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Semiotik
Se|mio|tik 〈f. 20; unz.〉 Lehre von den Zeichensystemen (z. B. Verkehrszeichen, Bilderschrift, Formeln, Sprache) in ihren Beziehungen zu den dargestellten Gegenständen; → Lexikon der Sprachlehre

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Se|mi|o|tik, die; - [zu griech. sēmeiōtikós = zum (Be)zeichnen gehörend]:
1. (Philos., Sprachwiss.) Semiologie (1).
2. (Med.) Symptomatologie.

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Semiotik
 
[zu griechisch sēmeiōtikós »zum (Be)zeichnen gehörend«, zu sēmeĩon »Zeichen«] die, -, Semiologie, Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft: die Lehre von den Zeichen. Sie untersucht Strukturen und Funktionen aller Zeichenprozesse. Als Zeichenprozesse (Semiosen) gelten (im engeren Sinn) alle sprachliche, (im weiteren Sinn) auch alle nichtsprachliche Prozesse der Kommunikation, schließlich auch das Entstehen und Interpretieren natürlicher Zeichen (medizinische Symptomatologie). Daher bleibt eine präzise Disziplinenabgrenzung umstritten; nach Gegenständen unterscheidet z. B. Thomas Albert Sebeok (* 1920,✝2001) zwischen Anthroposemiotik (Zeichensysteme menschlicher Wesen), Zoosemiotik (Zeichensysteme nichtmenschlicher Lebewesen) und der die kybernetischen Systeme untersuchenden Endosemiotik. Selbst die Differenz zwischen theoretischer Semiotik (allgemeine Zeichentheorie) und angewandter Semiotik (v. a. in Gestalt der Textsemiotik als Nachfolgewissenschaft der Hermeneutik und als neues Paradigma der Kunstwissenschaft: Semiotik der Architektur, des Films usw.) bleibt angesichts der sich gegenwärtig vollziehenden Erweiterung des Zeichenbegriffs ein Notbehelf der Forschungsorganisation. Semiotik präsentiert sich eher als ein Feld verwandter Untersuchungen denn als eine selbstständige Disziplin mit eigener Methode und präzisem Gegenstand.
 
Unterschiedliche Richtungen ergeben sich aufgrund von Methodenkombinationen klassischer Forschungsrichtungen mit semiotischen Fragestellungen: behavioristische Semiotik (C. W. Morris), funktionalistische Semiotik (Eric Buyssens und Jeanne Martinet), marxistische Semiotik (G. Klaus), phänomenologische Semiotik (Elmar Holenstein, * 1937), psychoanalytische Semiotik (Julia Kristeva); durch Schulbindungen: in Deutschland als Stuttgarter (M. Bense und Elisabeth Walther, * 1922), Bochumer (Walter Alfred Koch, * 1934) oder Hamburger (Klaus Oehler, * 1928) Schule; v. a. aber durch die unterschiedliche Rolle, welche die Klassiker einer eher philosophisch-zeichentheoretisch (C. S. Peirce) oder linguistisch-strukturalistisch (F. de Saussure) ausgerichteten Semiotik spielen.
 
