Dynastie errangen, nachdem sie die Hyksos besiegt hatten, neuen Einfluss im Gebiet Palästina/Syrien. Auch in der Spätbronzezeit (etwa 1550-1200 v. Chr.) bestanden in Palästina zahlreiche Stadtstaaten. Gegen Ende der Spätbronzezeit gab es große Wanderbewegungen v. a. aramäischer Völkergruppen aus der Wüstenregion. In mehreren Wellen siedelten sie, die dann den Stämmeverband Israel bildeten, in der nicht durch kanaanäische Stadtstaaten besetzten westjordanische Region; im Ostjordanland ließen sich Ammoniter, Moabiter und Edomiter nieder, in der Küstenregion die Philister.
Bis zum 19. Jahrhundert:
Nach dem gescheiterten Aufstand des Bar Kochba gegen die Römer (135 n. Chr.) wurde die römische Provinz Judäa in Syria Palaestina umbenannt, um 300 Palästina insgesamt in »Palaestina prima«, »Palaestina secunda« und »Palaestina tertia (salutaris)« geteilt. - Nach der Teilung des Römischen Reiches (395) gehörte Palästina zum Oströmischen (Byzantinischen) Reich. 614 wurde Palästina durch einen Persereinfall schwer erschüttert, 634 von Kalif Omar erobert und 636 unter arabische Herrschaft gestellt. Durch die Kreuzzüge bildeten sich im 12. Jahrhundert christliche Lehnsstaaten (v. a. Königreich Jerusalem); nach 1187 entstanden kleinere, von Ägypten abhängige Herrschaften in Damaskus, Gaza, Kerak und Safed. 1516 fiel Palästina an die osmanischen Türken; 1831-40 besetzte Mehmed Ali von Ägypten Palästina. Schon im 16. Jahrhundert waren, angezogen durch die Toleranz und Dynamik des Osmanischen Reiches, zahlreiche jüdische Flüchtlinge (v. a. aus Spanien) nach Palästina gekommen; Jerusalem und Safed wurden Zentren des jüdischen Geisteslebens. Die wirtschaftliche Basis bildeten Handel und Textilverarbeitung. Anfang des 18. Jahrhunderts folgten Zuwanderungen aus osteuropäisch-chassidischen, im 19. Jahrhundert auch aus anderen orthodoxen Kreisen. Ebenfalls im 19. Jahrhundert setzte eine christliche Missionsbewegung ein, zum Teil im Zusammenhang mit ausländischen Handelsniederlassungen, deren konsularischer Schutz immer mehr auch die Interessen der europäischen Großmächte auf die Region lenkte. Ab 1882 (Pogrome in Russland) begann die verstärkte osteuropäische jüdische Palästinabesiedlung, die durch den Zionismus zunahm: 1909 wurde Tel Aviv gegründet, 1911 entstanden erste Kibbuzim.
Balfour-Deklaration bis Sechstagekrieg:
Im Ersten Weltkrieg eroberte Großbritannien im Krieg gegen das Osmanische Reich 1917/18 Palästina; nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches (1918) musste dessen Regierung im Frieden von Sèvres (10. 8. 1920) Palästina an Großbritannien abtreten, das sich dieses Gebiet als Mandat des Völkerbundes übertragen ließ. Bereits 1921 unterstellte die britische Regierung den östlich des Jordans gelegenen Teil Palästinas als Emirat Transjordanien der arabischen Dynastie der Haschimiten; es blieb jedoch bis 1946 völkerrechtlich weiterhin Teil des britischen Mandatsgebietes und unterstand einem britischen Hochkommissar.
