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Kapitalismus
Marktwirtschaft; Debitismus

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Ka|pi|ta|lis|mus [kapita'lɪsmʊs], der; -:
eine Form der Wirtschaft und Gesellschaft auf der Grundlage des freien Wettbewerbs und des Strebens nach Kapitalbesitz des Einzelnen:
das Land ist von einem aggressiven Kapitalismus geprägt.

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Ka|pi|ta|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. volkswirtschaftliches System, dem das Gewinnstreben des Einzelnen u. das freie Unternehmertum zugrunde liegen u. in dem die Arbeiter in der Regel nicht Besitzer der Produktionsmittel sind
2. Streben, das kapitalistische Wirtschaftssystem durchzusetzen
[→ Kapital]

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Ka|pi|ta|lịs|mus , der; -, …men <Pl. selten>:
Wirtschaftsform, die durch Privateigentum an Produktionsmitteln u. Steuerung des Wirtschaftsgeschehens über den Markt gekennzeichnet ist.

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Kapitalịsmus
 
der, -, unpräziser Begriff für ein modernes Wirtschaftssystem, das auf Privateigentum an Produktionsmitteln, privatem Unternehmertum, Steuerung der dezentralen einzelwirtschaftlichen Entscheidungen über das Preissystem des Marktes sowie dem Prinzip der Gewinn- beziehungsweise Nutzenmaximierung beruht und somit eine auf Privateigentum basierende Marktwirtschaft darstellt. Je nach politischer oder wissenschaftstheoretischer Position werden unterschiedliche inhaltliche Kategorien zugrunde gelegt, wodurch der Begriff an Schärfe verliert. Häufig wird die Bezeichnung Kapitalismus auch in einem systemkritischen Sinne verwendet. Dies gilt u. a. für französische Frühsozialisten wie L. Blanc, für K. Rodbertus sowie ganz ausgeprägt für K. Marx, der die Verwendung des Begriffs entscheidend prägte (Marxismus). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legten v. a. W. Sombart, J. A. Schumpeter und M. Weber Kapitalismusanalysen vor.
 
 Kennzeichen des Kapitalismus
 
Im Kapitalismus werden die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen der Menschen sowie der Organisationen und Institutionen wesentlich von den Interessen derer bestimmt, die als Unternehmer über den Einsatz des Sach- und Finanzkapitals verfügen können. Die Verfügungsmacht wird direkt oder durch Delegation ausgeübt. Während bei kleinen und mittleren Unternehmen die Eigentümer häufig zugleich Leiter des Unternehmens sind, delegieren bei Großunternehmen die Eigentümer (bei Kapitalgesellschaften die Aktionäre) ihre Verfügungsrechte an spezielle Leitungsgremien (Vorstand, Aufsichtsrat). Konstitutiv für den Kapitalismus ist zweitens der unbeschränkte Wettbewerb zwischen den Unternehmen, die auf dem Markt in Konkurrenz um die Nachfrage nach ihren Produkten treten. Ihre Zielsetzung besteht darin, für das eingesetzte Kapital eine maximale, mindestens aber eine ausreichende Rendite zu erwirtschaften. Abgesehen von der Auftragsfertigung (z. B. im Baugewerbe und im Handwerk), erfolgt die Produktion der Unternehmen für einen anonymen Markt, d. h. für unbekannte, mit Kaufkraft ausgestattete Nachfrager, bei denen die Produzenten hoffen, ihre Erzeugnisse absetzen zu können. Ein weiteres Kennzeichen ist das Vorherrschen rationalen Handelns im wirtschaftlichen Bereich, das von Sombart als »grundsätzliche Einstellung aller Vornahmen auf höchstmögliche Zweckmäßigkeit« definiert wird und das im Wesentlichen auf die Erreichung eigennütziger Ziele gerichtet ist. Das gilt sowohl für die Produzenten, die durch überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen suchen, wie auch für die Konsumenten, die einen möglichst hohen Nutzen aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit anstreben. Da die einzelwirtschaftlichen Konkurrenzinteressen unter Marktbedingungen mit den Interessen des Gesamtsystems in Widerspruch treten, muss der Staat für ordnungspolitische Rahmenbedingungen sorgen (z. B. Recht, Infrastruktur, Qualifikation, Außenbeziehungen, soziale Kompromissbildung, Umweltschutz).
 
