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Funktionalismus
Funk|ti|o|na|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. Richtung der Baukunst, die bei der Gestaltung eines Gebäudes nur dessen Zweck berücksichtigt
2. Richtung der Völkerkunde, die in der Erforschung u. Darstellung der inneren Abhängigkeit der einzelnen Elemente einer Kultur voneinander (des Geflechtes od. Gefüges einer Kultur) u. daraus abzuleitender allgemeingültiger Gesetze von Kulturen das Ziel der Völkerkunde sieht

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Funk|ti|o|na|lịs|mus, der; -:
1. sich aus dem Zweck eines Bauwerks od. Gebrauchsgegenstandes ableitende Gestaltungsweise in der modernen Architektur u. im Design.
2. psychologische Theorie, nach der die psychologischen ↑ Funktionen (1 c) in Abhängigkeit von den biologischen Anlagen, bes. den Antrieben od. Bedürfnissen, zu sehen sind.

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Funktionalịsmus
 
der, -,  
 1) Gestaltungsprinzip der modernen Architektur und des modernen Designs: Die Erscheinungsform eines Bauwerks oder eines Gebrauchsgegenstandes wird aus seiner Funktion abgeleitet, d. h., alle Teile eines Baus oder eines Produkts werden ihrem Zweck entsprechend gestaltet. Form und Funktion sollen eine Einheit bilden. Die Theorie des Funktionalismus geht auf den amerikanischen Bildhauer H. Greenough zurück, der sie auf der Basis von Analogieschlüssen mit der belebten Natur entwickelte (»The travels, observations and experiences of a Yankee stonecutter«, 1852). In ähnlicher Weise argumentierte L. H. Sullivan. Mit seiner These »form follows function« reagierte er auf die neuen technischen Möglichkeiten seiner Zeit, die zu anderen architektonischen Lösungen aufforderten. Der Funktionalismus bedeutete die Überwindung des Eklektizismus. Die funktionale, material- und sachgerechte Formgebung von Gebrauchsgegenständen begann mit W. Morris und dem Arts and Crafts Movement. Die Zielvorstellungen des Funktionalismus wurden im Deutschen Werkbund und am Bauhaus in Dessau (W. Gropius, Hanns Meier) weiterentwickelt. Zu den bedeutenden, vom Funktionalismus ausgehenden Architekten gehören ferner H. Häring, Le Corbusier, L. Mies van der Rohe und F. L. Wright, die jedoch im Einzelnen unterschiedliche Ziele verfolgten.
 
Literatur:
 
H. Greenough: Form and function. Remarks on art (Neuausg. Berkeley, Calif., 1958);
 J. Posener: Anfänge des F. Von Arts and Crafts zum Dt. Werkbund (1964);
 L. H. Sullivan: Kindergarten chats and other writings (Neuausg. New York 1976);
 A. Fant u. A. Klingborg: Leben in der Architektur unserer Zeit. Der unvollendete F. (a. d. Schwed., 1985);
 
Design in Dtl. 1933-45, hg. v. S. Weissler (1990);
 
Architektur in Dtl. 1919-1939, hg. v. J. Zukowsky (1994);
 G. H. Marcus: Functionalist design (München 1995).
 
 2) Philosophie: eine Denkweise, die Sachverhalte dadurch zu verstehen und/oder theoretisch zu erklären versucht, dass sie 1) diese in Abhängigkeitsverhältnissen zu den sie konstituierenden Bestandteilen sieht und 2) sie nicht isoliert, sondern in Wechselbeziehungen zu anderen Sachverhalten betrachtet. Während in den Geistes- und Sozialwissenschaften meist der zweite Aspekt im Vordergrund steht, stellt die Vorgehensweise nach dem ersten Aspekt ein charakteristisches Merkmal der modernen Naturwissenschaften dar.
 
Literatur:
 
E. Cassirer: Substanzbegriff u. Funktionsbegriff. Unters. über die Grundfragen der Erkenntniskritik (1910, Nachdr. 1980).
 
 3) Psychologie: zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA als Gegenrichtung zum Strukturalismus entstandene psychologische Theorie, bei der besonderes Gewicht auf Vorgänge und weniger auf Zustände oder Inhalte gelegt wird. Der Funktionalismus ist einer der Vorläufer des Behaviorismus, hat aber auch Auswirkungen auf die Genfer Schule gehabt. Ein Hauptaugenmerk des Funktionalismus bestand darin, zu untersuchen, welche Bedeutung den psychischen Funktionen in biologischer Hinsicht zukommt. So werden z. B. Wahrnehmungs- und Denkleistungen als Folge eines Anpassungsprozesses erklärt und aufgrund ihrer Leistung im Dienst der Arterhaltung beurteilt.
 