Es kam zu wachsenden Konflikten zwischen Arabern und Juden, deren Interessen die 1922 gegründete Jewish Agency for Palestine wahrnahm; diese Konflikte mündeten (ab etwa 1929 blutige Auseinandersetzungen) mit der Forderung nach einem unabhängigen arabischen Staat Palästina in einen - v. a. von der Muslimbruderschaft unterstützten - arabischen Palästina-Aufstand (1936-39). Die Londoner Konferenz vom 17. 5. 1939 beschloss die Errichtung eines unabhängigen binationalen Staates innerhalb von zehn Jahren. Dagegen forderte am 11. 5. 1942 eine zionistische Konferenz in New York die Bildung eines jüdischen Staates in Palästina (»Biltmore-Programm«). Gestützt auf ihre militärischen Organisationen (Haganah, Irgun Zwai Leumi) trieben die palästinensischen Juden in den 40er-Jahren die Errichtung eines jüdischen Staates voran; die illegale jüdische Einwanderung wuchs. Schließlich brachte Großbritannien die Palästinafrage vor die UN (2. 4. 1947). Deren Vollversammlung empfahl am 29. 11. 1947 die Zweiteilung Palästinas in einen jüdischen (14 000 km²) und einen arabischen Staat (11 100 km²) bei wirtschaftlicher Einheit und Internationalisierung Jerusalems (»Resolution 181 [II]«). Diese Empfehlung - von den Arabern abgelehnt - führte mit Abzug der britischen Truppen und Erlöschen des britischen Mandats (14./15. 5.) zur Ausrufung des Staates Israel am 14. 5. 1948. Im Ergebnis des 1. israelisch-arabischen Kriegs (»Palästinakrieg«, 1948/49) fiel das nach dem UN-Teilungsplan für den arabischen palästinensischen Staat vorgesehene Gebiet an mehrere Krieg führende Mächte; Israel hatte sein Gebiet beträchtlich erweitert (u. a. Galiläa und Alt-Jerusalem) und sprach fortan den Palästinensern das Recht auf einen eigenen Staat ab. Im Gegenzug verweigerten die arabischen Staaten Israel das Existenzrecht. Der Gazastreifen kam 1949 unter ägyptische Treuhandverwaltung; Ostpalästina (die »Westbank«, in Israel »Judäa und Samaria« genannt), der östliche, seit 1948 von den Arabern militärisch behauptete Teil des Westjordanlandes (einschließlich des Ostteils Alt-Jerusalems), wurde als »Westjordanien« Jordanien eingegliedert (23. 4. 1950). Auf dem Territorium Ägyptens, Jordaniens, Libanons und Syriens sammelten sich die aus Israel geflüchteten oder vertriebenen Palästinenser (zwischen 500 000 und 900 000); sie wurden von der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (gegründet 1949) betreut.
Der Kampf zwischen Israel und den arabischen Staaten um Palästina eskalierte nach 1948/49 zum Nahostkonflikt. Im Sechstagekrieg besetzte Israel 1967 das Westjordanland und den Gazastreifen; Alt-Jerusalem wurde mit dem bisherigen israelischen Teil der Stadt vereinigt.
PLO und »erste Intifada«:
Im Kampf gegen Israel bildeten sich v. a. in den palästinensischen Flüchtlingslagern seit den 50er-Jahren Guerillaorganisationen (u. a. Al-Fatah), deren Aktivität sich besonders ab 1967 steigerte. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (englische Abkürzung PLO) wurde 1964 gegründet, Vorsitzender ihres Exekutivrats wurde 1969 J. Arafat. Die israelische Siedlungspolitik im Gazastreifen und im Westjordanland (ab 1977) wurde weltweit stark kritisiert. Trotz des ägyptisch-israelischen Friedensvertrags vom 26. 3. 1979 (Camp David) blieb das Gebiet des ehemaligen Palästina weltpolitisch eine der brisantesten Krisenregionen, weil dieser Vertrag an der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens nichts änderte. Im Dezember 1987 brach ein Aufstand der palästinensischen Araber gegen die israelische Besatzungsmacht aus (»Intifada«, zu Deutsch »abschütteln«). In seinem Verlauf gewann die radikale, aus dem palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft hervorgegangene und sich am islamischen Fundamentalismus orientierende Hamas an Bedeutung; sie strebt v. a. die Errichtung eines islamischen Staates im gesamten ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina an.
Nachdem Jordanien (König Husain II.) am 31. 7. 1988 das Westjordanland faktisch an die PLO abgetreten hatte, rief deren im Exil tagender Nationalrat am 15. 11. 1988 in Algier einen unabhängigen Staat Palästina aus (seit 1995 palästinensischer Nationalfeiertag). Mit der gleichzeitigen Anerkennung der UN-Resolutionen 242 und 338 bekundete der PLO-Nationalrat implizit die Anerkennung des Staates Israel und seine Bereitschaft zu einer künftigen Zwei-Staaten-Lösung. Die rechtsnationalistische israelische Regierung unter Y. Schamir lehnte jedoch eine Anerkennung durch die »Terrororganisation« PLO ab. Arafat wurde Anfang April 1989 zum provisorischen Staatsoberhaupt ernannt; der Status eines autonomen Staates wurde Palästina Ende 1989 von den UN jedoch nicht zugestanden. Dazu sollte es erst am 7. 7. 1998 kommen, als Palästina von der UN-Generalversammlung als nicht stimmberechtigtes Mitglied aufgenommen wurde.
