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Hobbes
Hobbes
 
[hɔbz], Thomas, englischer Philosoph, * Westport (heute zu Malmesbury, County Wiltshire) 5. 4. 1588, ✝ Hardwick Hall 4. 12. 1679; studierte in Oxford, war dann Hauslehrer in der Familie der Grafen von Devonshire (diese Stellung behielt er mit Unterbrechung bis zum Ende seines Lebens), bereiste Frankreich und Italien (Bekanntschaft mit M. Mersenne, P. Gassendi, R. Descartes und G. Galilei). Er war Sekretär von F. Bacon und übersetzte einige seiner Schriften ins Lateinische. Hobbes floh vor Ausbruch der Revolution 1640 nach Paris, wo er den späteren König Karl II. unterrichtete. Unter O. Cromwell kehrte er 1651 nach England zurück, was ihn nach der Restauration heftigen Angriffen der royalistischen Partei aussetzte. Seine politischen Anschauungen und seine Philosophie waren geprägt von den Bürger- und Revolutionskriegen in England und Frankreich sowie dem Anliegen, einen ausgleichenden Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen.
 
Fasziniert von der wissenschaftlichen Exaktheit der »mathematischen Methode«, dem deduktiven systematischen Wissenschaftsideal des 17. Jahrhunderts, seinen Ergebnissen und Leistungen (Galilei), suchte auch Hobbes in der natürlichen Vernunft als methodischen Grund der Geometrie und Mathematik das Modell seines gesamten Philosophierens. Die innere Ordnung seiner Philosophie besteht aus dem stufenweisen Fortschreiten von einer Physik (»De corpore«, 1655; deutsch »Vom Körper«) über eine Anthropologie (»De homine«, 1658; deutsch »Vom Menschen«) zu einer Staatslehre (»De cive«, 1642; deutsch »Vom Bürger«, »Leviathan«). Seine Methode ist ein Konstruieren mit Erfahrungsdaten; Tatsachen müssen in ihre Elemente zerlegt (analysiert) werden, dies ermöglicht ihre Rückführung auf gesetzesartige Prinzipien, die ihrerseits die Basis wissenschaftlicher Erkenntnis bilden. Metaphysische Prinzipien im Sinne ewiger Wahrheiten kommen bei Hobbes nicht vor. Die aller Erkenntnis zugrunde liegende sinnliche Erfahrung wird als eine Reaktion des Organismus auf äußere Reize definiert. Die Logik wird in enge Beziehung zur Mathematik gestellt, vernünftiges Überlegen als Rechnen erklärt.
 
Die Bedeutung von Hobbes' Philosophie besteht in der Übertragung der mechanistisch-naturwissenschaftlichen Methode auf die Staats- und Gesellschaftslehre. Er bestimmte das Wesen des Menschen nicht von dem Vermögen der Vernunft her, auch stellt sich der Mensch nicht als zu einer Gemeinschaft strebend (Aristoteles) dar. Hobbes' Ansichten fußen auf den Theorien vom Naturzustand und vom Staatsvertrag. Im Naturzustand werden die Menschen durch den in der menschlichen Natur gegründeten Trieb zur Selbsterhaltung und damit verbunden durch ein unersättliches Machtstreben bestimmt (»homo homini lupus«, »der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«).
 
Die unausweichliche Folge dessen wäre der Krieg aller gegen alle, wenn sie nicht alle ihre Macht durch einen uneingeschränkten Verzicht auf das natürliche Recht auf den »Souverän« übertrügen. Erst durch die so vollzogene Begründung des Staates (Staatsvertrag) kann die Willkür der nicht durch Normen gebundenen Einzelnen durch die rechtsetzende Gewalt überwunden und der Friede (u. a. Eigentumsrecht) gesichert werden. Der Souverän kann durch eine Person oder eine »Versammlung« verkörpert werden, die allmächtig, niemand verpflichtet ist und allein Recht und Moral setzt (»authoritas, non veritas facit legem«, »Autorität, nicht Wahrheit macht das Gesetz«). Durch seine Einsetzung entsteht erst Gesellschaft, und zwar gleich als Staat, der eine reale Überperson ist, der Leviathan oder »sterbliche Gott«. In diesem Staat gibt es weder Gewissens- noch Glaubensfreiheit, welche als Ausgangspunkt aller Uneinigkeit im Staate aufgefasst werden.
 
Die Staatsbürger sehen die Handlungen des Souveräns als ihre eigenen an, er bestimmt auch, was theologisch wahr sein soll. Im Verhältnis der souveränen Staaten untereinander gilt nach Hobbes, der hierin von J. Bodin ausging, der gleiche Naturzustand: der ewige Krieg aller gegen alle. Hobbes, auch Vater des Absolutismus genannt, hatte mit seiner Theorie wenig politischen Einfluss und wurde durch die Staatslehre J. Lockes, der seinerseits Wegbereiter des liberalen Rechtsstaates war, bald in den Hintergrund gedrängt. Er beeinflusste u. a. B. de Spinoza, S. von Pufendorf, C. Thomasius, als Logiker G. W. Leibniz. Seit dem 19. Jahrhundert, besonders seit C. Schmitt, der in seinem Rechtsdenken von hobbesschen Grundkategorien ausging, und seit die Totalitarismusforschung sich mit seinem Staatsbild beschäftigte, ist seine Philosphie Gegenstand systematischer Untersuchungen. Die bahnbrechende Wirkung von Hobbes besteht v. a. in der Begründung eines neuen Weltbildes, das durch die Entwicklung der exakten Naturwissenschaften einerseits und durch die Idee des begründbaren und herstellbaren säkularen Staates andererseits bestimmt war, sowie in der Integration der Staats- und Rechtsphilosophie in ein System.
 
Weitere Werke: The elements of law natural and politic (1640, erster vollständiger Druck Oxford 1888; deutsch Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen); Leviathan or the matter, forme and power of a common-wealth ecclesiastical and civill (1651; deutsch Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates); Behemoth or the Long Parliament (1668, gedruckt 1680).
 
Ausgaben: The English works, herausgegeben von W. Molesworth, 11 Bände (1839-45, Nachdruck 1961); Opera philosophica quae Latine scripsit omnia, herausgegeben von demselben, 5 Bände (1839-45, Nachdruck 1961-62).
 
Literatur:
 
H. Studies, hg. v. K. C. Brown (Oxford 1965);
 
H.-Forsch., hg. v. R. Koselleck u. a. (1969);
 F. O. Wolf: Die neue Wiss. des T. H. (1969);
 U. Weiss: Das philosoph. System von T. H. (1980);
 W. Röd: T. H., in: Klassiker der Philosophie, hg. v. O. Höffe, Bd. 1 (1981);
 H. Schelsky: T. H. - eine polit. Lehre (1981);
 
T. H. Anthropologie u. Staatsphilosphie, hg. v. O. Höffe (1981);
 
Furcht u. Freiheit. Leviathan-Diskussion 300 Jahre nach T. H., hg. v. U. Bermbach u. a. (1982);
 C. B. Macpherson: Die polit. Theorie des Besitzindividualismus (a. d. Engl., Neuausg. 31990);
 H. Münkler: T. H. (1993);
 A. P. Martinich: T. H. (Houndsmill 1997).
 

Universal-Lexikon. 2012.