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Keilschrift
Keil|schrift 〈f. 20; unz.〉 aus einer Bilderschrift entstandene Schrift der Sumerer, Babylonier u. Assyrer mit keilförmigen Zeichen

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Keil|schrift, die:
aus einer Bilderschrift entwickelte, aus keilförmigen Zeichen bestehende Schrift bes. der Babylonier u. Assyrer.

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I
Keilschrift
 
Eine der großen Leistungen der Altertumswissenschaft war die Entzifferung der Keilschrift, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Georg Friedrich Grotefend und Sir Henry Rawlinson gelang. Hier wurde zum ersten Mal der Beweis erbracht, dass ein schwieriges, seit Jahrtausenden nicht mehr benutztes und praktisch in Vergessenheit geratenes Schriftsystem wieder erschlossen und seine Texte verständlich gemacht werden konnten.
 
Die Anfänge der Keilschrift liegen an der Wende vom 4. zum 3. vorchristlichen Jahrtausend. In dieser Zeit, in der sich die frühe Hochkultur in Babylonien herausbildete und in der folglich eine vielschichtige und komplizierte Administration entstand, ergab sich die Notwendigkeit, komplexe Sachverhalte so festzuhalten, dass sie auch später noch erkannt und überprüft werden konnten. Nach einer Vorstufe, in der »Zählsteine« und entsprechende Symbole verwendet wurden, gelangte man relativ rasch zu einer Aufzeichnung von Zahlen und Gegenständen. Da im Schwemmland Babyloniens Ton in Fülle vorhanden war, boten sich als Beschreibmaterial Tontafeln an, die man nach der Beschriftung trocknen ließ. Wegen der Empfindlichkeit der Tontafeln müssen wir allerdings davon ausgehen, dass der allergrößte Teil der Keilschrifturkunden, die einmal bestanden haben, nicht mehr erhalten ist. Dennoch sind viele Hunderttausend Texte in Keilschrift auf uns gekommen.
 
Die frühen Zeichen, die eine Art Bilderschrift darstellten, erwiesen sich schon bald als recht unpraktisch. Auf dem Ton ließen sich mit dem Griffel, der in der Regel aus Rohr bestand, runde Linien schlecht ziehen. Man vereinfachte deshalb die Zeichen dadurch, dass man Rundungen in Striche auflöste, die dann, mit dem Rohrgriffel in den Ton gezogen, an der Stelle, an der der Griffel ansetzte, eine stärkere Vertiefung als am Ende erhielten. Dadurch entstand die typische Nagel- oder Keilform, der die Schrift ihren heutigen Namen verdankt. Die einzelnen Schriftzeichen sind in der Regel aus mehreren Teilen zusammengesetzt, wobei lediglich drei Typen vorkommen: ein senkrechter Keil, ein waagerechter Keil und ein Winkelhaken. Die Köpfe der waagerechten Keile schauen in der klassischen Form der Keilschrift, wie sie seit der Mitte des 3. Jahrtausends üblich gewesen ist, nach links, da die Schriftrichtung von links nach rechts verlief. Gelegentlich, und in der Frühzeit vielleicht öfter, wurde auch von oben nach unten geschrieben.
 
Überhaupt war in den ersten Jahrhunderten des Gebrauchs der Keilschrift noch keine feste Zeichenfolge üblich, vielmehr wurden die Zeichen in Kästchen gesetzt, ihre Beziehung zueinander - das heißt die grammatische und sachliche Bestimmung - blieb noch offen. Bei der frühen Schrift ging man wohl davon aus, für jeden Gegenstand ein eigenes Zeichen zu verwenden. Dennoch handelte es sich nicht um eine reine »Bilderschrift«. Vielmehr wurden neben Ganz- oder Teilbildern, wie z. B. Fisch, Schlange, Stier (wiedergegeben lediglich mit dem Kopf) auch abstrakte Zeichen verwendet, etwa ein Kreis mit eingeschriebenem Kreuz für »Kleinvieh«. Darüber hinaus gab es zahlreiche Zahl- und Maßzeichen. Anfangs stand also ein Zeichen für einen einzelnen Begriff, doch schon bald gab es Zeichenkombinationen und Zeichen mit größerem Geltungsbereich.
 