Palästinensische Autonomiegebiete (seit 1993/94):
Als Ansatz zur Lösung der Palästinafrage kam es im Gefolge der Madrider Nahostfriedenskonferenz (1991) und der Geheimverhandlungen in Oslo (1993) zur - nicht unumstrittenen - Grundsatzerklärung vom 13. 9. 1993 über den schrittweisen Übergang zur Autonomie in den von Israel besetzten Gebieten (Gaza-Jericho-Abkommen; Prinzipienerklärung).Palästinensische Autonomiegebiete (seit 1993/94): Am 13. 10. 1993 trat die Prinzipienerklärung als Rahmenvereinbarung in Kraft. In diesem ersten Teil des »Oslo-I-Abkommens« hatten beide Seiten auch Bereiche festgelegt, in denen den Palästinensern in den zukünftigen Autonomiegebieten politische Kompetenzen übertragen werden sollten. Danach war die Autonomie zunächst v. a. auf die Bereiche Bildung, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Zoll, Steuern, Industrie, Landwirtschaft und Tourismus beschränkt, für die Außen- und Sicherheitspolitik sollte bis zur endgültigen Regelung Israel zuständig bleiben. Das Abkommen über die palästinensische Teilautonomie, auch Kairoer Abkommen, vom 4. 5. 1994 gehört ebenfalls zum »Oslo-I-Abkommen«. Hierin wurde der Übergang zur palästinensischen Autonomie innerhalb einer Zeit von maximal fünf Jahren vereinbart. Dies bedeutete aus palästinensischer Sicht, dass der Endstatusvertrag, der die palästinensische Souveränität herstellen sollte, am 4. 5. 1999 in Kraft treten sollte. Das Interimsabkommen (Taba-Abkommen, 24. 9. 1995, unterzeichnet in Washington, 28. 9. 1995; »erweitertes Autonomieabkommen« beziehungsweise »Oslo II« genannt) sowie weitere Abkommen präzisierten die Stufen der Landrückgabe an die Palästinenser sowie Aufbau und Selbstverwaltung der palästinensischen Autonomiegebiete. Wegen des verzögerten israelischen Truppenrückzugs und der fortgesetzten israelischen Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten wurden Nachverhandlugen nötig. Das Hebron-Abkommen (15.-17. 1. 1997) sowie die beiden Wye-Abkommen (1998 und 1999) legten v. a. den stufenweise wachsenden territorialen Umfang der Landrückgabe durch Israel im Westjordanland fest.
Regierungsverantwortung der PLO:
Als erster Schritt zur palästinensischen Autonomie erfolgte am 16./17. 5. 1994 die Übergabe bestimmter Regierungsbefugnisse der israelischen Militär- und Zivilverwaltung an die Palästinensische (Nationale) Behörde; am 5. 7. 1994 nahm diese offiziell ihre Arbeit auf. Außerdem begann der Abzug der israelischen Truppen in »Sicherheitsgebiete« beziehungsweise zu den jüdischen Siedlungen. Zum Vorsitzenden der Behörde war Arafat schon am 12. 10. 1993 (mit der Billigung des Gaza-Jericho-Abkommens) vom PLO-Zentralrat ernannt worden. Außerdem begann der Aufbau einer palästinensischen Polizei (ab 10./12. 5. 1994) sowie die Freilassung von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen. Ergänzt durch die weiteren Autonomieteilabkommen wurde die vorläufige palästinensische Selbstverwaltung ab 27. 8. 1995 auch auf Teile des Westjordanlandes ausgeweitet (Übergabe verschiedener Orte und Städte an die Palästinenser). In der konkret vollzogenen Umsetzung der Autonomieabkommen erfolgten der Abbau der israelischen Militär- und Zivilverwaltung sowie der Rückzug der israelischen Besatzung in mehreren Stufen aber oft schleppend (ab 13. 11. 1995 im Westjordanland). Häufig war beides begleitet und äußerst erschwert von anhaltendem Terror seitens Hamas beziehungsweise Djihad Islami sowie Protesten extremistischer jüdischer Siedler. Die Kompetenzen für Polizei, Verwaltung, Rechtsprechung und - in bestimmten Fällen - die Gesetzgebung wurde ebenfalls schrittweise den Organen der Autonomiebehörde übertragen.
