Lehm|architektur,
in verschiedenen Techniken errichtete Bauwerke aus Lehm oder luftgetrockneten Lehmziegeln (Adobe). Die Lehmarchitektur umfasst profane und sakrale Architektur vom Wohnbau über Nutzbauten (z. B. Speicher) bis zum Pracht- und Wehrbau. Für den Siedlungs- und Städtebau ist Lehmarchitektur in Vorderasien seit dem Spätneolithikum belegt (Jericho, Jordanien; Tepe Sialk, Iran; Çatal Hüyük, Türkei). Sie trat in Mesopotamien und Ägypten im 4. Jahrtausend auf, im 3. und 2. Jahrtausend in Indien, Pakistan, später in Zentral- und Ostasien, in Nordafrika und der Sudanzone sowie auf dem amerikanischen Kontinent. Der Babylonische Turm u. a. Zikkurats waren ebenso Lehmbauten wie die Tempel (z. B. in Uruk) und Paläste (z. B. Mari). Die Stadtzivilisation der Harappakultur war von der Lehmarchitektur geprägt (z. B. Mohenjo-Daro). Im alten Ägypten wurde die Lehmarchitektur zwar bei Grab- und Tempelbauten von Stein abgelöst, aber nicht bei Städten und Palästen (Amarna, Molgata). Zu den größten städtischen Siedlungen Altamerikas zählte Chan Chan (Peru), aus Lehmziegeln erbaut. Im islamischen Kulturbereich umfasst die Lehmarchitektur Moschee, Minarett, Grabtürbe, Palast u. a. Wohnbauten, im westislamischen Bereich die Kasba und das Ksar der Berber. Während Medina as-Sahra in Spanien heute eine Ruinenstätte ist, gibt es seit Jahrhunderten bewohnte Städte mit oft mehrstöckiger Lehmarchitektur wie Agadès (Niger), Adrar und El-Golea (Algerien), Ghadamis (Libyen), Kano (Nigeria), Timbuktu (Mali), Marrakesch (Marokko), Sanaa und Shibam (Jemen), oder Bam und Yazd (Iran). Diese Lehmarchitektur zeigt zum Teil reichen Fassadenschmuck in vielen Dekortechniken und mit verschiedenen Motiven. Auch dörfliche Lehmbauten der Schwarzafrikaner in der Sudanzone (Rundbauten) tradieren ihre eigenen Zierformen und Symbole. In Amerika bauen die in der Tradition der Anasazikultur stehenden Puebloindianer bis heute mit Lehm, ursprünglich von oben betretbare Terrassenbauten, z. B. im Pueblo Taos bei Santa Fe (New Mexiko), wo 1610 auch Kolonialarchitektur, z. B. der Gouvernementpalst, als Lehmarchitektur entstand. In Kolumbien ist das alte Zentrum von Bogotá aus Lehmziegeln errichtet..
Seitdem Untersuchungen ergaben, dass die Lehmbauweise in heißen Klimazonen sehr günstige wohnklimatische Eigenschaften hat, erlebt die Lehmarchitektur im Südwesten der USA, besonders in New Mexico und Kalifornien, eine Renaissance, v. a. im Villen- und Hotelbau unter Wiederbelebung traditioneller Bauweisen der Puebloindianer und der spanischen Kolonialarchitektur. In Entwicklungsländern werden heute (oft von der UNO geförderte) Bauprogramme, anknüpfend an die jeweilige Volkstradition, durchgeführt. Auch in Europa sind sinnvolle Anwendungen der Lehmarchitektur, auch unter ökologischen Gesichtspunkten, denkbar. Lange Tradition hat hier der Fachwerkbau mit Lehmbewurf; im 19. Jahrhundert entstanden auch in Deutschland Stampflehmbauten (Weilburg). Ziegelbau.
L. Die Zukunft einer vergessenen Bautradition, hg. v. J. Dethier u. a., Ausst.-Kat. (a. d. Frz., 1982);
Architektur der Vergänglichkeit. Lehmbauten der Dritten Welt, hg. v. H. Wichmann, Ausst.-Kat. (Basel 1983);
M. Reindel: Monumentale L. an der Nordküste Perus (1993);
A. Endruweit: Städt. Wohnbau in Ägypten. Klimagerechte L. in Amarna (1994);
Universal-Lexikon. 2012.