Schopenhauer,
1) Arthur, Philosoph, * Danzig 22. 2. 1788, ✝ Frankfurt am Main 21. 9. 1860, Sohn von 2) und des Kaufmanns Heinrich Floris Schopenhauer (* 1747, ✝ 1805).
Leben und Werk
Vom Vater ursprünglich zum Kaufmann bestimmt, studierte Schopenhauer seit 1809 an der Universität Göttingen zunächst Medizin und wechselte dann zur Philosophie. V. a. der Skeptiker G. E. Schulze wurde dort für ihn richtungweisend. In Berlin, wo Schopenhauer seit 1811 studierte, war er Schüler von J. G. Fichte und F. Schleiermacher. 1813 erfolgte die Promotion durch die Universität Jena mit der Schrift »Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde«. Über Friedrich Majer erhielt Schopenhauer Kenntnis von der altindischen Vedanta-Philosophie. Durch dieses auf die Upanishaden zurückgehende klassische System der indischen Philosophie wurde sein ganzes künftiges Denken entscheidend mitbestimmt. 1816 erschien »Über das Sehen und die Farben«, eine an Goethes Farbenlehre orientierte Schrift. Bis 1818 arbeitete Schopenhauer an seinem Hauptwerk »Die Welt als Wille und Vorstellung« (1819). Es folgte eine ausgedehnte Italienreise. Seit 1820 lehrte er, im Unterschied zu seinem Kollegen G. W. F. Hegel mit nur geringem Erfolg, an der Universität Berlin. Mit seiner Flucht aus Berlin wegen einer Choleraepidemie (1831) nahm er daher zugleich Abschied von der akademischen Lehrtätigkeit. Nach Umwegen ließ er sich für den Rest seines Lebens in Frankfurt am Main nieder (seit 1833). Hier lebte er zurückgezogen, von der Fachphilosophie kaum zur Kenntnis genommen und dieselbe als »Kathederphilosophie« verachtend. Der Vervollständigung seines philosophischen Lebenswerkes diente die Veröffentlichung der Schrift »Über den Willen in der Natur« (1836), in der er die Hauptthesen seines Denkens aus den Ergebnissen der zeitgenössischen empirischen Wissenschaften zu erhärten versuchte. Es folgten Ende der 1830er-Jahre noch zwei Schriften, die sich mit ethischen Themen beschäftigen (»Über die Freiheit des menschlichen Willens« und »Über das Fundament der Moral«, zusammengefasst unter dem Titel »Die beiden Grundprobleme der Ethik«, 1841). 1844 erreichte Schopenhauer eine zweite, um einen weiteren Band vermehrte Auflage seines Hauptwerkes. Mit dem Erscheinen der »Parerga und Paralipomena« (2 Bände, 1851), einer das Hauptwerk kommentierenden Aufsatzsammlung mit dem Hauptstück »Aphorismen zur Lebensweisheit«, begann die öffentliche Rezeption seiner Philosophie.
Schopenhauer, der sich als radikaler Verfechter von I. Kants Kritizismus verstand, handelt in seinem Hauptwerk einen einzigen Gedanken ab: »Die Welt ist meine Vorstellung«. Unter vier verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, ergibt sich aus ihm folgendes philosophische System:
1) Die phänomenalistische Erkenntnislehre erläutert die Grundeinsicht, dass die Welt bloße Vorstellung eines sie anschauenden Subjekts ist, in dessen formaler Einheit alle Objekte der Welt zeitlich und räumlich erlebt und zugleich nach dem Satz vom Grunde (Ein Gegenstand ist nur in Verbindung mit seinem Grund denkbar) geordnet werden. Wesentlich ist allein die anschaulich-rezeptive Seite des Erkennens der Welt als ein Gegebenes, während der Verstandesseite (im Unterschied zu Kant) eine nur noch reaktiv-regulierende Bedeutung des gegebenen Erkenntnismaterials zukommt. Die einzige Wahrheit, die für Schopenhauer a priori aussprechbar ist, lautet demnach: Die ganze Welt ist Objekt nur in Beziehung auf ein Subjekt. Deutlich wird hier der teilweise widersprüchliche Einfluss idealistischer (Platon, G. Berkeley) und empiristischer (J. Locke) Denktraditionen auf Schopenhauers Geisteshaltung.
2) Die Metaphysik deutet die vorstellungshafte Welt als gegenständlichen Ausdruck eines eigentlichen Weltwesens, als Objektivation eines Willens, der Ding an sich ist. Der menschliche Leib nimmt hierbei eine Sonderstellung ein, da er mittelbares Objekt der Selbsterkenntnis und zugleich unmittelbares Objekt der Willensakte des Subjekts ist. Er ist nichts anderes als die Bedingung der Erkenntnis individuellen Wollens, und seine Bewegungen sind der zur Vorstellung gewordene Wille des Individuums.