Die Semiotik hat vor ihrer erweiterten Neudefinition im 20. Jahrhundert bereits eine bis in die Antike zurückreichende Tradition, wobei sie der Lösung praktischer Fragen diente (z. B. Medizin, Mantik). Im Anschluss an J. Locke, der unter Verwendung des Begriffs »semeiotike« die Zeichenlehre als dritten Zweig seiner Wissenschaftsklassifikation vorgestellt und mit allgemeiner Logik identifiziert hatte, entwarf Peirce eine universale Zeichentheorie, die durch Auszeichnung dreier (relationslogisch begründeter und phänomenologisch aufgewiesener) Fundamentalkategorien die Grundlage einer neuen Metaphysik enthält. Die klassische Deutung der Zeichenrelation (»aliquid stat pro aliquo«, deutsch »irgendetwas steht für irgendetwas«) wird durch die Kategorie genuiner, d. h. nicht auf zweistellige Relationen reduzierbarer Drittheit abgelöst: Ein Zeichen ist »etwas, das für jemanden in gewisser Hinsicht für etwas steht«. Es bringt etwas von ihm Unterschiedenes (seinen Interpretanten) dazu, »sich auf einen Gegenstand (sein Objekt) zu beziehen, auf den es sich selbst auf dieselbe Weise bezieht, sodass der Interpretant seinerseits zu einem Zeichen wird - und so weiter ad infinitum«. Diese Definition ist umfassend: Sie erklärt es nicht zur Bedingung eines Zeichens, von einem Sender absichtlich emittiert zu sein, und sie überschreitet mit dem von ihr implizierten Kontinuum unendlich sich interpretierender Zeichen die Alternative von Nominalismus und Realismus. Die Abhängigkeit der Erkenntnis von der Zeichenrepräsentation begründet bei Peirce geradezu die objektive Geltung der Allgemeinbegriffe (Universalien). Peirce zufolge lassen sich Zeichen durch drei Trichotomien gliedern: »unter dem Gesichtspunkt, ob das Zeichen selbst eine bloße Qualität (Qualizeichen), ein aktual Existierendes (Sinzeichen) oder ein allgemeines Gesetz (Legizeichen) ist;. .. danach, ob die Relation des Zeichens zu seinem Objekt darin besteht, dass das Zeichen an sich selbst eine bestimmte Beschaffenheit hat (ein Ikon), oder ob sie in einer existenziellen Relation des Zeichens zu jenem Objekt besteht (ein Index) oder in seiner Relation zu einem Interpretanten (ein Symbol);. .. danach, ob sein Interpretant es als Zeichen der Möglichkeit (Rhema), als ein Zeichen des Tatsächlichen (Dicent) oder als ein Zeichen der Vernunft (Argument) darstellt«. Diese Unterscheidungen bilden die Grundlagen der modernen Semiotik.
 
Als zweite Quelle der Semiotik gilt de Saussures Semeologie beziehungsweise Semiologie (so terminologisch im französischen Sprachraum): »eine Wissenschaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht«. Das Zeichen ist definiert als eine Vereinigung von »signifiant« (Signifikant, Bezeichnendes, Zeichenvehikel, Lautbild) und »signifié« (Signifikat, Bezeichnetes, Bedeutung). Es ist also allein an sprachlichen Zeichen, an konventionalistisch interpretierte Systeme künstlicher Zeichen, gedacht. Saussures Unterscheidungen zwischen »langue« (allgemeines Regelsystem) und »parole« (individualisierte Realisierung als Rede), zusammengefasst im Oberbegriff »langage«, und zwischen diachron. und synchron. Untersuchungsebenen sind grundlegende Begriffe des sprachwissenschaftlichen Strukturalismus.
 
U. Eco unterscheidet zwischen Signifikationssystemen (Theorie der Codes) und Kommunikationsvorgängen (Theorie der Zeichenerzeugung) und entwirft eine Kulturtheorie auf der Basis der Semiotik.
 
Literatur:
 
F. de Saussure: Grundfragen der allg. Sprachwiss. (a. d. Frz., 21967, Nachdr. 1986);
 
Wb. der S., hg. v. M. Bense u. a. (1973);
 G. Klaus: S. u. Erkenntnistheorie (Berlin-Ost 1973);
 T. A. Sebeok: Theorie u. Gesch. der S. (a. d. Amerikan., 1979);
 
Encyclopedic dictionary of semiotics, hg. v. T. A. Sebeok: u. a., 3 Bde. (Berlin 21994);
 E. Walther: Allg. Zeichenlehre (21979);
 
Die Welt als Zeichen. Klassiker der modernen S., hg. v. M. Krampen u. a. (1981);
 W. Nöth: Hb. der S. (1985);
 C. S. Peirce: Semiot. Schriften, 3 Bde. (a. d. Engl., 1986-93);
 J. Simon: Philosophie des Zeichens (1989);
 U. Eco: Einf. in die S. (a. d. Ital., 81994);
 H. J. Sottong u. Michael Müller: Zw. Sender u. Empfänger. Eine Einf. in die S. der Kommunikationsgesellschaft (1998);
 
Zeichen über Zeichen. Texte zur S.. .., hg. v. D. Mersch (1998).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Zeichen in der Kommunikation
 
Pragmatik: Sprache in bestimmten Situationen
 

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Se|mi|o|tik, die; - [zu griech. sēmeiōtikós = zum (Be)zeichnen gehörend]: 1. (Philos., Sprachw.) Semiologie (1). 2. (Med.) Symptomatologie.

Universal-Lexikon. 2012.