Liszt
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1) Franz von (seit 1859), ungarischer Komponist und Pianist, * Raiding (Burgenland) 22. 10. 1811, ✝ Bayreuth 31. 7. 1886, Vetter von 2); studierte nach erstem Klavierunterricht bei seinem Vater in Wien bei C. Czerny (Klavier) und A. Salieri (Musiktheorie), später in Paris bei F. Paer (Harmonielehre) und A. Reicha (Komposition) und unternahm Konzertreisen innerhalb Frankreichs und nach London. In Paris begegnete er u. a. den Komponisten G. Rossini, V. Bellini, G. Meyerbeer, F. Chopin sowie H. Berlioz und N. Paganini, von deren Werken er einzelne Klavierbearbeitungen schrieb, die den Übergang zu einem ausgesprochen virtuosen Klavierstil markieren. Daneben empfing er von Schriftstellern wie V. Hugo und A. de Lamartine literarische Eindrücke, die er später kompositorisch verarbeitete. 1833 lernte er die Comtesse Marie Cathérine Sophie d'Agoult (* 1805, ✝ 1876) kennen, die seine literarischen Neigungen teilte (sie wurde als Schriftstellerin unter dem Namen Daniel Stern bekannt). Von 1835 an lebte er mit ihr in Genf und Italien (von ihren drei Kindern wurde Cosima, seit 1870 die Frau R. Wagners, am bekanntesten). Ausgedehnte Konzertreisen führten Liszt u. a. nach Wien, Ungarn, Berlin und Russland. In Kiew begegnete er der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein (* 1819, ✝ 1887), die ihm nach Weimar folgte, wo er 1842 zum Hofkapellmeister ernannt worden war und sich besonders für die Aufführung zeitgenössischer Werke (R. Schumann, H. Berlioz, R. Wagner) einsetzte. In Weimar war Liszt Mittelpunkt eines Schülerkreises (P. Cornelius, J. Raff, H. von Bülow, C. Tausig), dessen musikalisch-stilistische Ideen sich in der neudeutschen Schule artikulierten und durch den Allgemeinen Deutschen Musikverein und die »Neue Zeitschrift für Musik« einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Nach einer Intrige um die Aufführung des »Barbier von Bagdad« (1858) von Cornelius legte er die Leitung der Oper in Weimar nieder und ging nach Rom, wo er, als sich sein Plan, die Fürstin zu heiraten, nicht verwirklichte, die niederen Weihen eines Abbés nahm. 1875 wurde er 1. Präsident der neu gegründeten ungarischen Musikakademie in Budapest.
Liszt war der Schöpfer einer neuartigen Klaviermusik, die erstmals - mit ihrer Ausnutzung der gesamten Klaviatur durch das Spiel mit Akkorden und Oktaven (in unterschiedlichen Lagen), Ornamenten, Sprüngen, Doppelgriffen und großräumigen Arpeggien - weit über die den Etüdenwerken Czernys und F. Kalkbrenners zugrunde liegende Technik hinausführt. Damit erreichte er für das Klavier (in teilweiser Anlehnung an die von Paganini auf der Violine erzielten Effekte) differenzierte klangliche Ausdrucksmöglichkeiten. Als einer der Ersten trat er auch als Pianist ohne Orchester auf. Die Melodik seiner Klavierwerke kennzeichnet eine gesangliche Linie. In der Harmonik ging er von Chopin, F. Schubert und dem Musiktheoretiker F.-J. Fétis aus und wirkte auf Wagner, die impressionistische Klangwelt C. Debussys und (durch Quartenharmonik, Polytonalität) bis in die Musik des 20. Jahrhunderts hinein. Mit Orchesterwerken schuf er die sinfonische Dichtung, meist einsätzige Programmkompositionen, in denen ein poetischer Text (zuweilen auch eine Bildvorlage) mit der Musik eine enge Verbindung eingeht, wodurch eine poetische Idee als neue Form musikalischer Sprache verwirklicht werden soll.
Liszts geistliche und liturgische Werke zeigen Einflüsse des Caecilianismus und verbinden Merkmale eigener Tonsprache mit gregorianischen Elementen. Als Reformer wirkte er schließlich auf dem Gebiet der Organisation des Musiklebens und verarbeitete zum Teil seine Eindrücke von politischen und sozialen ideologischen Strömungen seiner Zeit. So setzte er sich für die Verbesserung der Stellung des Künstlers, musikalischen Unterricht in Grundschulen und die Ausrichtung von Musikfestspielen ein. Als Mitgründer des Allgemeinen Deutschen Musikvereins schuf er ein Podium für die zeitgenössische Musik.