 4) Soziologie: in den 30er-Jahren von T. Parsons und R. K. Merton begründete Betrachtungsweise sozialer Systeme (strukturell-funktionale Theorie), welche die Elemente der Systeme und die sozialen Prozesse hinsichtlich ihrer Funktion für die nach bestimmten Bezugsperspektiven ermittelten Systemziele untersucht. In den Anfängen des Funktionalismus wurde die Funktionalität auf die Erhaltung des Normalzustands eines Systems bezogen oder als Beziehung zwischen den Elementen eines Systems untersucht; in der neueren Soziologie nahm die funktionale Betrachtungsweise immer stärker den Charakter einer formalen Methode an, wobei die Bezugspunkte allein von der Forschungsintention bestimmt wurden. Im Rahmen sozialer Planung wird die Funktionalität verschiedener sozialer Elemente (Institutionen) hinsichtlich der Verwirklichung bestimmter gesellschaftspolitischer Ziele untersucht. Eine Weiterentwicklung des Funktionalismus zu einer allgemeinen sozialwissenschaftlichen Systemtheorie strebt N. Luhmann an.
 
Literatur:
 
H. G. Schütte: Der empir. Gehalt des F. (1971);
 
Moderne amerikan. Soziologie, hg. v. H. Hartmann (21973);
 Günther Schmid: Funktionsanalyse u. polit. Theorie (1974);
 N. Luhmann: Soziolog. Aufklärung, auf zahlr. Bde. ber. (1-61991 ff.);
 N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie (51994).
 
 5) Sprachwissenschaft: andere Bezeichnung für die Prager Schule.
 
 6) Völkerkunde: Theorie, die um 1922 in Großbritannien von B. Malinowski und A. R. Radcliffe-Brown begründet wurde. In ihrem Mittelpunkt steht die Untersuchung der mannigfaltigen Erscheinungen und Institutionen - etwa der Sippen und Großfamilien, der Heirats- und Tabuvorschriften, der Initiationsriten und des Zauberwesens - einer bestimmten Kultur im Hinblick auf ihre Bedeutung für deren soziale Struktur, aber auch für das gesamte Kulturgefüge. Darüber hinaus glaubte besonders Radcliffe-Brown an das Vorhandensein bestimmter Gesetzmäßigkeiten in der Struktur und Funktion von Sozialgebilden und schloss von daher auf die Möglichkeit, nicht nur bestimmte Kausalzusammenhänge der gesellschaftlichen Institutionen untereinander zu erkennen, sondern auch zukünftige Abläufe und Folgeerscheinungen sozialer Phänomene voraussagen zu können. Eine praktische Anwendung fanden die Forschungsergebnisse der Funktionalisten in der britischen Kolonialverwaltung, die bemüht war, sich ein möglichst genaues Bild über die Funktionszusammenhänge der einzelnen Erscheinungen einer fremden Kultur zu machen, um bei den in der Verfolgung der eigenen Ziele notwendigen Eingriffen allzu große Erschütterungen im Gesellschaftsgefüge der einheimischen Bevölkerungen zu vermeiden. In Deutschland wurde die funktionalistische Richtung von R. Thurnwald vertreten; in Großbritannien gingen die Lehren der klassischen funktionalistischen Schule in der modernen Social Anthropology auf (führende Repräsentanten: E. E. Evans-Pritchard, Lucy Mair).
 
Literatur:
 
A. R. Radcliffe-Brown: Structure and function in primitive society (Glencoe, Ill., 1952);
 M. Harris: The rise of anthropological theory (Neuausg. London 1979);
 E. E. Evans-Pritchard: Social anthropology (Neuausg. London 1982);
 W. E. Mühlmann: Gesch. der Anthropologie (41986).

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Funk|ti|o|na|lịs|mus, der; -: 1. sich aus dem Zweck eines Bauwerks od. Gebrauchsgegenstandes ableitende Gestaltungsweise in der modernen Architektur u. im Design; Zweckstil. 2. psychologische Theorie, nach der die psychologischen Funktionen (1 c) in Abhängigkeit von den biologischen Anlagen, bes. den Antrieben od. Bedürfnissen, zu sehen sind. 3. philosophische Lehre, die das Bewusstsein als Funktion der Sinnesorgane u. die Welt als Funktion des Ich betrachtet. 4. Forschungsrichtung in der neueren Soziologie, die die Funktionalität verschiedener sozialer Institutionen hinsichtlich der Verwirklichung bestimmter gesellschaftspolitischer Ziele untersucht.

Universal-Lexikon. 2012.