rụssische Sprache,
ostslawische Sprache (slawische Sprachen), gesprochen als Muttersprache von etwa 130-150 Mio. Russen v. a. in Russland, aber auch in den anderen Republiken der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sowie in den baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland, außerdem als Zweitsprache von etwa 61 Mio. Angehörigen anderer Nationalitäten in der GUS sowie von etwa 1,5 Mio. Russen in den USA, Kanada, Westeuropa und Israel; bis 1991 Verkehrssprache in der UdSSR, bis 1990 auch teilweise zwischen den Ländern ihres Machtbereichs; eine Konferenzsprache der UNO.
Die russische Sprache wird in kyrillischer Schrift (Kyrilliza, russische Schrift) geschrieben. Die heutige Orthographie wurde weitgehend durch die Schriftreform von 1918 festgelegt. Sie folgt im Wesentlichen dem phonologischen Prinzip.
und Phonologie: Das russische Phonemsystem zeichnet sich durch einen großen Bestand an Konsonantenphonemen aus, dem nur fünf Vokalphoneme (a, e, i, o, u) gegenüberstehen. Die Aussprache der Phoneme variiert einerseits stark in Abhängigkeit vom Wortakzent (quantitative Reduktion der unbetonten Vokale, besonders ausgeprägt im Akanje, d. h. der Nichtunterscheidung von o und a in unbetonten Silben), der frei und beweglich ist, also auf jeder Silbe stehen und innerhalb des Paradigmas wechseln kann. Andererseits ist sie abhängig von Position und Kombination der Phoneme. Die meisten Ausspracheveränderungen hängen mit den wichtigsten Gegensatzpaaren der russischen Konsonanten zusammen, die durch die Korrelationsmerkmale Stimmton und Palatalität (oder Erweichung) gekennzeichnet sind. So werden stimmhafte Konsonanten im absoluten Auslaut stimmlos; vor Vokalen, Sonorlauten und v, v' (vor Vokal und Sonorlaut) können jedoch im Unterschied zum Deutschen sowohl stimmhafte als auch stimmlose Konsonanten auftreten, während sonst (auch über Wortgrenzen hinweg) eine regressive Stimmassimilation stattfindet, d. h., stimmhafte Konsonanten werden vor stimmlosen stimmlos und stimmlose vor stimmhaften stimmhaft. Die Palatalität der Konsonanten führt häufig auch zur Assimilation des vorhergehenden nichtpalatalen Konsonanten und hat großen Einfluss auf die Qualität der Aussprache der vorhergehenden und folgenden Vokale, wobei sich der Artikulationsort nach oben oder vorn verschiebt. Andererseits können die harten Konsonanten š, ž und c die folgenden Vokale in umgekehrter Richtung beeinflussen. In Verbindung mit der Reduktion der Vokale außerhalb der Betonung finden sich nach palatalen Konsonanten lediglich die Laute i und u, da die Phoneme a, e und o in dieser Position nur als i vorkommen.
Die nominalen Wortklassen der russischen Sprache verfügen über eine Kasusflexion, die in mehreren Deklinationsklassen (nach dem Stammauslaut werden v. a. harte und weiche Deklination unterschieden) sechs Kasus aufweist. Beim Substantiv können im Singular noch ein besonderer Genitivus partitivus (bei Stoffbezeichnungen nach Mengenangaben) auf -u/-ju bei maskulinen Stämmen und ein zweiter Lokativ auf -ú oder -í nach den Präpositionen na (»auf«) und v (»in«) bei bestimmten Klassen auftreten.
Die russische Sprache kennt drei Genera, die beim Substantiv häufig nicht mit dem natürlichen Geschlecht übereinstimmen. Eine Besonderheit bildet die Kategorie der Belebtheit oder Beseeltheit, d. h. die Verwendung des Genitivs für den Akkusativ zur Bezeichnung belebter direkter Objekte im Singular und Plural der maskulinen sowie im Plural der femininen und neutralen Stämme. Die russische Sprache kennt zwei Numeri: Singular und Plural; lediglich der Form nach haben sich Reste des alten Duals erhalten (glaza »Augen«, pleči »Schultern«). - Das Adjektiv besitzt eine attributiv und prädikativ verwendete Langform und häufig zusätzlich noch eine nur prädikativ gebrauchte Kurzform.
