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Chromosomen
I
Chromosomen,
 
die während der Kern- und Zellteilungsvorgänge anfärbbaren und somit mikroskopisch sichtbaren Erbkörperchen im Zellkern, auf denen die Gene als eigentliche Erbträger aufgereiht sind. Der Name Chromosom kommt von griechisch-lateinisch chroma (Haut)farbe und griechisch soma Körper. Die Chromosomen haben eine Länge von wenigen μm bis 30 μm und sind in Zahl und Aussehen spezifisch für jede Art. Außerhalb der Teilungsphasen der Zelle sind sie entspiralisiert und so nicht sichtbar. Der Mensch hat in jeder seiner Billionen Körperzellen (ab der befruchteten Eizelle) 46 Chromosomen in 23 Paaren, die sich in ihren Genen bei jedem Individuum (außer bei eineiigen Zwillingen beziehungsweise Mehrlingen) unterscheiden. Dabei werden 22 Paare homologer Chromosomen, die sich bis auf unterschiedliche Ausprägungen einiger Gene gleichen (Autosomen) und ein Paar Geschlechtschromosomen, die auch Heterosomen (von lateinisch hetero verschieden) oder Gonosomen (von griechisch gone Zeugung, Geschlecht) genannt werden, unterschieden: beim Mann mit XY bezeichnet, bei der Frau mit XX. Die Autosomen werden nach ihrem Aussehen, das heißt ihrer Form, dem durch Färbung sichtbaren Bandenmuster (die einzelnen Banden heißen Chromomeren) in die Gruppen A-G unterteilt und mit den Nummern 1-22 benannt.
 
Jedes Chromosom besteht aus zwei Spalthälften, den Chromatiden, die sich bei den normalen Zellteilungen (Mitosen) trennen und gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Danach verdoppeln sie sich wieder. Dieser diploide (doppelte) Chromosomensatz 44 + XY beziehungsweise 44 + XX (auch Genom genannt) wird bei der Reifung der Keimzellen (Spermien beziehungsweise Eizellen) in der Reifeteilung (Meiose) zum haploiden Chromosomensatz halbiert, sodass die Eizellen 22 + X und die Spermien 22 + X oder 22 + Y enthalten (Befruchtung, Eireifung, Spermienbildung). Allerdings können bei den Zellteilungen auch Störungen auftreten (Chromosomenaberrationen, Chromosomenanomalien, Intersexualität).
II
Chromosomen
 