Die Kombinationsmöglichkeiten waren jedoch begrenzt und das Schreiben etwa von Verben und Adjektiven, vor allem aber von Namen, gestaltete sich sehr schwierig. Hilfe bot hier die Struktur jener Sprache, für die wahrscheinlich die früheste Schrift geschaffen worden war, nämlich des Sumerischen. Das Sumerische hatte offensichtlich zahlreiche gleich oder ähnlich klingende ein- und zweisilbige Wörter. Deshalb bestand der nächste Schritt der Schrifterfindung darin, die Bildzeichen eines Wortes auch für ein anderes aus einer vollständig anderen Bedeutungssphäre, aber mit ähnlicher Lautung, einzusetzen. Das älteste Beispiel dafür ist das Zeichen TI »Pfeil«, das man nun auch zur Schreibung von TI(L) »Leben« verwendete. Dies war ein außerordentlich wichtiger Schritt, weil er von einer Wortschrift weiterführte zur Silbenschrift, also zur Phonetisierung. Allerdings wurde dieser Weg nicht so konsequent gegangen, dass man seither auf Wortzeichen verzichtet hätte. Vielmehr behielt die Keilschrift beide Elemente, Wortzeichen und Silbenzeichen, bis zuletzt bei. Wir haben es also immer mit einer kombinierten Wort-Silben-Schrift zu tun, was allerdings den großen Vorteil hatte, dass diese Schrift auch auf andere Sprachen als diejenige ihrer Erfinder übertragen werden konnte.
 
Diese Möglichkeit vielfältiger Verwendung hatte sich schon früh angebahnt. Denn höchstwahrscheinlich haben zwar die Sumerer die Schrift »erfunden« und in voller Breite zur Anwendung gebracht. Diese Schrift wurde aber bald auch von den semitischen Akkadern übernommen, deren Sprache sich grundlegend von der der Sumerer unterschied. Besonders das Lautsystem war im Semitischen anders als im Sumerischen, sodass manche Zeichen, die im Sumerischen nur einen Lautwert hatten, nun verschiedene zusätzliche Lesungsmöglichkeiten erhielten. Da diese Polyphonie den Schreibern auch Probleme bereitete, erleichterten sich diese die Identifikation dadurch, dass sie »Deutezeichen«, Determinative, verwendeten. Auch diese waren von normalen Keilschriftzeichen abgeleitet und machten - vor oder hinter ein Wort geschrieben - deutlich, zu welcher Wortklasse dieses Wort gehörte, ob es sich zum Beispiel um einen Ländernamen, einen Ortsnamen, einen Berg, einen Gegenstand aus Holz oder Ton oder aus Kupfer handelte. Die Schrift besaß also jetzt Wortzeichen, Silbenzeichen und Determinative.
 
Im Lauf der Entwicklung fanden auch Vereinfachungen von Zeichen statt. Manche fielen zusammen oder wurden ganz ausgeschieden, sodass von den ursprünglich etwa 1200 Zeichen nur noch rund 500 übrig blieben. Allerdings vergrößerte sich durch den Zusammenfall einst getrennter Zeichen wiederum die Mehrdeutigkeit der Schrift. Hier halfen sich die Schreiber dadurch, dass sie umfangreiche Listen von Zeichen mit ihren verschiedenen Lesarten anlegten. Im täglichen Gebrauch war allerdings die damit verbundene Problematik weniger spürbar. Für bestimmte Textgattungen gab es spezielle Schreibgewohnheiten, die in der Schule erlernt wurden. So hatten die Texte der Wirtschaftsverwaltung ein spezifisches Zeichenrepertoire, ebenso die Texte juristischen Inhalts oder die Texte der Vorzeichenwissenschaft. Da auch die Schreiber spezialisiert waren, konnte es nur selten zu Verwechslungen kommen. Wir wissen heute, dass in bestimmten Perioden bestimmte Zeichen mit ganz spezifischen Lautwerten Verwendung fanden - ein Problem für den heutigen Forscher, nicht aber für den damaligen Schreiber, der sicher nur einen ganz spezifischen Ausschnitt, der für ihn von Bedeutung war, kannte.
 