3) Die Ästhetik betrachtet die Welt als Vorstellung unabhängig vom Satz des Grundes, als platonische Idee beziehungsweise als Objekt der Kunst.
4) Die Ethik betrachtet die Welt wiederum als Wille und postuliert - bei erreichter Selbsterkenntnis - Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben. Betreffen Verstand und Vernunft nur die Oberfläche des menschlichen Wesens, so berührt allein der Wille des Individuums das Weltprinzip Wille zum Leben, ein an sich niemals zu befriedigender Drang nach Dasein und Vollkommenheit (Pessimismus). Ausdruck solch ewigen Strebens sind zunächst die anorganische und organische Natur, auf höchster Stufe schließlich der Mensch mit dem Verstand als Instrument seines Willens. Schopenhauers praktische Philosophie beginnt recht eigentlich dort, wo er die Teilhabe des Menschen an jenem Weltprinzip als eigentliche Ursache für die Bestimmung seines Lebens als Leiden begreift. Entsprechendes ethisches Prinzip ist das Mitleid als emotionale Richtschnur für alles moralische Handeln. Die Erfahrung, dass eigenes und fremdes Leid identisch sind, beruht auf der Voraussetzung, dass das wahre Wesen aller Menschen und Dinge doch letztlich in dem einen Willen zum Leben besteht. Schopenhauers Ethik endet mit der Einsicht, dass eigenes und fremdes Leiden allein durch die bewusste Verneinung des Willens beendet werden kann, das heißt durch Entsagung und Askese. Voraussetzung dafür ist das Begreifen der Welt im Sinne von Schopenhauers theoretischer Philosophie. Einflüsse buddhistischen Gedankenguts, mit dem Schopenhauer sich zeit seines Lebens beschäftigte, sind unverkennbar.
Die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Wirkung Schopenhauers ist vielseitig und weit reichend. Von den späteren philosophischen Strömungen stehen v. a. F. Nietzsche und die Lebensphilosophie (H. Bergson) unter dem Einfluss Schopenhauers. Von E. von Hartmanns »Philosophie des Unbewußten« (1869) bis zu S. Freuds Lehre von den unbewussten Trieben findet eine breite Aufnahme in der Psychologie statt. Besonders unter Künstlern wirkt Gedankengut der Philosophie Schopenhauers prägend nach (in der Musik bei R. Wagner; in der Literatur bei T. Mann). Nicht zuletzt durch die von P. Deussen 1911 gegründete Schopenhauer-Gesellschaft (Sitz: Frankfurt am Main) erschließt sich sein geistiges Erbe der Gegenwart.
Ausgaben: Philosophische Vorlesungen, herausgegeben von V. Spierling, 4 Bände (Neuausgabe 1984-86); Der handschriftliche Nachlaß, herausgegeben von A. Hübscher, 5 Bände (Neuausgabe 1985); Sämtliche Werke, herausgegeben von demselben, 7 Bände (41988).
K. Fischer: S.s Leben, Werke u. Lehre (41934);
S.-Jb., Jg. 32 ff. (1948 ff., früher unter anderem Titel);
A. Hübscher: S.-Bibliogr.. (1981);
A. Hübscher: Denker gegen den Strom (41988);
A. Hübscher: A. S. Ein Lebensbild (31988);
Materialien zu S.s »Die Welt als Wille u. Vorstellung«, hg. v. V. Spierling (1984);
S., hg. v. J. Salaquarda (1985);
W. Abendroth: S. (Neuausg. 1988);
W. Abendroth: A. S. (72.-73. Tsd. 1996);
R. Malter: Der eine Gedanke (1988);
U. Pothast: Die eigentl. metaphys. Tätigkeit (Neuausg. 1989);
W. Korfmacher: S. zur Einf. (1994);
R. Safranski: S. u. die wilden Jahre der Philosophie (Neuausg. 16.-18. Tsd. 1996);
A. Schaefer: Die S.-Welt. Wie aus der Welt Wille u. Vorstellung wurde (1996).
2) Johanna, geborene Trosiener, Schriftstellerin, * Danzig 9. 7. 1766, ✝ Jena 17. 4. 1838, Mutter von 1); war nach 1806 in Weimar Mittelpunkt eines bedeutenden, auch von Goethe geschätzten literarischen Salons; lebte 1828-37 in Bonn; schrieb Novellen, Romane und Reisebeschreibungen.
Werke: Romane und Erzählungen: Gabriele, 3 Bände (1819-20); Die Tante, 2 Bände (1823); Erzn., 8 Bände (1825-28); Richard Wood, 2 Teile (1837).
Erinnerungen: Erinnerungen von einer Reise in den Jahren 1803, 4 und 5, 3 Bände (1813-17).
Universal-Lexikon. 2012.