Trivial|literatur.
Der Begriff leitet sich von lateinisch »trivium« (Kreuzung dreier Wege) her und wurde im 17./18. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche übernommen; »trivial« wäre also das, was auf öffentlicher Straße verhandelt, was von jedermann gesprochen wird, was allen geläufig ist. »Trivium« bezeichnet aber auch die sprachlich-literarischen Teile der Artes liberales, die als Propädeutikum für das Quadrivium galten. So verbindet sich hier die Vorstellung vom Allgemeinen und Bekannten mit jener des Einfachen und Unkomplizierten, ohne von vornherein abwertend zu sein. Daher besitzt gegenwärtig der Begriff der »Trivialliteratur« in der deutschen Literaturkritik (wieder) jenen relativ neutralen Bedeutungsgehalt, der dem englischen Terminus »popular literature« eigen ist und entzieht sich dadurch eindeutigen Definitionen und Abgrenzungen. Gleichwohl bezeichnet »Trivialliteratur« im allgemeinen Sprachgebrauch innerhalb eines Dreischichtenmodells (»Dichtung/Hochliteratur«-»Unterhaltungsliteratur«-»Trivialliteratur«; H.-F. Foltin) aber noch immer die unterste Stufe literarischer Qualität und beinhaltet somit auch eine negative Bewertung.
Wenngleich die massenhaft verbreitete Trivialliteratur ihre Ursprünge im 18. Jahrhundert hat und im 19. Jahrhundert dank der rasch steigenden Lesefähigkeit der (städtischen) Bevölkerung sowie der verbesserten Produktionstechniken und Distributionsmethoden (z. B. Kommissionsbuchhandlungen, gewerbliche Leihbibliotheken, Verkauf der Kolportageromane durch Hausierer) eine erste Blüte erreichte, so lassen sich einige ihrer Grundmuster bis zu den bereits im 15. Jahrhundert in Europa weit verbreiteten Einblattdrucken zurückverfolgen, die ursprünglich v. a. religiöse Inhalte (Bibelszenen, Heiligendarstellungen) vermittelten. Das von Anfang an darin enthaltene Element drastisch-anschaulicher Darstellungsweise entwickelte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, losgelöst aus seinem religiösen Kontext, zum (oft auch illustrierten) Sensationsbericht mit unterschiedlichen Inhalten (Kriege, Gräueltaten, Katastrophen) und gilt als Vorläufer der Groschenheftliteratur und der Comics. Ebenfalls bis ins 15. Jahrhundert gehen die Kalender zurück, zunächst als Einblattdruck-Wandkalender, ab dem 16. Jahrhundert als Kalenderhefte, die ab dem 17. Jahrhundert zunehmend mit belehrenden und unterhaltsamen Zusätzen (Rätsel, Horoskope, Sensationsgeschichten usw.) angereichert wurden. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts sah die Kalender als wirksames Medium zur Vermittlung vernünftiger Kenntnisse (Kalendergeschichte). Zu den im 18. Jahrhundert beliebten Broschüren und Traktaten zählten u. a. Witzesammlungen, Anstandsschriften, Erotika, Beichtanweisungen, aber auch die Bänkelsängerhefte. Diese Lesestoffe der »kleinen Leute« (R. Schenda) enthalten etliche jener Komponenten, die in der massenhaften bürgerlichen Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts Verfeinerung wie auch formelhafte Ausprägung erfuhren: Die dualistische Entgegensetzung von »gut« und »böse«, »schön« und »hässlich«, »klug« und »dumm« diente der Vermittlung stabilisierender Wertsysteme und ermöglichte zugleich jene Identifikation mit den siegreichen Protagonisten, die kompensatorischen beziehungsweise eskapistischen Bedürfnissen ebenso entgegenkam wie dem Verlangen nach Information und Sinnsuche.
