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Verwaltungsgerichtsbarkeit
Ver|wạl|tungs|ge|richts|bar|keit, die:
Gerichtsbarkeit in Streitfällen, die das Verwaltungsrecht betreffen.

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Verwaltungsgerichtsbarkeit,
 
die Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht.
 
Aufbau:
 
Im Rahmen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bestehen in den Ländern Verwaltungsgerichte (VG) und Oberverwaltungsgerichte (OVG), Letztere in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen unter der Bezeichnung Verwaltungsgerichtshof (VGH). Der Bund hat als oberstes Bundesgericht für die Verwaltungsgerichtsbarkeit gemäß Art. 96 GG 1952 das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Berlin [Sitz wird nach Leipzig verlegt]) errichtet. Bei den VG und (nach Maßgabe des Landesrechts) bei den OVG wirken neben Berufsrichtern auch ehrenamtliche Richter mit (Gericht, Übersicht). Zur Straffung der Verfahren können bestimmte verwaltungsgerichtliche Entscheidungen dem Einzelrichter übertragen werden. - Durch Rechts-VO der Landesregierung kann ein Vertreter des öffentlichen Interesses bestimmt werden.
 
Zuständigkeit:
 
Nach § 40 VwGO entscheiden die Verwaltungsgerichte über sämtliche öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, soweit diese nicht verfassungsrechtlicher Art sind und nicht kraft Gesetzes eine andere Zuständigkeit begründet wird. Kraft Gesetzes sind für bestimmte öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Finanz-, Sozial- und Disziplinargerichte zuständig; außerdem weist § 40 Absatz 2 VwGO in Ausführung von Vorschriften des GG Ansprüche aus Aufopferung, aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten den ordentlichen Gerichten zu (Staatshaftung).
 
Verfahren:
 
Das Gericht wird nur auf Antrag (Klage) eines Beteiligten tätig. Um eine Sachentscheidung fällen zu können, müssen die Prozessvoraussetzungen (Sachentscheidungsvoraussetzungen) vorliegen (insbesondere Zulässigkeit des Rechtswegs, Beteiligungs- und Prozessfähigkeit). Das Gesetz stellt die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage als Verwaltungsaktsklagen, die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage zur Verfügung. Wendet sich der Kläger gegen einen Verwaltungsakt oder begehrt er einen solchen, muss er in der Regel zuvor fristgebunden ein Widerspruchsverfahren durchlaufen und dann binnen Monatsfrist Klage erheben (§§ 68 ff. VwGO). Klagen kann vorbehaltlich abweichender spezialgesetzlicher Regelungen nur, wer eigene Rechte geltend machen will; eine Jedermannklage (Popularklage, Verbandsklage) ist ohne ausdrückliche gesetzliche Zulassung nicht möglich. Außerdem stellt die VwGO ein Normenkontrollverfahren zur Verfügung (§ 47 VwGO) gegen Satzungen und Verordnungen aufgrund des Baugesetzbuches (v. a. Bebauungspläne) und, soweit das Landesrecht dies vorsieht, gegen sonstige im Rang unter dem Gesetz stehende Vorschriften des Landesrechts. Antragsberechtigt ist jeder, der durch die Norm einen Nachteil zu erwarten hat, außerdem jede mit der Norm befasste Behörde.
 
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen (Untersuchungsgrundsatz). Die Entscheidung ergeht in der Regel aufgrund mündlicher Verhandlung; in einfach gelagerten Fällen kann ein Gerichtsbescheid erlassen werden (§ 84 VwGO). Anwaltszwang besteht vor dem BVerwG und dem OVG.
 
Das Verwaltungsgericht entscheidet über die Klage nur nach Rechtsmaßstäben, nicht nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit. Durch Urteil kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt aufgehoben, die Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts oder zur Erbringung einer sonstigen Leistung oder zur Unterlassung verurteilt werden, oder es kann das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Hat die Behörde Ermessen, wird sie gegebenenfalls zur erneuten fehlerfreien Ermessensentscheidung verurteilt. In der Regel hat das Gericht den Prozess durch vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage spruchreif zu machen, sodass es endgültig entscheiden kann; ausnahmsweise kann es auch nur einzelne Fragen entscheiden und die Sache im Übrigen an die Verwaltung zurückverweisen (§ 113 VwGO). Gegen die Urteile erster Instanz steht den Beteiligten die Berufung zum OVG zu, wenn sie vom OVG zugelassen wird. Die Endentscheidungen des OVG können unter bestimmten Voraussetzungen mit der Revision an das BVerwG angefochten werden (das in der Regel die angefochtene Entscheidung nur auf Verletzung von Bundesrecht überprüft), wenn das OVG sie zugelassen hat (Nichtzulassungsbeschwerde möglich). Für bestimmte, Großprojekte betreffende Klagen (z. B. Genehmigung eines Kernkraftwerks oder Planfeststellung einer Eisenbahntrasse) ist das OVG in erster Instanz zuständig (§ 48 VwGO), in einigen sonstigen Fällen auch das BVerwG (§ 50 VwGO).
 