Der Kapitalismus ist gekennzeichnet durch den Gegensatz von Kapital und Arbeit, der nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im politischen und gesellschaftlichen Bereich (Macht- und Herrschaftsverhältnisse) spürbar wird; die soziale Stellung des Einzelnen bestimmt sich nach seiner Position am Markt und im Produktionsprozess, die Verteilung von Einkommen und Vermögen richtet sich nach den Marktergebnissen. In seiner konkreten Ausprägung ist der Kapitalismus jedoch von den geschichtlichen Entwicklungen und den gesellschaftlichen Bedingungen des jeweiligen Landes abhängig.
 
Entstanden ist der Kapitalismus aus der schrittweisen Auflösung der gebundenen Wirtschaft des Feudalismus durch das Vordringen der Marktbeziehungen und die Zerstörung der traditionellen Einbindung der Arbeitskraft in feudale Formen der Agrarproduktion und des zünftigen Handwerks. Die Arbeitskraft wurde im Rahmen eines entstehenden Arbeitsmarktes als »freie Lohnarbeit« in den Produktionsprozess einbezogen. Die dynamische Struktur des Kapitalismus bedingt seine fortschreitende historische Veränderung, die sich als Wechselspiel von zyklischen beziehungsweise strukturellen Krisen und Wachstum vollzieht. Der Übergang zu qualitativ neuen Entwicklungsstufen wird vielfach durch große strukturelle Umbruchkrisen markiert.
 
 Theorien über den Kapitalismus
 
Für Marx ist der Kapitalismus in gesetzmäßiger historischer Abfolge die Produktionsweise zwischen Feudalismus und Sozialismus/Kommunismus. Der von feudalen Fesseln und vom Eigentum an Produktionsmitteln »freie« Lohnarbeiter ist in der Lage und gezwungen, dem Eigentümer der Produktionsmittel, dem Kapitalisten, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Der Tauschwert der Ware Arbeitskraft liegt dabei niedriger als die im Produktionsprozess erzeugten Werte. Den so erzeugten Mehrwert eignen sich die einzelnen Unternehmer als Profit (beziehungsweise als Zins oder Rente) an. Gemäß dem Gesetz der Konkurrenz muss der größte Teil davon akkumuliert, also zur Erweiterung der Produktion eingesetzt werden. Daraus erklärt Marx sowohl die Entfesselung der Produktivkräfte im Rahmen der industriellen Revolution und damit die gewaltige Erhöhung der materiellen Produktion als auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft in zwei Klassen (Kapitalisten und Lohnarbeiter beziehungsweise Bourgeoisie und Proletariat). Nach Marx verschärft sich der den Kapitalismus kennzeichnende Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlichem Charakter der Produktion und privater Aneignung der Ergebnisse der Produktion bis zu seiner revolutionären Aufhebung im Sozialismus/Kommunismus, in dem dann auch die Entfremdung aufgehoben werde, die sich im Kapitalismus dadurch ergebe, dass das Verhältnis zwischen den Menschen durch Sachen bestimmt ist. Die marxsche Theorie wurde im Rahmen der Arbeiterbewegung, durch den Marxismus-Leninismus sowie verschiedene neomarxistische Strömungen modifiziert und zum Teil neu formuliert (Marxismus, Neomarxismus). Aufbauend auf den Prämissen von Marx sowie der Monopoltheorie von R. Hilferding unterschied W. I. Lenin die Phasen Konkurrenz- und Monopolkapitalismus, Imperialismus sowie Stamokap, die durch Konzentrations- beziehungsweise Dezentralisierungsprozesse sowie eine zunehmende Verschmelzung von ökonomischer und politischer Macht gekennzeichnet seien und zwangsläufig zum Sozialismus führen.
 