Das Verb kennt drei Personen, zwei Numeri und die Tempora Präsens, Präteritum und Futur. Das Präteritum unterscheidet als Folge seiner Entstehung aus einem Präteritalpartizip jedoch nur Genus (nur im Singular) und Numerus. Von großer Bedeutung für das Verbalsystem sind das Aspektsystem und die Aktionsarten des Verbs. Die Aktionsarten ändern Art und Weise der Ausführung von Verbalhandlungen und damit die Bedeutung des Verbs; sie werden durch Präfixe und Suffixe gebildet und treten nur in einem Aspekt auf. Der Aspekt ist eine grammatische Kategorie. Über 60 % der russischen Verben verfügen über einen perfektiven und einen imperfektiven Aspektpartner mit jeweils eigenem Stamm. Durch den Verbalaspekt kann der Inhalt der Verbalhandlung unterschiedlich betrachtet werden: als ganzheitlich (perfektiver Aspekt) oder nicht ganzheitlich (imperfektiver Aspekt). Darüber hinaus gibt es bei den Verben der Bewegung Verbpaare mit je einem Verb zum Ausdruck einer zielgerichteten oder nichtzielgerichteten Bewegung.
Die russische Sprache ist gekennzeichnet durch reine Nominalsätze im Präsens als Folge des weitgehenden Wegfalls der Präsensformen des Verbs byt' (»sein«), z. B.: on inžener »Er (ist) Ingenieur«. Die Wortstellung ist grundsätzlich frei, die Satzgliedfolge aber gewöhnlich: Subjekt - Prädikat - Objekt. Variationen werden kommunikativ und stilistisch genutzt; in der mündlichen Rede trägt dazu auch ein differenziertes System der Satzintonationen bei.
und Wortbildung: Die russische Sprache verfügt neben einem alten gemeinslawischen, ostslawischen und genuin russischen Wortbestand über eine Reihe von Lehnwörtern, v. a. aus dem Griechischen und Lateinischen (oft durch ukrainische, polnische oder deutsche Vermittlung), dem Französischen, Deutschen und den Turksprachen. Daneben gibt es Entlehnungen aus dem Skandinavischen, den finnougrischen Sprachen, dem Niederländischen und zunehmend aus dem Englischen. Eine Erweiterung des Wortbestandes findet ferner durch Lehnübersetzungen sowie durch die Wortbildung statt: Ableitung, Zusammensetzung, lexikalisch-syntaktisches und morphologisch-syntaktisches Verfahren, verschiedene Formen der Bildung von Kurzwörtern (z. B. kolchoz »Kolchos« aus kollektivnoe chozjajstvo »Kollektivwirtschaft«).
Dialekte:
Die Dialekte werden in eine nordrussische und eine südrussische Gruppe unterteilt sowie in eine mittelrussische Übergangsgruppe. Letztere - mit dem Moskauer Dialekt - bildet die Grundlage für die russische Literatursprache. Merkmale der nordrussischen Dialekte sind v. a. das Okanje, d. h. die Unterscheidung von o und a in unbetonten Silben, und artikelähnliche nachgestellte Partikeln (-ot, -ta). Die südrussischen Dialekte sind durch die frikative Aussprache des g gekennzeichnet, ferner durch das Akanje sowie durch die weiche Endung (-t') der 3. Person Singular und Plural des Verbs. Die mittelrussischen Dialekte haben mit den nordrussischen die Aussprache des g als Verschlusslaut und die harte Endung der 3. Person Singular und Plural des Verbs gemeinsam und mit den südrussischen das Akanje.
Funktionale
und soziale Gliederung: Die Literatursprache (literaturnyj jazyk) wird in eine kodifizierte Literatursprache und in eine ungezwungene Umgangssprache (razgovornaja reč') eingeteilt; Letztere wird von einigen Forschern als eigenes System gesehen. Außerhalb davon gibt es das »Prostorečie«, eine mündliche Umgangssprache (vorwiegend in den Städten), die von Dialekten und Jargons beeinflusst ist. Ferner existieren professionelle Gruppenjargons und ein besonderer Jugendjargon.