[k-], Singular Chromosom das, -s, Kernschleifen, im Zellkern eukaryotischer Zellen vorhandene, wegen ihrer Anfärbbarkeit mit basischen Farbstoffen so benannte fädige Strukturen (Chromatin). Die Chromosomen sind die wesentlichen Träger der Erbinformation eines Lebewesens in Form der DNS, die die Information zum Aufbau von Eiweißen (Proteinbiosynthese) enthält. Sie bestehen bei den Eukaryonten aus je einem linearen DNS-Doppelstrang, der, vergesellschaftet mit Proteinen, im Chromosom in mindestens vier übereinander gelagerten Verpackungsordnungen untergebracht ist. Die Packung 1. Ordnung erfolgt durch Assoziation von DNS mit Histonen zu einem Nukleosom. Das Nukleosom überstreicht dabei etwa 200 Basen des DNS-Doppelstranges. Die Packung 2. Ordnung ist eine Zusammenfassung mehrerer Nukleosomen zu einem Supernukleosom oder Solenoid. Die Packung 3. Ordnung ist die Bildung von Chromatinschleifen unterschiedlicher Länge, etwa 100 000 pro menschlichem Genom (Nukleofilamente). Die Schleifen entstehen durch Bindung von Chromatin an Skelettstrukturen (Matrix) der Zellkerne. Die Packungen 1.-3. Ordnung liegen in Zellkernen während der Interphase vor, die Chromosomen stellen in dieser Phase ein diffuses, zartes Fadenwerk dar. Während der Zellteilung werden die Chromosomen durch dichtere Ausbildung von Chromatinschleifen und zusätzliche Kondensation der Schleifen mit einem Gesamtpackungsfaktor von 1 : 10 000 verdichtet. Dies bedeutet, dass sie etwa 50- bis 200-mal dicker sind als ein Nukleofilament. In dieser Phase sind die Chromosomen lichtmikroskopisch sichtbar und morphologisch am besten definiert. In dieser durch starke Spiralisierung extrem verkürzten Form haben die Chromosomen in den Zellen einer Art die individuell stets gleich bleibende Form (Chromosomenindividualität) von oft mehr oder weniger stark gekrümmten, längeren oder kürzeren (Länge etwa zwischen 1 μm und 30 μm) Stäbchen, selten sind sie kugelig. Sie weisen in der Regel eine nicht anfärbbare (achromatische) Einschnürung (Kommissur) auf, die zwei oft unterschiedlich lange, von Telomeren begrenzte Schenkel abgliedert und in der als Ansatzstelle für die Kernspindelfasern bei der Kernteilung das Zentromer (Kinetochor, Kinetomer, Kinomer) liegt. Bei den Satellitenchromosomen (SAT-Chromosomen) ist das Ende eines Chromosomenschenkels so stark abgegliedert, dass nur noch eine fädige (achromatische) Verbindung zu diesem (meist winzigen) Satelliten bestehen bleibt. Das Filament (Nukleolarfaden) ist der Ort, an dem der neben Eiweiß v. a. RNS enthaltende, membranlose, meist von Vakuolen durchsetzte Nukleolus (Nucleolus, Nebenkern, Kernkörperchen) des Interphasenkerns gebildet wird. Solche Nukleolusorganisatoren können auch an anderen Chromosomenorten vorhanden sein. Der Nukleolus wird als wichtigster »Umschlagplatz« für die im Kern gebildete ribosomale RNS (rRNS) angesehen. Häufig ist auch deutlich zu erkennen, dass das Chromosom in zwei Längselemente, die Chromatiden, unterteilt ist, die sich später zur Bildung der Tochterkerne trennen. In den Chromatiden zeigt sich oft wiederum ein (schraubig kontrahiertes) Längselement als Achsenfaden. Solche lichtmikroskopisch noch feststellbaren fädigen Grundelemente der Chromosomen heißen Chromonemen.
 
In der diffusen Form des Chromosoms während der Interphase kurz vor Mitosebeginn bis in die Prophase hinein können unter Umständen zahlreiche, verschieden große, in einem jeweils spezifischem Muster angeordnete Knoten auf den Chromonemen erkannt werden, die Chromomeren. Sie wurden früher als Genorte angesehen, stellen jedoch stärkere lokale Spiralisierungen dar. Sind im Interphasenkern ganze Chromosomenabschnitte oder auch Chromosomen durch bestehen gebliebene dichte Spiralisierung (und daher genetisch inaktiv) nach Anfärbung noch deutlich sichtbar, so spricht man von Chromozentren. In Prophasechromosomen werden stärker anfärbbare Zonen als Heterochromatin vom übrigen, nur schwach angefärbten (RNS-Synthese-aktiven) Euchromatin unterschieden. Die Heterochromatinzonen zeigen eine chromosomenspezifische Anordnung, die in den Riesenchromosomen als Bandenmuster gut erkennbar ist.
 
Die das Geschlecht determinierenden Chromosomen werden Heterosomen (Geschlechtschromosomen) genannt, die übrigen als Autosomen bezeichnet. Die Gesamtheit aller genetisch verschiedenen, einander nicht entsprechenden Chromosomen, der Chromosomensatz, ist in seiner Zusammensetzung für die Zellen jeder Organismenart charakteristisch. Je nachdem, wie oft dieser einfache (haploide) Chromosomensatz (n) vorliegt, unterscheidet man monoploide Zellen (einfacher Chromosomensatz, in der Regel die Keimzellen), diploide Zellen (doppelter Chromosomensatz [2n], z. B. die Körperzellen der Diplonten) und polyploide Zellen (mehr als zwei Chromosomensätze, z. B. 3n = triploid usw.; Vorkommen v. a. bei Kulturpflanzen, aber auch z. B. in menschlichen Leberzellen). Innerhalb des Tier- und Pflanzenreichs schwankt die Größe der Chromosomensätze beträchtlich.
 
