Akademik

Charakterologie
Cha|rak|te|ro|lo|gie 〈[ ka-] f. 19; unz.〉 = Charakterkunde [<grch. charakter „Gepräge“ + logos „Wort, Kunde“]

* * *

Cha|rak|te|ro|lo|gie, die; - [-logie] (früher):
Teilgebiet der Psychologie, das sich mit Wesen u. Entwicklung des Charakters beschäftigt.

* * *

Charakterologie
 
[k-] die, -, Charạkterkunde [k-], Teilgebiet der Psychologie, das sich mit den Erscheinungsformen des Charakters, seinem Aufbau, seiner Entstehung, Entwicklung sowie den verschiedenen Charaktertypen beschäftigt. Dabei stützt sich die Charakterologie vorwiegend auf die Erscheinung und die verschiedenen Ausdrucksformen der Person, z. B. Schrift, Mimik, Sprache; diese werden als Sinnbilder der individuellen menschlichen Wesensstruktur aufgefasst und zum Ausgangspunkt der psychologischen Deutung und Charakterbestimmung gewählt.
 
Die Anfänge der Charakterologie gehen bis in die Antike zurück. Theophrast beschrieb in seiner Schrift »Charaktere« im Charakter die Eigenart sozialer Typen (z. B. der Prahlhans, der Taktlose, der Dumme). Von Galen ist die Lehre von den vier Temperamenten (Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker) überliefert. Im 17. Jahrhundert wurde der Begriff »Charakter« von dem französischen Schriftsteller J. de La Bruyère in moralisch-gesellschaftskritischem Sinn verwendet. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und besonders in der Romantik entstanden viele Neuansätze in der Charakterologie (J. K. Lavater, C. G. Carus), in erster Linie zur Physiognomik. J. Bahnsen, von A. Schopenhauer beeinflusst, legte 1867 die erste systematische Lehre der Charakterologie vor und führte den Begriff »Charakterologie« ein. L. Klages gründete seine Charakterkunde, die die deutsche Persönlichkeitsforschung in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte, auf ausdruckspsychologische Forschungen. Durch Analyse der Eigenschaftsbegriffe der Sprache kam er zur Unterscheidung von fünf Eigenschaftsbereichen: Mengeneigenschaften (Begabungen), Richtungseigenschaften (Strebungen), Verhältniseigenschaften (Willens- und Gefühlserregbarkeit), Aufbaueigenschaften (Strukturzusammenhang) und Haltungseigenschaften (Betragen). Die psychologische Forschung nahm diese Anregungen zunächst nicht auf, sondern entwickelte in den 20er-Jahren eine Reihe von Typologien als Versuche, den individuellen Charakter zu erforschen. U. anderem ordnete E. Kretschmer in seiner Konstitutionstypologie Körperbau- und Temperamentstypen einander zu. C. G. Jung unterschied die Introvertierten und die Extrovertierten als nach innen oder nach außen gerichtete Bewusstseinseinstellungen (Charaktere). E. R. Jaentsch entwickelte aus der Untersuchung verschiedene typische Formen des Wahrnehmungsverhaltens seine Integrationstypologie (nach außen und nach innen integrierte und Projektionstypen). Zugleich wurde eine umfangreiche Diagnostik ausgebildet (Lebenslauf- und Leistungsanalysen mit zahlreichen Tests; besonders M. Simoneit). In den 30er-Jahren wurden v. a. der Aufbau des Charakters und das Verhältnis von Anlage- und Umweltfaktoren bei seiner Formung (Zwillingsforschung) untersucht (K. Gottschaldt, G. Pfahler, R. Heiss). Unter dem Einfluss der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie mit ihrer Lehre vom Unbewussten, der Ontologie (N. Hartmann), der Hirnforschung sowie der von F. Kraus getroffenen Unterscheidung zwischen Kortikal- und Tiefenperson (1920) entstand die Lehre von der Schichtenstruktur der Person. E. Rothacker entwickelte eine Schichtenlehre, die die hierarch. Funktionsbereiche der weitgehend unbewussten Es-Schicht (gegliedert in Vitalschicht, vegetative, animale und emotionale Schicht) und die Person-Schicht (unter der Herrschaft des Ichs stehende Lenkungs- und Hemmungsfunktion; von den kulturellen Erziehungsnormen geprägt) unterscheidet. P. Lersch hob den »endothymen Grund« (stationäre Gestimmtheiten, Gefühle, Antriebe) von einem »personellen Oberbau« (Strebungen, Wille, Denk- und Urteilsfähigkeit) ab. A. Wellek entwarf eine an F. Krueger orientierte, Charakter und Persönlichkeit gleichsetzende polare Charakterlehre, bei der sich sieben »Charakterbereiche« (Vitalität, Trieb, Empfindung, Gefühl, Fantasie, Verstand und Wille) um einen »Charakterkern« gruppieren, aus dem heraus der Mensch Wertungen trifft und handelt. Als polare Ausformungen in jeder Schicht werden u. a. Intensität und Tiefe unterschieden.
 
Die vorwiegend phänomenologisch-verstehende Charakterologie hat heute kaum mehr Einfluss. Ihre Forschungsziele wurden weitgehend von der aus dem angloamerikanischen Bereich stammenden übergreifenden Persönlichkeitsforschung übernommen, die in stärkerem Maße die sozialen Bezüge der Persönlichkeit zu erfassen sucht und sich vorwiegend empirischer Methoden bedient.
 
Literatur:
 
G. W. Allport: Persönlichkeit (a. d. Engl., 21959);
 E. Spranger: Lebensformen. Geisteswiss. Psychologie u. Ethik der Persönlichkeit (91966);
 L. Klages: Die Grundlagen der Charakterkunde (141969);
 P. Lersch: Aufbau der Person (111970);
 E. Kretschmer: Körperbau u. Charakter. Unterss. zum Konstitutionsproblem u. zur Lehre von den Temperamenten (261977);
 E. Rothacker: Die Schichten der Persönlichkeit (91988);
 K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen (Neuausg. 21994);
 C. G. Jung: Psycholog. Typen (Neuausg. Solothurn 1995).

* * *

Cha|rak|te|ro|lo|gie, die; - [↑-logie] (früher): Teilgebiet der Psychologie, das sich mit Wesen u. Entwicklung des Charakters beschäftigt.

Universal-Lexikon. 2012.