Da sich dieses offensichtlich nicht unkomplizierte System der Keilschrift dennoch leicht auch auf andere Sprachen übertragen ließ, verbreitete sich die Verwendung der Keilschrift früh. Schon in der Mitte des 3. Jahrtausends wurde in Elam, in der Region des heutigen Khusistan im Südwesten Irans, die dort ursprünglich eigenständig entwickelte Schrift aufgegeben und statt dessen die Keilschrift eingeführt. Sie wurde ebenfalls schon um diese Zeit in Nordsyrien in der Stadt Ebla und in den angrenzenden Gebieten verwendet. Zu Beginn des 2. Jahrtausends gelangte sie mit assyrischen Kaufleuten nach Anatolien und wurde dort dann auch, allerdings in einer äußerlich anderen Form, von den Hethitern verwendet, die ihre indogermanische Sprache mit Keilschrift schrieben. Wenig später nutzten sie auch die Hurriter, nachdem sie im nördlichen Mesopotamien die politische Vorherrschaft übernommen hatten. Im 1. Jahrtausend v. Chr. gebrauchten auch die Urartäer im Gebiet um den Vansee im heutigen Ostanatolien eine jüngere Form der Keilschrift. In der syrischen Hafenstadt Ugarit wurde im 14. und 13. Jahrhundert eine Form der Keilschrift verwendet, die von der geschilderten völlig abweicht; es handelt sich um eine in Anlehnung an die phönikische Schrift entstandene Konsonantenschrift, eine Schrift also, die mit sehr viel weniger Zeichen auskommt. Auch die von Dareios dem Großen eingeführte Keilschrift des Achaimenidenreiches ist zwar äußerlich mit der in Babylonien gebrauchten Schrift relativ nahe verwandt, hat aber mit ihren 36 Silbenzeichen und wenigen Wortzeichen letztlich einen anderen Charakter.
 
Wir überblicken heute eine Keilschrifttradition von rund 3000 Jahren. Sowohl in Babylonien als auch in Assyrien ist in dieser Zeit die Keilschrift intensiv genutzt und deshalb allmählich zu einer äußerlich vereinfachten Form entwickelt worden. So sind die zahlreichen Keilschrifttexte der Bibliothek Assurbanipals in Ninive, die die wesentlichen Werke mesopotamischer Literatur für uns erhalten haben und die die Basis für die Rekonstruktion der altorientalischen Sprachen und Literaturen bildeten, in einer sehr klaren und äußerlich recht einfachen Schrift geschrieben. Der letzte Keilschrifttext, eine astronomische Tafel, wurde kurz nach Christi Geburt geschrieben; danach war die Schrift ausgestorben, bis sie vor etwa 200 Jahren wieder entdeckt und entziffert wurde.
 
Prof. Dr. Wolfgang Röllig
 
II
Keilschrift,
 
Schriftart des Altertums in Vorderasien, besonders in Mesopotamien, benannt nach den keilförmigen Eindrücken, aus denen die einzelnen Zeichen zusammengesetzt sind. Schreibmaterial waren Tontafeln, seltener Stein (z. B. Bildstelen), vereinzelt Metall (z. B. Gefäße), im 1. Jahrtausend v. Chr. auch Wachstafeln.
 
Entwicklung:
 
Die Keilschrift wurde zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. in Südbabylonien wohl von den Sumerern für die Zwecke der zentralen Tempelverwaltung als Gebrauchsschrift geschaffen und unter Einfluss der semitischen Akkader ausgebaut. Die ursprünglichen Zeichen der »archaischen« Tontafeln waren einfache Bilder oder Bildkombinationen (so die Kombination aus sal »Frau« und kur »Fremdland« für den Begriff »Sklavin«) konkreter Dinge und Personen, womit die Ausdrucksfähigkeit dieses piktographischen Systems zunächst sehr begrenzt war. Rasch vollzog sich eine innere und äußere Umgestaltung: Die kursiv angelegten Bilder wurden in lineare Elemente (Keile) aufgelöst, die mit dem Griffel in den noch feuchten Ton gedrückt wurden. Die so entstandenen Zeichenformen wurden später immer weiter vereinfacht. Gleichzeitig wurde der Bestand von ursprünglich weit über 2 000 Bildern auf rd. 500-600 (dialektisch auf weniger als 100) Zeichen reduziert, ihre Funktion aber erweitert. So stand das Bild eines Pfeiles nicht mehr nur für dessen sumerische Bezeichnung ti, sondern auch für das ähnlich lautende Wort ti(l) »das Leben«, »leben«. Damit wurde nicht nur die Ausdrucksfähigkeit des Systems erheblich erweitert, indem man nun auch Verben darstellen konnte, sondern zugleich der entscheidende Schritt von der reinen Wort- zur Silbenschrift vollzogen; bereits um 2500 v. Chr. war die Entwicklung prinzipiell abgeschlossen. Zu einer Buchstabenschrift hat sich die Keilschrift nie entwickelt.
 