Geschichte:
 
In Deutschland entwickelte sich die Administrativjustiz im 19. Jahrhundert überwiegend als eine organisatorisch verselbstständigte, auf bestimmte Angelegenheiten begrenzte Selbstkontrolle der Verwaltung. Schon im 19. Jahrhundert wurden in einigen Staaten beziehungsweise Ländern, so in Baden (1863) und in Preußen mit Errichtung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (1875), von der Verwaltung organisatorisch und personell getrennte und unabhängige Verwaltungsgerichte geschaffen. Nach 1945 ergingen in den Westzonen Gesetze, durch die umfassende Zuständigkeiten für die nun überall unabhängigen Verwaltungsgerichte eingeführt wurden. In der DDR gab es keine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die VwGO vom 21. 1. 1960 in der Fassung vom 19. 3. 1991 regelt die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit ursprünglich für das alte Bundesgebiet, nunmehr für Gesamtdeutschland einheitlich. Zur besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit zählen die Sozialgerichtsbarkeit, die Finanzgerichtsbarkeit und die Disziplinargerichte.
 
In Österreich übt die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in Wien aus. Er entscheidet vorwiegend über Beschwerden gegen Bescheide, zu deren Einbringung die vom Bescheid beschwerten Personen und ausnahmsweise bestimmte Verwaltungsorgane (Amtsbeschwerde) berechtigt sind. Daneben kann auch Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Verwaltung erhoben werden. Voraussetzung für die Bescheidbeschwerde beim VwGH ist die Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges und die Wahrung der sechswöchigen Beschwerdefrist. In Verwaltungsstrafsachen sowie gegen faktische Amtshandlungen von Verwaltungsbehörden ist dem VwGH die Kontrolle durch »Unabhängige Verwaltungssenate« in den Ländern vorgeschaltet, die der Sache nach ebenfalls Verwaltungsgerichtsbarkeit ausüben, aber Verwaltungsbehörden sind (Verwaltungsverfahren). Zur Entlastung des VwGH ist die Einführung von Landesverwaltungsgerichten, die in Angelegenheiten der Landesverwaltung und, der mittelbaren Bundesverwaltung erkennen sollen und des Verwaltungsgerichts erster Instanz des Bundes, das in Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung erkennen soll, geplant.
 
In der Schweiz ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Titel Verwaltungsrechtspflege in den Bundesgesetzen vom 16. 12. 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (mit zahlreichen Änderungen) und vom 20. 12. 1968 über das Verwaltungsverfahren geregelt; daneben in kantonalen Gesetzen für die kantonalen Verwaltungsverfahren. Mit Einsprache und Rekurs beziehungsweise Verwaltungsbeschwerde kann innerhalb der Verwaltungsinstanzen ein Entscheid der Verwaltung zur Überprüfung gebracht werden. Letztinstanzlich kann in den meisten Fällen ein Verwaltungsgericht mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde angerufen werden, wobei das Bundesgericht hinsichtlich Sachverhaltsfeststellung und Überprüfung des Ermessens eine eingeschränkte Kognition hat.
 
Literatur:
 
M. Imboden u. R. A. Rhinow: Schweizer. Verwaltungsrechtsprechung, 2 Bde. u. Erg.-Bd. (Basel 1-61976-90);
 P. Oberndorfer: Die österr. V. (Linz 1983);
 
Die Gerichtsbarkeit des öffentl. Rechts, hg. v. H. R. Klecatsky u. a. (Wien 1984);
 H.-J. Priess: Internat. Verwaltungsgerichte u. Beschwerdeausschüsse (1989);
 H.-J. von Oertzen: V. (1991);
 E. Bosch u. Jörg Schmidt: Prakt. Einf. in das verwaltungsgerichtl. Verfahren (61996);
 K. Redeker u. a.: Verwaltungsgerichtsordnung (121997);
 E. Eyermann u. L. Fröhler: Verwaltungsgerichtsordnung (101998);
 F. O. Kopp: Verwaltungsgerichtsordnung (111998).
 

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Ver|wạl|tungs|ge|richts|bar|keit, die <o. Pl.>: Gerichtsbarkeit in Streitfällen, die das Verwaltungsrecht betreffen.

Universal-Lexikon. 2012.