Außerhalb des Marxismus werden unterschiedliche Aspekte des Kapitalismus hervorgehoben: Nach Sombart wird er durch Erwerbsprinzip, Rationalität und Individualismus bestimmt, nach Weber durch Rationalität, d. h. v. a. durch rationale Arbeitsorganisation zur Gewinnerzielung auf der Basis eines formalisierten Rechenkalküls, nach Schumpeter durch die Dominanz innovativer, dynamischer Unternehmer.
 
Auf Sombart geht die Periodisierung in Früh-, Hoch- und Spätkapitalismus zurück. Für den Frühkapitalismus (16. bis Mitte 18. Jahrhundert) wird außer einigen Vorläuferelementen im Mittelalter meist die Rolle des Merkantilismus und der Einfluss des absolutistischen Staates betont. Während des Hochkapitalismus oder Industriekapitalismus (Mitte des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts), der im Zuge der industriellen Revolution v. a. in England entstand und im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika zur vollen Entfaltung gelangte, entwickelte sich der Liberalismus zur vorherrschenden Doktrin. Der Staat garantierte nur das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Rechtmäßigkeit des Wettbewerbs der Unternehmer auf den Märkten (»Nachtwächterstaat«), seine Eingriffe in das Marktgeschehen wurden zunehmend reduziert (»Laissez-faire-Prinzip«, »Manchestertum«). Bei der Entwicklung dieser Form des Kapitalismus spielten - im Sinne von A. Smith und D. Ricardo - die Prinzipien des Freihandels und der Gewerbefreiheit die Rolle eines Katalysators. Unter den Bedingungen des Hochkapitalismus, v. a. im Zuge des sich verschärfenden Gegensatzes von Kapital und Arbeit, steigerte sich nach Sombart die Macht der Unternehmer in enger ursächlicher Verknüpfung mit der Proletarisierung der Lohnabhängigen (der Arbeiter). Die Wachstumsdynamik der industriellen Revolution führte zu Unternehmenskonzentrationen und wachsender wirtschaftlicher Macht, zu Überproduktionskrisen sowie zu Arbeitslosigkeit und wachsender Verelendung. Unter dem Druck der Krisenanfälligkeit kapitalistischen Wirtschaftens suchten die europäischen Staaten, sich in unterentwickelten Gebieten der Erde neue Rohstoff- und Absatzmärkte zu sichern (Kolonialismus, Imperialismus). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts vollzog sich laut Sombart der Übergang zum Spätkapitalismus, der v. a. durch eine wachsende Konzentration von Produktion, Umsatz und Beschäftigten bei immer weniger Großunternehmen (Konzerne) gekennzeichnet ist, vorherrschende Unternehmensform wurde die Kapitalgesellschaft. Um die Krisenanfälligkeit kapitalistischen Wirtschaftens zu bekämpfen und die politische Sprengkraft der sozialen Frage zu mindern, griff der Staat im Spätkapitalismus wieder stärker in das Wirtschaftsgeschehen ein (Staatsinterventionismus, Interventionismus).
 
Wie Marx prognostizierte auch Schumpeter ein Ende des Kapitalismus, allerdings nicht aus den von Marx herausgearbeiteten Gründen, sondern aufgrund seiner Erfolge, durch die er sich selbst überflüssig mache. Zum einen führe der Kapitalismus zu einer solchen Steigerung des Sozialprodukts, dass eine weitere Steigerung immer weniger erstrebenswert für die Gesellschaft werde. Zweitens führe die Bildung von Kapitalgesellschaften dazu, dass aus Eigentümern Manager werden, die ein geringeres Interesse am Erhalt des Systems haben. Drittens mache sich der dynamische, risikofreudige Unternehmer, dem die Errungenschaften des modernen Kapitalismus v. a. zu verdanken sind, in einem Prozess der »schöpferischen Zerstörung« ungewollt selbst überflüssig.
 
