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Gnade
Gunst; Erbarmen; Mitleid

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Gna|de ['gna:də], die; -:
1. mit Herablassung gewährte Gunst eines sozial oder gesellschaftlich Höhergestellten gegenüber einem sozial Tieferstehenden:
jmdm. eine Gnade erweisen, gewähren; von jmds. Gnade abhängen.
2. (einem schuldig Gewordenen gegenüber geübte) Milde, Nachsicht:
um Gnade bitten; keine Gnade finden, verdienen; im Christentum ist die göttliche Gnade ein Grundwert.
Syn.: Schonung.
Zus.: Gottesgnade.

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Gna|de 〈f. 19; Pl. selten〉
1. verzeihende Güte, Barmherzigkeit Gottes, Sündenvergebung
2. 〈im Christentum a.〉 das Heil ohne Rücksicht auf Verdienst
3. 〈allg.〉 Gunst, Wohlwollen
4. Barmherzigkeit, Mitleid, Milde, Nachsicht, Schonung, Verzeihung, Straf-, Sündenerlass
5. Gnadenbezeigung, -beweis, unverdiente Gunst
● Euer \Gnaden 〈veraltet〉 (Anrede an Höherstehende) ● eine \Gnade erbitten, erweisen, erzeigen; finden: er, es hat vor seinen Augen keine \Gnade gefunden er ist nicht mit ihm, damit einverstanden; er fand bei seinen Richtern keine \Gnade; er hat keine \Gnade verdient ● sich als \Gnade ausbitten, dass ...; sich auf \Gnade oder Ungnade ergeben bedingungslos; aus \Gnade und Barmherzigkeit jmdn. aufnehmen; durch die \Gnade Gottes; \Gnade für Recht ergehen lassen Nachsicht statt gerechter, verdienter Strafe; jmdn. in \Gnaden entlassen; um \Gnade bitten, flehen; von jmds. \Gnade abhängen; Fürst von Gottes \Gnaden →a. Gottesgnadentum; halten zu \Gnaden! 〈veraltet〉 entschuldigen Sie nur! [<ahd. ginada, ganada „Wohlwollen, Gunst, göttliche Gnade“; zu got. nidan „helfen“; Ursprung unbekannt]

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Gna|de , die; -, -n <Pl. selten> [mhd. g(e)nade, ahd. gināda = (göttliches) Erbarmen, eigtl. = Hilfe, Schutz, zu einem Verb mit der Bed. »unterstützen, helfen«]:
1.
a) Gunst eines sozial, gesellschaftlich o. Ä. Höherrangigen gegenüber einem sozial, gesellschaftlich o. Ä. auf niedrigerem Rang Stehenden:
die G. des Königs erlangen, verlieren;
er wollte nicht von der G. seines Vaters abhängen, leben;
die G. haben (iron., veraltet; sich herablassen, so gnädig sein: er hatte nicht die G., uns eintreten zu lassen);
vor jmdm./vor jmds. Augen G. finden (vor jmdm. bestehen können, von ihm anerkannt, akzeptiert werden);
auf G. und/oder Ungnade (bedingungslos, auf jede Bedingung hin: sich jmdm. auf G. und Ungnade ergeben, ausliefern);
aus G. [und Barmherzigkeit] (aus bloßem Mitleid);
in -n (mit Wohlwollen);
bei jmdm. in [hohen] -n stehen, sein (geh.; von jmdm. [sehr] geschätzt werden);
jmdn. wieder in -n aufnehmen (geh.; jmdm. etw. nachsehen u. ihn in einem Kreis wieder aufnehmen);
von jmds. -n (durch jmds. Gunst, durch jmdn. [bewirkt, geworden, zustande gekommen]);
b) (Rel.) verzeihende Güte Gottes:
die göttliche G.;
das ist kein Verdienst, sondern eine G. des Himmels;
in den Besitz der G. gelangen.
2. Milde, Nachsicht in Bezug auf eine verdiente Strafe, Strafnachlass:
der Gefangene flehte um G.;
G. vor/für Recht ergehen lassen (von einer Bestrafung absehen, nachsichtig sein).
3.
Euer, (auch:) Ihro, Ihre -n (veraltete Anrede an Personen von hohem Rang: Euer -n haben/<seltener:> hat gerufen).