Die voll entwickelte Keilschrift wurde von links nach rechts in Zeilen geschrieben; war die Vorderseite beschriftet, wurde die Tafel über die untere Kante gedreht und dann auf der Rückseite weiterbeschrieben. Große Tafeln wurden in Kolumnen eingeteilt, die auf der Vorderseite von links nach rechts, auf der Rückseite von rechts nach links angeordnet sind. Das System der Keilschrift ist eine gemischte Wort- und Silbenschrift. Das Sumerische bediente sich dabei zur Darstellung der unveränderlichen Wortwurzeln nach wie vor der Wortzeichen, nur grammatische Elemente wurden mit Silbenzeichen wiedergegeben. Das Akkadische wurde überwiegend syllabisch geschrieben, verwendet aber, besonders in »gelehrten« Texten, auch Wortzeichen (Sumerogramme). Hinzu kommen nicht mitzulesende Deutezeichen, die »Determinative«, die ein Substantiv einer bestimmten Bedeutungsklasse zuordnen, sowie Aussprachehinweise, v. a. in Verbindung mit Sumerogrammen. Die Wortgrenzen wurden nur dialektisch durch einen Worttrenner angezeigt. Von der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. an begegnen auch Glossenkeile.
 
Die ältesten Texte waren Wirtschaftsurkunden und Zeichenlisten, bald auch Königsinschriften, und schon um 2500 v. Chr. konnte man sumerische und semitische literarische Texte aufzeichnen, ohne allerdings damit eine schriftliche Überlieferung dieser Werke zu begründen. Erst nach dem Aussterben des Sumerischen begann zu Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. die Verschriftung der bis dahin mündlich tradierten sumerischen Literatur; der Übergang zur Schriftlichkeit der akkadischen literarischen Texte setzte sogar erst ab dem 14. Jahrhundert v. Chr. ein. Immer wurde die Keilschrift v. a. für Rechts- und Wirtschaftsurkunden, Briefe und wissenschaftliche Texte aller Art verwendet. Die jüngsten Texte in Keilschrift stammen aus der beginnenden christlichen Ära.
 
Verbreitung:
 
Von Babylonien aus verbreitete sich die Keilschrift nach Elam im Südosten, nach Syrien und Palästina sowie nach Kleinasien. Nach 1400 war die Keilschrift zeitweilig internationale Verkehrsschrift zwischen den Höfen Ägyptens, Kleinasiens und Mesopotamiens. Im gesamten Verbreitungsgebiet der Keilschrift bestanden Schulen, in denen neben der Schrift auch die sumerische und akkadische Sprache gelehrt wurden. Damit konnte altorientalisches Gedankengut auch in das Alte Testament eindringen. In Kleinasien wurde die Keilschrift auch für einheimische Sprachen (z. B. Hethitisch, Hurritisch, Luwisch) verwendet. Die jüngere elamische Schrift ist eine grafische Vereinfachung der babylonischen Keilschrift. Im 1. Jahrtausend v. Chr. wurde die Keilschrift auch von den Urartäern übernommen.
 
Die archaische Bilderschrift Babyloniens hat in Elam in der »protoelamischen Schrift«, einer Bilderschrift (Anfang des 3. Jahrtausends), Nachahmung gefunden. Eine Nachahmung der älteren Keilschrift ist Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. die »elamische Strichschrift« mit nur wenigen erhaltenen Texten. Die altpersische Schrift ist im System von der Konsonantenschrift der Aramäer beeinflusst.
 
Die Entzifferung der Keilschrift ging von den altpersischen Keilschriften der achaimenidischen Könige aus; sie gelang 1802 G. F. Grotefend. Die Entzifferung der assyrischen, babylonischen und sumerischen Keilschriften geht v. a. auf Edward Hincks (* 1792, ✝ 1866), J. Oppert, H. Rawlinson, E. Schrader und Joachim Ménant (* 1820, ✝ 1899) zurück. Die Grundlage zur Deutung der archaischen Bilderschrift legte A. Falkenstein. Mit der Entzifferung der hethitischen Schrift beschäftigte sich v. a. B. Hrozný, mit der der elamischen Schrift u. a. W. Hinz.
 
Literatur:
 
Archaische Texte aus Uruk, hg. v. A. Falkenstein (1936);
 A. Falkenstein: Das Sumerische (1959);
 J. Friedrich: Gesch. der Schrift (1966);
 W. von Soden u. W. Röllig: Das akkad. Syllabar (Rom 31976);
 R. Borger: Assyrisch-babylon. Zeichenliste (1978);
 D. O. Edzard, in: Reallex. der Assyrologie, hg. v. E. Ebeling, Bd. 5 (1980);
 W. Sallaberger: Die K.-Forschung - eine fachübergreifende Disziplin (Innsbruck 1987).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Keilschrift
 

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Keil|schrift, die: aus einer Bilderschrift entwickelte, aus keilförmigen Zeichen bestehende Schrift bes. der Babylonier u. Assyrer.

Universal-Lexikon. 2012.