Akademik

Kolonialismus
Ko|lo|ni|a|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. Erwerb u. Nutzung von Kolonien
2. Streben, Kolonien zu erwerben

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Ko|lo|ni|a|lịs|mus, der; -:
auf Erwerb u. Ausbau von ↑ Kolonien (1) gerichtete Politik unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen, militärischen u. machtpolitischen Nutzens für das Mutterland bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung u. wirtschaftlicher Ausbeutung der abhängigen Völker.
Dazu:
Ko|lo|ni|a|lịst, der; -en, -en;
Ko|lo|ni|a|lịs|tin, die; -, -nen;
ko|lo|ni|a|lịs|tisch <Adj.>.

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Kolonialịsmus
 
[französisch colonial, zu colonie, lateinisch colonia »Kolonie«] der, -, eine auf Erwerb, Ausbeutung und Erhaltung von Kolonien gerichtete Politik und die sie legitimierende Ideologie; Fremdherrschaft mit spezifischen Strukturen.
 
Der neuzeitliche Kolonialismus ist historische Begleiterscheinung des entstehenden Kapitalismus und seiner weltweiten Expansion. In den internationalen Beziehungen wird mit dem Begriff des Kolonialismus die Politik zahlreicher europäischer Staaten, der USA und Japans gegenüber Völkern und Ländern v. a. in Afrika, Asien, Süd- und Mittelamerika zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. In der Zeit des Imperialismus (seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts) erlebte der Kolonialismus seine volle Ausprägung als internationales Kolonialsystem. Die Rivalität der Kolonialmächte führte zu schwerwiegenden Konflikten und gehörte zu den Ursachen der Weltkriege. Mit der Herausbildung der nationalen Befreiungsbewegungen und den Erschütterungen der europäischen Staatenwelt im Zweiten Weltkrieg verschärfte sich die Krise des Kolonialismus; weltweit setzte die Entkolonialisierung ein. Bei direktem politischem Machtverlust konnten die früheren Kolonialmächte sowie die USA ihre wirtschaftliche Vormachtstellung in der Dritten Welt jedoch weitgehend behaupten (Neokolonialismus).
 
Im Zeitalter der Entdeckungen (15./16. Jahrhundert) errichteten die damals führenden Seemächte, Portugal und Spanien, Kolonien in Gebieten außerhalb Europas (in »Übersee«), zunächst in Küstennähe, dann auch unter Einbeziehung des Landesinnern. Mit der militärischen Sicherung, der verkehrsmäßigen Erschließung, der wirtschaftlichen Beherrschung und der rechtlichen Anbindung an die Kolonialmacht entwickelten sich - meist unter Anwendung politisch-militärische Gewalt - seit dem 16. Jahrhundert die großen Kolonialreiche; dabei entstanden vielfach europäische Siedlungskolonien (besonders in Amerika und Australien), in denen die Urbevölkerung ausgerottet, gesellschaftlich isoliert oder sozial diskriminiert wurde. Das subsaharische Afrika diente bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als weiträumige Bezugsquelle des umfangreichen transatlantischen Sklavenhandels. Mit der Verselbstständigung von Siedlungskolonien und der Entstehung eigenständiger Staaten auf dem amerikanischen Kontinent (Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts) setzte eine erste Gegenbewegung ein, die sich im Bereich der europäischen Siedlungskolonien während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts fortsetzte. In der Zeit des Imperialismus beteiligten sich neben Spanien, Portugal, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich auch Belgien, das Deutsche Reich, Italien, Japan, Russland und die USA am »Wettlauf« um die Aufteilung der Welt.
 