Im Rahmen des Taba-Abkommens wählten die Palästinenser am 20. 1. 1996 einen »Palästinensischen Legislativrat« (englische Bezeichnung Palestinian Legislative Council, Abkürzung PLC; auch Autonomierat genannt), wobei es zum Wahlsieg der PLO/Al-Fatah kam. Von den 88 Mitgliedern des PLC gehören 50 der Al-Fatah an. Darüber hinaus gibt es insgesamt 35 »Unabhängige« und drei Abgeordnete kleiner Gruppierungen. In einer Analyse hieß es, Arafat könne sich nicht nur auf seine Fatah-Mitglieder stützen, sondern auch auf 15 so genannte »Fatah-Rebellen« unter den Unabhängigen. Sieben »Unabhängige« wurden darin als Hamas nahestehend bezeichnet, obwohl Hamas wie auch einige radikale Gruppierungen innerhalb der PLO offiziell die Wahl boykottierten. Mit knapp 88 % der Stimmen wurde gleichzeitig Arafat zum Präsidenten (Rais) des Exekutivrates des PR gewählt. - Der weitere Ausbau bestehender Siedlungen durch Israel ab 1996, sowohl unter der Regierung von B. Netanjahu als auch unter der von E. Barak (ab Juli 1999), führte immer wieder zu antiisraelischen Ausschreitungen; Terrorakte von Hamas und Djihad Islami gaben Anlass zu Absperrungen der Autonomiegebiete seitens Israels, um ein ungehindertes Eindringen von Selbstmordattentätern in das israelische Kernland zu erschweren. Da aber Zehntausende von Palästinensern darauf angewiesen sind, in Israel zu arbeiten, und das Westjordanland nur über israelische Straßen erreichbar ist, hemmen die Absperrungen die wirtschaftliche und staatliche Entwicklung, aber auch den nötigen beiderseitigen Abbau von Misstrauen. - Im April 1996 und endgültig 1998 strich der Palästinensische Nationalrat den Passus über den bewaffneten Kampf gegen Israel aus der PLO-Charta.
Ringen um den Endstatus:
Verhandlungen über den Endstatus wurden trotz Auslaufens der »Osloer Vereinbarungen« zum 4. 5. 1999 erst unter dem neuen israelischen Ministerpräsidenten E. Barak im September 1999 begonnen. Der amerikanische Präsident B. Clinton hatte zuvor Anfang 1999 Arafat seine Unterstützung für den Aufbau palästinensischer Staatlichkeit zugesagt. Die für Anfang Mai 1999 vorgesehene Proklamierung eines palästinensischen Staates war jedoch von der PLO im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen in Israel ausgesetzt und der Verzicht im Wye-II-Abkommen (5. 9. 1999) verbindlich bis 13. 9. 2000 festgeschrieben worden. Anfang Juli 2000 hatte zwar der Zentralrat der PLO Arafat ermächtigt, noch bis 15. 11. 2000, dem palästinensischen Nationalfeiertag, einseitig einen palästinensischen Staat im Gazastreifen und Westjordanland auszurufen, doch diese einseitige Staatsproklamation ohne Friedensvertrag mit Israel hätte keine internationale Unterstützung gefunden. Dennoch wird seit 1999 ernsthaft um die endgültige völkerrechtliche und materielle Absicherung einer palästinensischen Staatlichkeit gerungen. Erstmals fanden dazu im Juli 2000 umfassende Verhandlungen um ein dauerhaftes israelisch-palästinensisches Friedensabkommen und damit eine Gesamtlösung des Nahostkonflikts statt (Nahostgipfel in Camp David, unter Vermittlung der USA). Hauptthemen der Verhandlungen waren neben der Absicherung einer palästinensischen Staatlichkeit, einschließlich der Grenzfestlegung, v. a. die Frage des Rückkehrrechts der Flüchtlinge von 1948/49 sowie der Zukunft der 140 000 bis 200 000 israelischen Siedler im Gazastreifen und im Westjordanland. Bei den geheimen Verhandlungen soll Barak den Palästinensern die Rückgabe von 90 bis 95 % des Westjordanlandes angeboten haben. Allerdings wäre dieses durch israelische Siedlungsgebiete und Verbindungsstraßen weiterhin stark zergliedert gewesen und hätte keinen Zugang zum Jordanufer gehabt. Auch hätte es noch israelische Militärbasen in dem Gebiet gegeben. All das lehnte Arafat ab, zumal Barak in der Frage des Rückkehrrechtes nur zu humanitären Regelungen für eine kleine Zahl von Flüchtlingen bereit war. Als ein weiteres Schlüsselproblem erwies sich auf der Gipfelkonferenz von Camp David erneut die Frage des Status von Jerusalem, auf das beide Seiten Anspruch als Hauptstadt erheben. Unter Beschränkungen wäre Israel dabei nach Aussagen des Vermittlers Clinton bereit gewesen, einen palästinensischen Staat im Gazastreifen und im Westjordanland anzuerkennen; dessen Regierungssitz sollte in Abu Dis - als Stadtteil von Jerusalem - errichtet werden. Aber die Verhandlungen scheiterten.