Werke: Orchesterwerke: Sinfonische Dichtungen: Tasso (1849); Prometheus (1850); Bergsinfonie (1850); Orpheus (1854); Mazeppa (1854); Les préludes (1854); Hungaria (1856); Die Ideale (1857); Hunnenschlacht (1857); Faust-Sinfonie (1857); Sinfonie zu Dantes Divina commedia (1857); Hamlet (1858); Trois odes funèbres (1860, 1864, 1866); Zwei Episoden aus Lenaus Faust (1861; Nummer 2: »Mephisto-Walzer«).
Werke für Klavier und Orchester: 2. Konzert A-Dur (1839, Umarbeitungen bis 1861); 1. Konzert Es-Dur (1849).
Klavierwerke: Étude pour le pianoforte en quarante-huit exercices (1826, nur 12 Etüden erschienen; Neufassung 1838; als Études d'exécution transcendante, 1851); Grande fantaisie de bravoure sur la Clochette de Paganini (1832); Apparitions (1834); Années de pélérinage (zwischen 1835 und 1877, darunter die Dante-Sonate, 1858, und Venezia e Napoli, 1859); Harmonies poétiques et religieuses (1845-52); Consolations (1849); Sonate h-Moll (1853); 19 Ungarische Rhapsodien (erschienen ab 1851).
Orgelwerke: Präludium und Fuge über den Namen Bach (1855; 2. Fassung 1870); Variationen über den chromatischen Baß von J. S. Bachs Kantate »Weinen, Klagen« (1863).
Vokalwerke: Oratorium »Christus« für Sopran, Alt, Bariton, Bass, Chor, Orchester und Orgel (1855-66); Oratorium »Die Legende von der heiligen Elisabeth« für Sopran, Alt, Bariton, Bass, Chor, Orchester und Orgel (1857-62); Missa choralis für vier Solostimmen, Chor und Orchester (1865); Ungarische Krönungsmesse für drei Solostimmen, Chor und Orchester (1867); Requiem für vier Solostimmen, Männerchor, Orgel und Blechbläser (1868); Sonnenhymnus des heiligen Franziskus von Assisi für Bariton, Männerchor, Orgel und Orchester (1862; Umarbeitung 1880); Legende »Die heilige Cäcilia« für Mezzosopran, Chor und Orchester (1874); 82 Lieder.
Ausgaben: Gesammelte Schriften, herausgegeben von L. Ramann u. a., 6 Bände (1880-83, Nachdruck 1978); Sämtliche Schriften, herausgegeben von D. Altenburg, auf 9 Bände berechnet (1988 ff.); Neue Ausgabe sämtlicher Werke, herausgegeben von Z. Gárdonyi u. a., auf mehrere Bände berechnet (1990 folgende).
L. Ramann: F. L., 3 Bde. (1880-94);
A. Göllerich: F. L. (1908);
P. Raabe: F. L., 2 Bde. (21968);
L.-Studien, hg. v. European Liszt-Centre (1977 ff.);
D. Redepenning: Das Spätwerk F. L.s (1984);
W. Dömling: F. L. u. seine Zeit (1985);
F. L. in seinen Briefen, hg. v. H. R. Jung (1988);
Virtuosität u. Avantgarde. Unterss. zum Klavierwerk F. L.s, hg. v. Z. Gárdonyi u. a. (1988);
A. Engel: F. L. Der virtuose Klang der Menschlichkeit (1989).
2) Franz von, Rechtslehrer und Kriminalpolitiker, * Wien 2. 3. 1851, ✝ Seeheim (heute Seeheim-Jugenheim) 21. 6. 1919, Vetter von 1); wurde 1879 Professor in Gießen, 1882 in Marburg, 1889 in Halle (Saale) und 1899 in Berlin, seit 1912 Mitglied des Reichstags (Fortschrittliche Volkspartei). Liszt war der Mitbegründer und Führer der deutschen soziologischen Strafrechtsschule. Unter dem Eindruck der naturwissenschaftlichen Zeitströmung forderte er die Ausdehnung der Strafrechtswissenschaft über die Rechtsdogmatik hinaus auf die empirische Erforschung der Ursachen und Erscheinungsformen des Verbrechens. Als Kriminalpolitiker erstrebte er den Ersatz des alten, auf dem Grundsatz der Tatvergeltung beruhenden Strafrechts durch eine auf die Persönlichkeit des Täters und den Erziehungs- und Sicherungszweck der Strafe abgestellte Strafgesetzgebung. Er gehörte zu den Mitbegründern der »Internationalen kriminalistischen Vereinigung« und der »Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft« und hat sich auch als Völkerrechtler einen Namen gemacht.
Werke: Das deutsche Reichsstrafrecht (1881; ab der 2. Auflage unter dem Titel Lehrbuch des deutschen Strafrechts); Das Völkerrecht, systematisch dargestellt (1898); Strafrechtliche Aufsätze, 2 Bände (1905); Strafrechtspolitik. Bedingungen der Strafrechtsreform, herausgegeben von W. Hassemer (1987).
Universal-Lexikon. 2012.