 Aktuelle Probleme
 
Nach dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften in Europa dominieren gegenwärtig auch in der gesellschaftskritischen Diskussion marktwirtschaftliche Konzeptionen, sozialistische Alternativmodelle sind weitgehend obsolet. Als Vorzüge des Kapitalismus werden seine Überlegenheit in der Produktivitätskonkurrenz, seine Effizienz, Dynamik und Adaptionsfähigkeit sowie der zumindestens in den westlichen Industriestaaten erreichte Massenwohlstand - verbunden mit staatlicher Sozialpolitik, Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechten - (»sozial gebändigter Kapitalismus«, soziale Marktwirtschaft) genannt. Dennoch steht dieses Wirtschaftssystem gegenwärtig vor einer Vielzahl nicht beziehungsweise nur unzureichend gelöster Fragen. V. a. die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, dass weltweit zwei gravierende Probleme schwer zu bewältigen sind: die Vermeidung der Umweltzerstörung und die Verringerung von Massenarbeitslosigkeit. Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung und die Öffnung aller Märkte (Globalisierung) hat einen umfassenden Strukturwandel eingeleitet, die Unternehmens- und Vermögenskonzentration verstärkt und zugleich die Aussichten einzelstaatlicher Gegenmaßnahmen eingeschränkt. Inwieweit es gelingt, diese Probleme durch internationale Kooperation oder übernationale Organisationen besser in den Griff zu bekommen, ist schwer zu beurteilen.
 
Literatur:
 
W. Sombart: Der moderne K., 6 Bde. (1-21916-27, Nachdr. 1987);
 M. Dobb: Entwicklung des K. Vom Spätfeudalismus bis zur Gegenwart (a. d. Engl., 21972);
 E. Heimann: Soziale Thorie des K. Theorie der Sozialpolitik (Neuausg. 1980);
 C. Offe: Strukturprobleme des kapitalist. Staates (61986);
 P. C. Martin: Der K. Ein System, das funktioniert (Neuausg. 1990);
 M. Weber: Wirtschaft u. Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie (Neuausgabe 51990);
 J. Kromphardt: Konzeptionen u. Analysen des K. Von seiner Entstehung bis zur Gegenwart (31991);
 J. A. Schumpeter: K., Sozialismus u. Demokratie (a. d. Engl., 71993);
 R. Heilbroner: K. im 21. Jh. (a. d. Amerikan., 1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Marktwirtschaft: Grundzüge und Grundprobleme
 
Volkswirtschaft: Ökonomische Ideengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
 
Expansionismus Europas: Seine italienischen Anfänge im Spätmittelalter
 
Frühkapitalismus und europäische Expansion: Geld regiert die Welt
 
Handelsgesellschaften erobern die Welt: Kampf um die Märkte
 
Marxismus: Historische Entwicklung
 

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Ka|pi|ta|lịs|mus, der; -, ...men <Pl. selten>: Wirtschaftsform, die durch Privateigentum an Produktionsmitteln u. Steuerung des Wirtschaftsgeschehens über den Markt gekennzeichnet ist: Der K. macht soziale Fehler, der Sozialismus macht kapitale Fehler (Hörzu 11, 1976, 18); de Gaulle aber meint ein selbstständiges ... Europa, eine dritte Kraft, die zwischen dem Kommunismus des Ostens und dem K. Amerikas eine eigene Lebensform bietet (Dönhoff, Ära 128 f.); Die zunehmende Integration und Organisation bisher national getrennter Kapitalismen (Stamokap 26).

Universal-Lexikon. 2012.