Ausbruch der »zweiten Intifada« und Kurswechsel Israels:
Alle Versuche, die Endstatusverhandlungen wieder aufzunehmen, wurden abgebrochen, nachdem der israelische Oppositionsführer A. Scharon (Likud) am 28. 9. 2000 in Begleitung von 1 000 Polizisten demonstrativ den Tempelberg in Jerusalem besucht hatte und es dort vonseiten der diesen Besuch als Provokation wahrnehmenden palästinensischen Jugendlichen zur Gewaltanwendung gekommen war, die in den folgenden Tagen zur »Al-Aksa-Intifada« eskalierte. Dieser »zweite« Intifada-Aufstand wurde auch durch die Enttäuschung der Palästinenser über das Verschleppen der Staatsgründung verschärft. Hinzu kam, dass Arafat, nachdem Israel Ziele in Gaza und Ramallah am 12. 10. 2000 mit schweren Waffen angegriffen hatte, 120 bis dahin als Terroristen gefangen gehaltene Hamas-Leute freiließ. Unter Clintons Vermittlung kam es am 17. 10. 2000 zu einem Krisengipfel in Scharm esch-Scheich, dessen einziges bedeutsames Ergebnis die Einsetzung einer internationalen Kommission zur Analyse der Ursachen der Al-Aksa-Intifada unter Leitung des ehemaligen US-Senators George Mitchell war.
). Erst Ende 2000 konnte die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Israel und der PLO in den USA und in Taba erreicht werden. Als diese wegen der am 6. 2. 2001 anstehenden Wahlen in Israel unterbrochen wurden, hieß es, beide Seiten seien sich in den Territorialfragen so nahe gewesen wie nie zuvor. Doch infolge des Wahlergebnisses, das mit Scharon wieder die Verfechter der Vorrangigkeit israelischer Sicherheitsinteressen an die Macht brachte, kam es zu keiner Wiederaufnahme der Gespräche. Scharon will nur noch Vereinbarungen über ein weiteres Übergangsabkommen mit den Palästinensern; er lehnt ein Abkommen über den Endstatus der Autonomiegebiete hingegen ab. Israel wirft Arafat vor, den Terrorismus zu unterstützen und den Forderungen, Terroristen zu verhaften oder auszuliefern, nicht nachzukommen, und greift daher zur menschenrechtswidrigen und international nicht unwidersprochenen Selbstjustiz, in dem es seit Mai 2001 gezielte »präventive Liquidierungen« von Mitgliedern der Hamas und anderer extremistischer Organisationen vornimmt; so wurde mit Abu Ali Mustafa Sibri (* 1938; ab Juli 2000 Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP) am 27. 8. 2001 in Ramallah der bislang ranghöchste palästinensische Politiker getötet. Als Racheakt ermordete ein PFLP-Kommando den israelischen Tourismusminister R. Zeevi.