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Gnade
 
[althochdeutsch gināda »(göttliches) Erbarmen«, eigentlich »Hilfe«, »Schutz«],
 
 1) Recht: Das Gnaderecht umfasst die Befugnis, rechtskräftig verhängte Strafen zu erlassen, umzuwandeln, herabzusetzen oder (zur Bewährung) auszusetzen (Begnadigung) und anhängige Strafverfahren niederzuschlagen (Abolition). Die auf Wohlwollen beruhenden (»Gnade geht vor Recht«) Gnadenerweise (Gnadenakte) können den Einzelfall betreffen oder (Amnestie) eine Vielzahl von Fällen. Letztere bedürfen, ebenso wie die generelle Abolition, eines förmlichen (Straffreiheits-)Gesetzes.
 
 2) Religionswissenschaft: die Hilfe (eines) Gottes; in den prophetischen Religionen (z. B. Judentum, Christentum, Islam) vornehmlich die Zuwendung Gottes zu den Menschen und unverdiente Vergebung menschlicher Sünde; in den Religionen indischer Herkunft in erster Linie die Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten. - Im Alten Testament erfährt Israel Gottes Gnade vor allem in der grundlosen Auserwählung zum Bundesvolk und in der alle Gerechtigkeit überbietenden Treue, die Gott auch seinem untreuen Volk gegenüber beweist. - Im Neuen Testament bezeugt Jesus selbst in den Gleichnissen und in seinem Verhalten den gnädigen Vatergott. Das Evangelium der Gnade (Charis) steht im Mittelpunkt der paulinischen Theologie. Der Sünder wird nach Paulus (Römerbrief 3, 24) allein durch Gottes Gnade ohne eigenes Verdienst gerechtfertigt und mit neuem Leben beschenkt.
 
Geschichte der Gnadenlehre:
 
Für die Kirchenväter des Ostens bedeutete Gnade vor allem Vergöttlichung des Menschen. Im lateinischen Westen trat mehr das anthropologische Problem von Gnade und Freiheit in den Vordergrund des Interesses. Die mittelalterliche Theologie suchte mithilfe der aristotelischen Philosophie das Wesen der Gnade als übernatürlichen Habitus der Seele zu bestimmen. Seit der Scholastik unterscheidet die katholische Theologie zwischen der ungeschaffenen Gnade (gratia increata) als der Gnade Gottes und der geschaffenen Gnade (gratia creata) als den Gaben und Wirkungen, die die Gnade Gottes im Menschen zur Folge hat. Auf dieser Grundlage betonte das Konzil von Trient im Rechtfertigungsdekret (1547) die Mitwirkung des Menschen als unerlässlich für seine Rechtfertigung. Versuche der nachtridentinischen Theologie, das Verhältnis von Gnade und Freiheit genauer zu bestimmen, führten zum so genannten Gnadenstreit. Luther griff in seiner Gnadenauffassung unmittelbar auf den biblisch-paulinischen Gnadenbegriff als der unverdienten Rechtfertigung der Sünder durch Gott zurück: Rechtfertigung erfolgt allein aus Gnade (sola gratia). Ausgeformt zur Rechtfertigungslehre ist dieses Gnadenverständnis zum Charakteristikum reformatorischer Theologie geworden (Rechtfertigung).
 
Literatur:
 
Gesetz u. G. im A. T. u. im jüd. Denken, hg. v. R. Brunner (1969);
 O. H. Pesch: Frei sein aus G. Theolog. Anthropologie (Neuausg. Leipzig 1986);
 G. Greshake: Geschenkte Freiheit. Einf. in die G.-Lehre (Neuausg. 1992);
 
Einf. in die Lehre von G. u. Rechtfertigung, Beitrr. v. O. H. Pesch u. A. Peters (31994);
 R. Guardini: Freiheit, G., Schicksal (71994).

