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Jahreszählung
Jahreszählung,
 
seltener Jahrrechnung, Bezeichnung für die Ein- und Zuordnung der Zeiteinheit Jahr in eine allgemein verwendete Zeitskala, Grundlage aller Datierung. In der Chronologie werden die Jahre und Jahrhunderte ab einem Fixpunkt (Ursprung) gezählt, der Ära genannt wird. Im abendländischen Kulturkreis erfolgt die exakte Zeit- und Jahreszählung nach dem Dezimalsystem und der christlichen Ära, das heißt, das 1. Jahrhundert begann am 1. 1. des Jahres 1, das 3. Jahrtausend n. Chr. beziehungsweise das 21. Jahrhundert beginnt am 1. 1. 2001.
 
Grundlagen der Jahreszählung:
 
Grundsätzlich bedeutend für die Jahreszählung ist der Jahresanfang (Neujahr). Die Tatsache, dass das Jahr aber kein ganzzahliges Vielfaches der natürlichen Grundeinheit Tag ist, ließ in den historischen Kulturkreisen verschiedene Jahreseinteilungen sowie (v. a. sakrale) Zählungen und damit unterschiedliche Kalender zu. Die Vielfalt der verwendeten Kalender - mit unterschiedlichen Jahresanfängen sowie wechselnden Monats- und Jahreslängen - erschwert die zeitliche Zuordnung zu einer in den Kulturen einheitlichen Jahreszählung beziehungsweise zu einer allgemein gültigen »Weltzeit« durch alle Epochen (Datierungsprobleme der Chronologie). Im Abendland setzte sich die von Dionysius Exiguus im 6. Jahrhundert eingeführte christliche Jahrrechnung (»n. Chr.«; Zeitwende) - mit ihrer heute durch den gregorianischen Kalender gegebenen Zeiteinteilung - in der Wissenschaft in der Folgezeit durch. Es ist aber zu beachten, dass es auch bezüglich der Jahreszählung in den Kanzleien bis zum 15. Jahrhundert üblich war, nicht die von Papst Silvester II. im 10. Jahrhundert eingeführten arabischen, sondern römische Ziffern zu verwenden. Gebräuchlich war es im Mittelalter in den Kanzleien des Weiteren, in der Jahreszählung nur die Zehner- und Einerzahlen anzugeben. Im Alltag und im Bewusstsein der Menschen, aber auch offiziell, blieb außerdem die Jahreszählung noch bis ins Spätmittelalter an eigene bedeutende Ereignisse oder an die christlichen Festtage (die christliche Festrechnung als Grundlage der abendländischen Chronologie) gebunden, am häufigsten jedoch an den jeweiligen Regenten, z. B. Herrscherjahre der Kaiser von der Krönung (seit dem Spätmittelalter häufig von der Wahl) an, Herrscherjahre englischer oder französischer Könige, seltener das Lebensalter der Landesfürsten; so ist z. B. in Japan noch heute, neben der 1872 übernommenen (global-)westlichen Jahreszählung, die Ära des herrschenden Tenno (seit seiner Inthronisation) als Zeitbezugssystem von Bedeutung. - Zeiterleben und -auffassung war bis in die Neuzeit im Allgemeinen v. a. vom Rhythmus der Jahreszeiten (Saisonalität), also Aussaat und Ernte, und der schnellen Abfolge der Generationen bestimmt. Die Wahrnehmung von und die Periodisierung nach größeren Zeitabschnitten (Jahrhundert, Jahrtausend) fand ebenfalls erst im 16./17. Jahrhundert allgemeine Verbreitung. Auch ein Wandel des kollektiven Zeitverständnisses im kulturellen Kontext (Zeiterleben) ist zu konstatieren.
 
Jahresbezeichnungen im Wandel der Zeiten:
 
Schon bei Griechen und Römern war es allgemein üblich gewesen, das Jahr als Amtsjahr anzugeben sowie es mit den Namen der jeweiligen obersten Jahresbeamten (Eponymen) und später auch nach Herrschern zu bezeichnen. Deshalb wurden schon in der Antike Eponymen- ebenso wie später Herrscherlisten für die Zeitrechnung und -zählung verwendet. Eine andere Grundlage für die Zuordnung liefern die verschiedenen antiken Ären; bedeutend wurde v. a. die Diokletianische Ära (Beginn: erster Regierungstag von Kaiser Diokletian, 28. 8. 284). Im Mittelalter war diese Form der Jahresbenennung allerdings nicht mehr von Bedeutung. Lediglich die Indiktion (lateinisch indictio), ein von Kaiser Justinian I., dem Großen, 537 wohl zu Steuerzwecken festgelegter Zyklus von je 15 Jahren (deshalb auch Kaiserliche Zahl, Zeichen genannt) war häufig, allerdings zusätzlich zur christlichen Jahreszählung, verbreitet. Die Jahreszählung mit Indiktionszahl ist in einem komplizierten Verfahren umzurechnen; der Wechsel im Jahr war allerdings in Abhängigkeit von dem in der jeweiligen Kanzlei üblichen Stil zur Ansetzung des Jahresanfangs (1. 9., 24. 9., 25. 12./1. 1., seltener 8. 1.) unterschiedlich gebräuchlich. - Dionysius Exiguus, dem die Ziffer Null noch unbekannt war, hatte im 247. Jahr Diokletians beziehungsweise 531 n. Chr. als das Datum von Christi Geburt den 25. 12. 753 »ab urbe condita« (Gründung Roms) errechnet. Zum Fixpunkt seiner Jahrrechnung (Ära) bestimmte er das Jahr 1 als das der Zeitwende (gezählt als »anni ab incarnatione domini«, »Jahre von der Fleischwerdung des Herrn«). Die christliche Jahreszählung kennt also kein Jahr Null; Christi Geburt wird auf das Jahr gesetzt, das dem Jahr 1 unserer Zeitrechnung vorangeht (nach Dionysius beginnt es mit dem 1. 1. 754 varronischer Ära). Auf diese Tatsache berufen sich jene, die - mit Hinweis auf den Beginn des Dezimalsystems bei Null - den Beginn des 21. Jahrhunderts auf den 1. 1. 2000 festsetzen (wie dies auch schon analog bei der Festlegung der europäischen Jahrhundertfeier 1900 geschehen war).
 
Literatur:
 
H. Grotefend: Zeitrechnung des dt. MA. u. der Neuzeit. 2 Bde. (1891-98);
 G. Bodmann: Jahreszahlen u. Weltalter. Zur Grundlegung der mittelalterl. Chronistik (1992);
 
Rhythmus u. Saisonalität, hg. v. P. Dilg u. G. Keil (1998);
 A. Brendecke: Die Jahrhundertwenden. Eine Gesch. ihrer Wahrnehmung u. Wirkung (1999);
 S. Jay Gould: Der Jahrtausend-Zahlenzauber. Durch die Scheinwelt numer. Ordnungen (1999).

Universal-Lexikon. 2012.