Am 5. 5. 2001 legte die Mitchell-Kommission ihren Bericht vor, der die außerordentliche Gewaltanwendung beider Seiten als Grund für die schleichende Eskalation des Konfliktes kritisierte. Ihre Vorschläge, in drei Stufen zur Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen zu gelangen (Waffenruhe, Periode vertrauensbildender Maßnahmen, erneuter Beginn politischer Verhandlungen), konnten bisher nicht umgesetzt werden, weil Scharon darauf besteht, dass auf palästinensischer Seite eine mindestens siebentägige vollständige Waffenruhe eingehalten wird, bevor Israel selbst zu vertrauensbildenden Maßnahmen bereit ist. Da Arafat aber entweder nicht mehr in der Lage war, die gewaltbereiten Extremisten dazu zu zwingen, oder sich bei Hamas oder der PFLP politisch den Rücken frei halten wollte, kam es immer dann, wenn es gerade nach einer Entspannung aussah, zu neuen Selbstmordattentaten. Dies führte am 13. 12. 2001 dazu, dass Arafat von Scharon für »nicht mehr relevant« erklärt wurde. Dieser ließ die Residenz des PLO-Chefs in Ramallah umstellen und verhängte gegen ihn damit faktisch einen Hausarrest, um Arafat zu zwingen, die Mörder von Zeevi auszuliefern; erst im April 2002 wurde der Hausarrest aufgehoben. Nachdem Arafat den Chef der PFLP, Ahmed Saadat, am 15. 1. 2002 unter Hausarrest gestellt hatte, kam es vonseiten der PFLP zu Protesten und zu immer neuen schweren Selbstmordattentaten im Kerngebiet Israels und in Jerusalem, mit dem die seit Ende November 2001 andauernde Phase der relativen Ruhe (Absinken der Zahl der täglichen »terroristischen Vorfälle« von 130 auf fünf) endete. Allerdings hatte Israel diese Phase selbst mit massiven militärischen Aktionen schon kurz vorher beendet, als es nach der Aufbringung eines Frachters, der eine große Waffenlieferung aus Iran nach Gaza bringen sollte, u. a. den Internationalen Flughafen Gaza bei Rafah völlig zerstörte. Wiederholte Angriffe und Großoffensiven israelischer Armeeeinheiten in palästinensische Autonomiegebiete zur »vorbeugenden Liquidierung« mutmaßlicher Gewalttäter sowie weitere Aktionen gegen Intifadakämpfer, auch das nur zeitweise Eindringen in die Zone A und deren »vorübergehende Abschließung«, besonders die zeitweilige Besetzung fast aller großen Städte in den Autonomiegebieten (ab 12. 3. 2002), signalisierten, dass die Politik Israels, den Autonomieprozess in Palästina rückgängig zu machen, eine neue Stufe erreicht hat, da zudem parallel zum militärischen Vorgehen die Autonomiestrukturen zerstört wurden. Dennoch äußerte sich Scharon - unter internationalem, v. a. US-amerikanischem Druck - bereit, einen Palästinenserstaat anzuerkennen. Seit 2002 bemüht sich die internationale Staatengemeinschaft, allen voran die USA, Russland, die EU und die UNO, um eine internationale Nahost-Friedenskonferenz, die der Gewalt ein Ende bereiten soll.
Der Aufbau staatlicher Strukturen wird insgesamt stark beeinträchtigt durch die wirtschaftliche und soziale Unterentwicklung: 1999 verfügten die Palästinenser im Westjordanland über ein Pro-Kopf-Einkommen von 1 850 US-$, in dem überbevölkerten Gazastreifen nur über 1 340 US-$ (im Vergleich dazu in Israel über 16 200 US-$). Lag das Wirtschaftswachstum zwischen 1998 und Oktober 2000 noch zwischen 5 % und 7 %, so ist es seit dem Beginn der Intifada stark rückläufig. Nach Angaben des Büros des Deutschen Industrie- und Handelstages in Ramallah haben manche Zweige der palästinensischen Volkswirtschaft zwischen 70 und 90 % Einbußen erlitten: so der Tourismus um 88 %, das Bauwesen um 79 %, Landwirtschaft und Fischerei um 74 %, öffentliche und soziale Dienste um 69 % und das Handwerk um 54 %. Die Arbeitslosenquote liegt bei annähernd 60 %. Zwei Drittel der Bevölkerung leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze. Diese sozialen Daten tragen in Verbindung mit dem enormen Bevölkerungszuwachs und dem gerade unter Jugendlichen leicht