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Gna|de, die; -, -n <Pl. selten> [mhd. g(e)nade, ahd. gināda = (göttliches) Erbarmen, eigtl. = Hilfe, Schutz, zu einem Verb mit der Bed. „unterstützen, helfen“]: 1. a) Gunst eines sozial, gesellschaftlich o. ä. Höherrangigen gegenüber einem sozial, gesellschaftlich o. ä. auf niedrigerem Rang Stehenden: die G. des Königs erlangen, verlieren; Ein großer ... Herr, der strafen kann und G. üben (Roth, Beichte 60); Er fleht ... die Kurfürstin an, für ihn G. zu erwirken (NJW 19, 1984, 1068); Der Verbannte ... war ... zum guten Ende doch wieder heimgekehrt in die G. des Imperators (Ransmayr, Welt 140); „... Meinst du, es macht mir Spaß, ewig und drei Tage von Vaters -n abzuhängen?“ (M. L. Fischer, Kein Vogel 130); Ü eines wird uns zuteil: die G. des Augenblicks (Goes, Hagar 154); Er kam fast nicht dazu, an Karola zu denken: das war die G. der Arbeit, sie gewährte ihm Schutz (Fels, Afrika 117); *die G. haben (veraltet, noch iron.; sich herablassen, so gnädig sein): er hatte nicht die G., uns eintreten zu lassen; dass Königliche Hoheit ... die G. gehabt hat, ein Paar Stiefel bei mir zu bestellen (Th. Mann, Hoheit 48); vor jmdm./vor jmds. Augen G. finden (vor jmdm. bestehen können, von ihm anerkannt, akzeptiert werden): Die Suppe ließ sie zurückgehen ... Zum Glück fand das Lendensteak G. vor ihr (M. Walser, Seelenarbeit 213); auf G. und/oder Ungnade (bedingungslos, auf jede Bedingung hin): sich jmdm. auf G. und Ungnade ergeben, ausliefern; aus G. [und Barmherzigkeit] (aus bloßem Mitleid); in -n (mit Wohlwollen); bei jmdm. in [hohen] -n stehen, sein (geh.; von jmdm. [sehr] geschätzt werden): Was mich anlangt, stehe ich ja bei ihr in -n (A. Kolb, Daphne 42); als Verfechter der europäischen Integration war er beim Präsidenten nicht in G. (W. Brandt, Begegnungen 135); jmdn. wieder in -n aufnehmen (geh.; jmdm. etw. nachsehen u. ihn in einem Kreis wieder aufnehmen): wie sie gefleht hatten, ... man möchte sie wieder in -n aufnehmen ..., zum halben Lohn ihrethalben (Fallada, Blechnapf 211); von jmds. -n (durch jmds. Gunst, durch jmdn. [bewirkt, geworden, zustande gekommen]): Er ist Kaiser von Volkes -n (Thieß, Reich 540); Eine Armee von Amerikas -n (B. Vesper, Reise 465); b) (Rel.) verzeihende Güte Gottes: die göttliche G.; das ist kein Verdienst, sondern eine G. des Himmels; in den Besitz der G. gelangen. 2. Milde, Nachsicht in Bezug auf eine verdiente Strafe, Strafnachlass: der Gefangene bat, flehte um G.; Ü Da war der Krieg, und der war ohne G. (Kant, Impressum 428); *G. vor/für Recht ergehen lassen (von einer Bestrafung absehen, nachsichtig sein): Er ... gibt mir ... bekannt, dass er noch einmal G. vor Recht ergehen lassen will (Remarque, Westen 118). 3. *Euer, (auch:) Ihro, Ihre -n (veraltete Anrede an Personen von hohem Rang; vgl.
lat. vestra clementia): Euer -n haben/<seltener:> hat gerufen; Gut meinen und gut handeln, Euer -n, das ist zweierlei! (Frisch, Cruz 11).

Universal-Lexikon. 2012.