Die geschichtliche Entwicklung der Trivialliteratur war von diesen Kompensationsbedürfnissen bestimmt. Schon im 18. Jahrhundert und zunehmend im 19. Jahrhundert bildeten sich (zur Trivialliteratur stark von der englischen Literatur beeinflusste) Muster heraus, aus denen die Trivialliteraturgenres hervorgingen, die bis in die Gegenwart hinein bestehen. So mündeten - in der Tradition von S. Richardsons Briefroman »Pamela, or virtue rewarded« (2 Bände, 1740) stehende - empfindsam-sentimentale Schriften wie J. M. Millers »Siegwart. Eine Klostergeschichte« (2 Teile, 1776) oder A. H. J. Lafontaines »Die Gewalt der Liebe, in Erzählungen« (4 Teile, 1791-94) in die allein den privaten Lebensbereich herausstellenden Familien- und Liebesromane einer Eugenie Marlitt oder Hedwig Courths-Mahler und fanden darüber hinaus ihren Niederschlag schließlich in den auf stereotype Grundmuster reduzierten Frauenschicksals-Heftromanen der Gegenwart. Auch die sich im 19. Jahrhundert entfaltende Heimatliteratur begründete eine außerordentlich populäre Form der Trivialliteratur, in Deutschland v. a. durch B. Auerbachs »Schwarzwälder Dorfgeschichten« (4 Bände, 1843-54). Ein weiteres literarisches Muster entstand mit der heroisch-pathetischen Trivialliteratur, wie sie z. B. die Räuberromane von H. D. Zschokke (»Abällino, der große Bandit«, 1793) und C. A. Vulpius (»Rinaldo Rinaldini, der Räuber Hauptmann«, 3 Bände, 1797) mit ihren Freiheitsidealen und ihrer Gesellschaftskritik einleiteten (Räuberroman). Von ihnen führt eine direkte Linie zu der im 19. Jahrhundert sich unter dem Einfluss J. F. Coopers entwickelnden Indianer- und Wildwestliteratur und zum exotischenAbenteuerroman eines F. Gerstäcker und K. May. - Gefördert von romantischen Impulsen und als Reaktion auf den Rationalismus bildete sich als ein bis heute populäres Genre der Trivialliteratur die von der Gothic Novel (H. Walpole, Ann Radcliffe) beeinflusste Schauerliteratur (Schauerroman). Wichtige Vertreter waren hier u. a. Cajetan Tschink (* 1763, ✝ 1813; »Geschichte eines Geistersehers«, 3 Teile, 1790-93) und C. H. Spiess (»Das Petermännchen«, 2 Teile, 1793). Sofern all das, was im Leser Grauen und Irritation erzeugt, am Ende rational erklärt wird, gehört auch die Kriminalliteratur in diese Gruppe. Wo der Reizeffekt des Grauens sich verselbstständigt und dämonische Mächte allenfalls auf Zeit und nur mit physischer Gewalt oder magischen Kräften niedergezwungen werden, endete die Entwicklung im Genre der Horrorliteratur, in der auch (zunehmend) sadistische und pornographische Elemente eine Rolle spielen. Mit nationalen Identifikationsmustern und historischen Elementen arbeitet der triviale Geschichts- beziehungsweise Zeitroman, seit Beginn des 20. Jahrhunderts v. a. auch in der literarischen Thematisierung des Krieges. Eine Sonderstellung nimmt die Sciencefiction ein, in die Motive der Abenteuer- und Reiseliteratur sowie der utopischen Literatur einfließen. Bereits im 19. Jahrhundert gab es auch eine erotische Trivialliteratur, etwa die »Kleinen Erzählungen« (2 Teile, 1827) von Christian August Fischer (Pseudonym C. Althing, * 1771, ✝ 1829). Schließlich ist auch die v. a. auf dem Volksschwank basierende komische Trivialliteratur zu erwähnen. - Keineswegs ist der Roman die ausschließliche Gattung der Trivialliteratur: Ritterdrama und Zauberstück, Rührstück und Lokalposse (Lokalstück) standen lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses eines v. a. (klein)bürgerlichen Publikums. Zwar dominierte seit Beginn des 19. Jahrhunderts der (dem Rührstück thematisch nahe) Familienroman, doch erhielten sich das Bühnenstück als »bürgerliches Lachtheater« (V. Klotz) und die Boulevardkomödie bis heute ihre Beliebtheit und erreichen in den zeitgenössischen Formen von Fernsehschwank und »Soapopera« beziehungsweise TV-Familienserie hohe Einschaltquoten. Die triviale Lyrik hat im 20. Jahrhundert besonders in Form des Schlagers eine durch Schallplatte, Tonbandkassette und Videoclip geförderte Verbreitung erfahren. (Unterhaltung, Massenkultur, Massenmedien).
M. Greiner: Die Entstehung der modernen Unterhaltungslit. Studien zum Trivialroman des 18. Jh. (1964);
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H.-F. Foltin: Die minderwertige Prosalit., in: Dt. Vjschr. für Literaturwiss. u. Geistesgesch., Jg. 39 (1965);
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Lit. für viele. Studien zur T. u. Massenkommunikation im 19. u. 20. Jh., hg. v. A. Kaes u. a., 2 Bde. (1975-76);
K. Rossbacher: Heimatkunstbewegung u. Heimatroman. Zu einer Lit.-Soziologie der Jh.-Wende (1975);
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H. Plaul: Bibliogr. dt.-sprachiger Veröff. über Unterhaltungs- u. T. Vom letzten Drittel des 18. Jh. bis zur Gegenwart (Neuausg. 1980);
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P. Nusser: T. (1991);
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K. Acker: Ultra light, last minute, ex+pop-literatur (a. d. Amerikan., 1990);
P. Nusser: T. (1991);
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Trivial- und Unterhaltungsliteratur: Träume für die vielen
Universal-Lexikon. 2012.