Anhänger findenden religiösen Fanatismus dazu bei, dass die innergesellschaftliche Lage in zunehmendem Maße brisant wird. Daher können auch Organisationen wie Hamas, Djihad Islami, PFLP, Tanzim-Milizen oder die Al-Aksa-»Märtyrer« immer wieder neue Attentäter rekrutieren, die bereit sind, gegen Israel Gewalt oder sogar ihr eigenes Leben einzusetzen. In diesem Zusammenhang macht sich auch negativ bemerkbar, dass ab 1996 keine funktionierende Demokratie aufgebaut wurde, wie dies im Interimsabkommen vorgesehen war. Arafats autoritärer Regierungsstil, unterstützt von über 30 000 Polizisten und 40 000 Zivilbeamten sowie etwa einem halben Dutzend verschiedener Geheimdienste, wird vom Palästinensischen Legislativrat nicht kontrolliert. Vetternwirtschaft und Korruption scheinen an der Tagesordnung zu sein. Das Rechtssystem entspricht nicht dem Standard eines Rechtsstaates; zum einen gibt es Willkürverhaftungen und Folter, zum anderen rechtsfreie Räume, da neben der lange ausstehenden Verfassung auch viele ausführende Gesetze fehlen und die Gewaltenteilung systematisch verletzt wird. Die Infrastruktur der Autonomiebehörde kann zudem nach den vielen Militäraktionen Israels als weitgehend zerstört gelten. Die mehrmonatige Isolierung Arafats demütigte auch in den Augen seiner Gegner das ganze palästinensische Volk und schürte noch den Hass.
Die weiterhin offenen palästinensischen Kernfragen:
Im Kern des Konflikts stehen die nach wie vor ungelösten Fragen (Staats- und Flüchtlingsfrage, Status Jerusalems, Siedlungspolitik); sie erfordern trotz Scharons Kurswechsel zur Betonung von Israels Recht auf Selbstverteidigung unvermeidlich den Ausgleich zwischen Israel und Palästinensern; unter internationaler Vermittlung notdürftig erreichte zeitweise Annäherungen können die grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen und zur Deeskalation, die Überwindung des Grunddefizits an Vertrauen nicht ersetzen. In ihrer Entschließung 1379 vom 12. 3. 2002 hatten die UN auf Vorschlag der USA die Schaffung eines Staates Palästina empfohlen (genauer Wortlaut: »Existenz zweier Staaten in Sicherheit und mit anerkannten Grenzen«). Der »Abdallah-Plan« vom März 2002, der im Kern den Rückzug Israels in die Gebiete vor dem Sechstagekrieg 1967, einen unabhängigen Palästinenserstaat im Westjordanland und im Gazastreifen mit Jerusalem als Hauptstadt sowie die völlige diplomatische Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten vorschlägt, beinhaltete erstmals die Chance zu einem endgültigen und alle arabischen Staaten einschließenden Frieden; er scheiterte an Scharons ausbleibender Zustimmung. Kam es 2001/02 mit der Verhärtung des Konflikts u. a. auch zur Errichtung von 40 neuen und dem Ausbau zahlreicher alter Siedlungen, so ließ Verteidigungsminister Ben-Eliezer Ende Juni 2002 - auch unter starker Kritik von rechten Politikern - erstmals elf illegale Siedlungen räumen.
Anfang Juni 2002 setzte Arafat seine Unterschrift unter die palästinensische Verfassung und kündigte zunächst für November 2002, inzwischen für Anfang 2003 Neuwahlen an; offen blieb, ob er dazu wieder kandidieren wird. US-Präsident Bush erklärte in seiner Nahostrede vom 24. 6. 2002 - erstmals in deutlichem Abrücken von Arafat -, dass er einen provisorischen Staat Palästina nur mit neuem Führungspersonal und nach dem Ende der Gewalt anerkennen werde. Die palästinensische (Übergangs-)Verfassung (in Kraft seit 7. 7. 2002) verleiht dem Präsidenten eine starke Stellung gegenüber der Legislative und festigt damit zunächst Arafats Position.
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Hellenismus: Griechische Zivilisation weltweit
Zionismus: Die Ursprünge
Zionismus: Palästina und der Zionismus
Israel: Der Staat Israel und der Nahostkonflikt
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Pa|läs|ti|na; -s: Gebiet zwischen Mittelmeer u. Jordan.
Universal-Lexikon. 2012.