In seiner ersten Phase (15.-18. Jahrhundert) war der Kolonialismus bestimmt von dem Versuch, die Reichtümer anderer Kulturen und Länder (Gold und Silber) sowie in Europa begehrte Waren (Elfenbein, Gewürze, Pelze u. a.) durch Eroberung von Gebieten oder Anlage von Handelsstützpunkten zu erwerben. Seit dem 18. Jahrhundert, v. a. jedoch im Zeichen des Imperialismus, stehen der billige Erwerb von Rohstoffen für die sich entwickelnde Industrie, günstige Absatzmärkte für deren Erzeugnisse, vorteilhafte Kapitalinvestitionen sowie die Sicherung von Arbeitsplätzen und Lebensstandard der eigenen Bevölkerung im Vordergrund. Neben den wirtschaftlichen Interessen bestimmte die Ausdehnung des eigenen Machtbereichs in der Auseinandersetzung der europäischen Nationalstaaten untereinander (d. h. der Nationalismus) den Kolonialismus, hinzu kamen Motive der militärischen Sicherung (Einrichtung von Versorgungs- und Flottenstützpunkten). Eng verschmolzen mit dem Kolonialismus war die Idee der christlichen Missionierung; in den spanischen Kolonien verband sich diese mit einer gewaltsamen »Bekehrung«. Im Zuge einer stärkeren Säkularisierung europäischen Denkens war der Gedanke der Christianisierung seit dem 18. Jahrhundert immer stärker mit dem Motiv der »Modernisierung« der »primitiven« Völker verknüpft. Eine weitere Triebkraft des Kolonialismus war die Minderung des Bevölkerungsüberschusses europäischer Länder durch Auswanderung und Gründung von Siedlungskolonien.
 
Mit Ausnahme Lateinamerikas, wo die ehemaligen Kolonien bereits im 19. Jahrhundert ihre staatliche Selbstständigkeit errungen hatten, geriet das System der direkten Kolonialherrschaft in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen einer entscheidend veränderten politischen Weltkonstellation in seine abschließende Krise. Der Übergang der Kolonialterritorien zur nationalen Unabhängigkeit verlief seit 1945 phasenweise und regional unterschiedlich; er begann in Asien, setzte sich in den arabischen Ländern fort, erreichte in Afrika zu Beginn der 60er-Jahre seinen Höhepunkt und vollendete sich (abgesehen von einigen Überresten) mit dem Zusammenbruch der portugiesischen Kolonialherrschaft in Afrika Mitte der 70er-Jahre. Das Ergebnis dieses Prozesses war widersprüchlich. Einerseits wurden die neuen Nationalstaaten ein wichtiger Faktor in der Weltpolitik (u. a. blockfreie Staaten), andererseits hinterließ der Kolonialismus in Form von neokolonialer Abhängigkeit, Armut und Unterentwicklung politischen, wirtschaftlicher, sozialpsychologische und kulturelle Strukturen, die für die Dritte Welt als charakteristisch gelten (Nord-Süd-Konflikt).
 
Literatur:
 
J. S. Saintoyant: La colonisation européenne du XVe au XIXe siècle (Paris 1947);
 M. Perham: Bilanz des K. (a. d. Engl., 1963);
 E. de Sousa Ferreira: Port. K. zw. Südafrika u. Europa (1972);
 S. J. u. B. H. Stein: The colonial heritage of Latin America (Neuausg. New York 1976);
 
Afrika. Gesch. von den Anfängen bis zur Gegenwart, bearb. v. T. Büttner u. a., 4 Bde. (1-21979-85);
 W. J. Mommsen: Der europ. Imperialismus (1979);
 H. Pietschmann: Staat u. staatl. Entwicklung am Beginn der span. Kolonisation Amerikas (1980);
 G. von Paczensky: Die Weißen kommen. Die wahre Gesch. des K. (Neuausg. 13.-17. Tsd. 1982);
 R. von Albertini: Europ. Kolonialherrschaft. 1880-1940 (21985);
 
Dokumente zur Gesch. der europ. Expansion, hg. v. Eberhard Schmitt, auf 7 Bde. ber. (1986 ff.);
 U. Bitterli: Die »Wilden« u. die »Zivilisierten«. Grundzüge einer Geistes- u. Kulturgesch. der europ.-überseeischen Begegnung (Neuausg. 21991);
 B. von Borries: Kolonialgesch. u. Weltwirtschaftssystem. Europa u. Übersee zw. Entdeckungs- u. Industriezeitalter 1492-1830 (21992);
 J. Osterhammel: K.Gesch., Formen, Folgen (1995);
 D. K. Fieldhouse: Die Kolonialreiche seit dem 18. Jh. (a. d. Engl., 92.-93. Tsd. 1996);
 W. Reinhard: Kleine Gesch. des K. (1996).

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Ko|lo|ni|a|lịs|mus, der; -: auf Erwerb u. Ausbau von Kolonien (1) gerichtete Politik unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen, militärischen u. machtpolitischen Nutzens für das Mutterland bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung u. wirtschaftlicher Ausbeutung der abhängigen Völker.

Universal-Lexikon. 2012.