Die ältesten überlieferten Texte (»Ostromir-Evangelium«, 1056-57, und »Izbornik Svjatoslava«, 1073 und 1076) sind Abschriften kirchenslawischer Texte. Bis zum 14. Jahrhundert nimmt man für das Russische, Ukrainische und Weißrussische eine gemeinsame Grundlage (»Altostslawisch«) an. Mit der Herausbildung des Moskauer Zentralstaates (14.-17. Jahrhundert) spricht man von der altrussischen Sprache. Die Sprache der christlichen und kirchlichen Literatur vom 11. bis 17. Jahrhundert jedoch war das Kirchenslawische. Dieses stand zunächst (11.-14. Jahrhundert, erster südslawischer Einfluss) unter bulgarisch-südslawischem Einfluss, erfuhr im 14./15. Jahrhundert (zweiter südslawischer Einfluss) eine Reorientierung an den byzantinischen Traditionen und unterlag im 17. Jahrhundert von der Ukraine aus einem dritten südslawischen Einfluss. Diese Literatur- und Kultursprache war in dieser Periode eine andere als die gesprochene Sprache. Ihr Gebrauch war auf den jeweiligen Bereich (Kultur oder alltägliches Leben) beschränkt; diese sprachliche Situation wird als Diglossie bezeichnet. Von einer Volksliteratur, die nach Meinung zahlreicher russischer Forscher in russischer Sprache bestand und tradiert wurde, gibt es keine schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit. Lediglich in Rechtstexten und Urkunden macht sich ein stärkerer russischer Einfluss bemerkbar. Mit dem dritten südslawischen Einfluss begann sich diese Situation zu ändern, und die Diglossie entwickelte sich zu einer kirchenslawisch-russischen Zweisprachigkeit. Durch die Reformen Peters des Großen verstärkte sich der westeuropäische Einfluss auf die russische Sprache. Im 18. Jahrhundert legte M. W. Lomonossow kirchenslawische und russische Elemente auf unterschiedliche Textsorten fest und trug wesentlich zur Fixierung einer russischen Literatursprache bei, deren erste Grammatik er verfasste (»Rossijskaja grammatika«, 1757; deutsch »Russische Grammatik«). Nach verstärkten Bemühungen um eine Vermischung von kirchen- und volkssprachlichen Elementen in der Literatur Ende des 18. Jahrhunderts versuchte N. M. Karamsin in seinen Werken, die russische Syntax und Lexik von Kirchenslawismen zu befreien. Als eigentlicher Schöpfer einer einheitlichen nationalen russischen Schriftsprache gilt A. S. Puschkin, der sich verstärkt an der Volkssprache orientierte, jedoch Kirchenslawismen und Fremdwörter nicht ausschloss. Sein Schaffen führte zu einer einheitlichen Norm der russischen Literatursprache, in der seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein differenziertes System von Funktionalstilen entwickelt wurde.
Wörterbücher:
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Slovar' sovremennogo russkogo literaturnogo jazyka, hg. v. V. I. Černyšev u. a., 17 Bde. (Moskau 1950-65);
M. Vasmer: Russ. etymolog. Wb., 3 Bde. (1953-58);
L. Ė. Binovič u. N. N. Grišin: Nemecko-russkij frazeologičeskij slovar'. Dt.-russ. phraseolog. Wb. (Moskau 21975);
A. A. Zaliznjak: Grammatičeskij slovar' russkogo jazyka (ebd. 1977);
V. I. Dal': Tolkovyj slovar' živogo velikorusskogo jazyka, 4 Bde. (ebd. 71978-80);
A. I. Molotkov: Frazeologičeskij slovar' russkogo jazyka (ebd. 31978);
A. P. Evgen'eva: Slovar' sovremennogo russkogo literaturnogo jazyka, 4 Bde. (Neuausg. ebd. 1981-84);
S. I. Ožegov: Slovar' russkogo jazyka (Moskau 211989);
W. Schenk: Wb. Russ.-Dt. (ebd. 211990);
Dt.-russ. Wb., hg. v. R. Lötzsch, 2 Bde. (31991).
Bibliographie u. Allgemeines:
Russkij jazyk. Ėnciklopedija, hg. v. F. P. Filin (Moskau 1979);
H. W. Schaller: Bibliogr. zur r. S. (1980);
W. Birkenmaier u. a. Bibliogr. zur russ. Fachsprache 4 Bde. (1987-89);
Russkaja grammatika, bearb. v. V. Barnetová u. a., 2 Bde. (Prag 1979);
Russkaja grammatika, hg. v. J. Švedova, 2 Bde. (Moskau 1980);
W. Voigt: Leitfaden der russ. Gramm. (Leipzig 181988);
M. Kober: Russ. Sprachlehre, 2 Bde. (3-51989/90);
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V. Kiparsky: Russ. histor. Gramm., 3 Bde. (1963-75);
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Universal-Lexikon. 2012.