Die Keimzellen des Menschen enthalten 23, die Körperzellen 46 Chromosomen; diese setzen sich aus 22 Autosomenpaaren und einem Geschlechtschromosomenpaar zusammen. Die Kurzformel dafür lautet: 46, XY für den normalen männlichen Chromosomensatz; 46, XX für den normalen weiblichen Chromosomensatz. Nach der Nomenklaturvereinbarung von 1960 (Denver-Abkommen) werden die Autosomen nach Größe, Form und Lage des Zentromers in Gruppen (A-G) geordnet und von 1 bis 22 nummeriert. Durch verschiedene Spezialfärbungen (Bandenfärbung) sind einzelne Chromosomen und Chromosomenabschnitte zu identifizieren und ähnliche Chromosomen verlässlich voneinander zu unterscheiden. Ohne Bandenfärbung wäre es z. B. nicht möglich, die Chromosomen 4 und 5, 8 bis 11 und 13 bis 15 sicher voneinander zu unterscheiden. Die Fluoreszenzfärbung erlaubt v. a. die Erkennung des Y-Chromosoms (z. B. an Blutzellen oder Bindegewebszellen), sodass sie zur Geschlechtsdiagnose eingesetzt werden kann. Nachdem 1999 der Aufbau des Chromosoms 22 entschlüsselt wurde, veröffentlichte im Jahr 2000 ein deutsch-japanisches Wissenschaftlerteam des internationalen Human-Genom-Projekts die Genkarte des Chromosoms 21. Auf ihm liegen u. a. Gene für die Alzheimer-Krankheit, einige Formen der Epilepsie und Autoimmunkrankheiten. Von dem nun sequenzierten Chromosom 21 erhoffen sich die Forscher auch Auskunft über die genetischen Ursachen von weiteren Erkrankungen, wie bestimmten Formen der Taubheit oder Depression.
 
Geschichte:
 
Die Entdeckung der Chromosomen als färbbare Zellbestandteile (erste Beobachtungen von Zellstrukturen, die später als Chromosomen identifiziert werden konnten, durch C. W. Nägeli, 1842, und W. Hofmeister, 1848) hängt wesentlich mit der Entwicklung der mikroskopischen Fixierungs-, Präparations- und Färbetechnik im 19. Jahrhundert zusammen. Die Chromosomenforschung wurde zwischen 1873 und 1875 durch Arbeiten von Anton Schneider (* 1831, ✝ 1890), O. Bütschli und E. Strasburger über die Kernteilung eingeleitet. Die Färbbarkeit der Chromosomen mit basischen Anilinfarben (1875 von O. Hertwig entdeckt) veranlasste W. Flemming, diese Substanz als »Chromatin« zu bezeichnen. Der Name Chromosom geht auf W. von Waldeyer-Hartz zurück (1888). T. Boveri bestätigte (1902) experimentell die 1885 durch Carl Rabl (* 1853, ✝ 1917) aufgestellte Hypothese der Chromosomenindividualität. Auf die Bedeutung der Chromosomen als Träger der Erbanlagen hat erstmals W. Roux 1883 hingewiesen.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Meiose · Nukleinsäuren · Proteinbiosynthese · Zellteilung · Zellzyklus
 
Literatur:
 
F. Göltenboth: Experimentelle C.-Unters. (1975);
 
C.-Praktikum, hg. v. F. Göltenboth: (1978);
 W. Nagl: Zellkern u. Zellzyklen (1976);
 W. Nagl: C. Organisation, Funktion u. Evolution des Chromatins (21979);
 
Organization and expression of chromosomes, hg. v. V. G. Allfrey (1976);
 W. Traut: C. Klass. u. molekulare Cytogenetik (1991);
 G. Tariverdian u. W. Buselmaier: C., Gene, Mutationen. Humangenet. Sprechstunde (1995);
 R. Knippers: Molekulare Genetik (71997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Zellteilung (Mitose)
 
Zellteilung (Meiose)
 
Vererbungsregeln: Die chromosomale Vererbung
 

Universal-Lexikon. 2012.