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Sozialdemokratie
So|zi|al|de|mo|kra|tie 〈f. 19; unz.〉
1. polit. Richtung, die die Grundsätze des Sozialismus u. der Demokratie zu verbinden sucht
2. Gesamtheit der Sozialdemokrat. Partei

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So|zi|al|de|mo|kra|tie, die:
(im 19. Jh. innerhalb der Arbeiterbewegung entstandene) politische Parteirichtung, die die Grundsätze des Sozialismus u. der Demokratie gleichermaßen zu verwirklichen sucht.

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Sozialdemokratie,
 
aus der Arbeiterbewegung hervorgegangene politische Richtung des Sozialismus, die in einer gerechten und solidarischen Gesellschaft grundlegende Rechte des Menschen durch eine Demokratisierung aller wirtschaftlichen, sozialen und staatlichen Bereiche verwirklichen will. Historisch als Trägerin sozialrevolutionärer wie auch sozialreformerische Ideen oft sehr unterschiedlich in ihrer Zielsetzung, sucht die Sozialdemokratie heute unter dem Leitwort des »demokratischen Sozialismus« die Prinzipien der Demokratie mit den Grundvorstellungen des Sozialismus zu verbinden.
 
Geschichte:
 
Das Wort Sozialdemokratie wurde in Deutschland erstmals 1848 von F. Hecker benutzt. Viele Mitglieder der 1848 gegründeten »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung« bezeichneten sich als »Sozial-Demokraten«. S. Born, einer der Gründer dieser Vereinigung, schlug zur Lösung der sozialen Frage ein Programm praktischer Sozialreformen vor, das auf parlamentarischem Wege verwirklicht werden sollte. K. Marx, der mit F. Engels das Programm des Bundes der Kommunisten geprägt hatte, verlieh der Bezeichnung Sozialdemokratie einen proletarisch-revolutionären Sinn. Anhand von Programm und Praxis des Bundes der Kommunisten einerseits und der Arbeiterverbrüderung andererseits wird bereits in der Frühphase der Arbeiterbewegung der Dualismus von Revolution und Reform, von Klassen- und Staatspolitik, von revolutionärer Diktatur und von Bemühungen zur Demokratisierung des Gesamtstaates und seiner Teileinheiten deutlich. Mit der Gründung von Parteien im Rahmen der Arbeiterbewegung begann zugleich die innenparteiliche Auseinandersetzung um die Ziele der Sozialdemokratie. In der programmatischen Entfaltung wie in der politischen Praxis der Sozialdemokratie zeigt sich dieser Dualismus oft in zahlreichen Verschränkungen reformistischer und sozialrevolutionärer Ideen.
 
Das Programm des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) beruht auf dem »Offenen Antwortschreiben« (1. 3. 1863) F. Lassalles an das Leipziger Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen Arbeiterkongresses. Neben dem Kampf für ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht forderte er die Beteiligung der Arbeiter - mit staatlicher Hilfe - an der Produktion von »Produktiv-Assoziationen«. J. B. von Schweitzer, Nachfolger Lassalles in der Führung des ADAV, bereitete die Gründung einer »Social-Demokratischen Partei« vor. Unter dem Einfluss der revolutionär orientierten »Internationalen Arbeiter Association« (IAA, Erste Internationale) bezeichnete die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), von A. Bebel und W. Liebknecht 1869 gegründet, in ihrem Eisenacher Programm u. a. als ihr Ziel: Überwindung der privatkapitalistischen Produktionsweise, Abschaffung aller Klassenherrschaft, Zugutekommen des »vollen Arbeitsertrags« für jeden Arbeiter, Errichtung eines »freien Volksstaates« mit einer »Volkswehr« und Durchsetzung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts (für alle Männer ab 20 Jahren). Das bei der Vereinigung von ADAV und SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) 1875 verabschiedete Gothaer Programm ist ein Kompromiss zwischen den »Lassalleanern« und den »Eisenachern«. War die Programmdiskussion in der frühen Sozialdemokratie noch stark geprägt von den Forderungen der radikalen bürgerlichen Demokraten und der Begriffswelt Lassalles (besonders von seiner Idee des ehernen Lohngesetzes), so setzte sich in Deutschland unter dem Druck des Sozialistengesetzes (1878) der Marxismus in den Zielvorstellungen der Sozialdemokratie in größerer Breite durch.
 
Das 1891 verabschiedete Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD; gegründet 1890) ging in seinem theoretischen, von K. Kautsky verfassten ersten Teil - in dogmatischer Beachtung marxistischer Grundanschauungen - von der Überzeugung aus, dass die kapitalistische Gesellschaft »naturgesetzlich« zusammenbrechen und der Sozialismus sich durchsetzen werde. In seinem von E. Bernstein verfassten praktisch-politischen zweiten Teil erkannte das Erfurter Programm den Staat als Rahmen machtpolitischer Durchsetzung sozialdemokratischer Einzelziele (u. a. allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht, Gleichberechtigung der Frauen, Achtstundentag, Verbot der Kinder- und Nachtarbeit) an. Im Zeichen der von Bernstein besonders auf späteren Parteitagen der SPD geforderten Revision marxistischer Theoreme (Revisionismus) entwickelte sich in der deutschen Sozialdemokratie ein Grundsatzstreit (»Revisionismusstreit«), in dem sich besonders Kautsky, Bebel und Rosa Luxemburg den Thesen Bernsteins entgegenstellten. Unter dem Eindruck praktischer Gewerkschaftspolitik setzten sich in der SPD ab 1899/1900 allmählich immer stärker reformistische Zielvorstellungen durch.
 
Das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie und der innenparteiliche Streit um seine praktische Verwirklichung übten - besonders im Rahmen der Diskussionen der Zweiten Internationale - einen starken Einfluss auf die sich in den 1890er-Jahren bildenden sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Europa, besonders in Österreich-Ungarn, der Schweiz, in Skandinavien und Südosteuropa, aus. Innerhalb der russischen Sozialdemokratie entwickelte Lenin in polemisierender Auseinandersetzung mit der Interpretation des Marxismus durch Kautsky eine dynamische, voluntaristische Auffassung vom revolutionären Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. In engem Zusammenhang mit der Diskussion über den Marxismus und die Umsetzung sozialistischer Ziele entwickelte die österreichische Sozialdemokratie (M. Adler, O. Bauer, K. Renner, R. Hilferding) die Sonderform des Austromarxismus.
 
Unter dem Eindruck besonders der Oktoberrevolution in Russland (1917) schieden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (1918) die an den revolutionären Vorstellungen Lenins orientierten revolutionären Sozialisten endgültig aus der sozialdemokratischen Bewegung, deren ideologische Spaltung sich jedoch bereits bis um 1910 angekündigt hatte, aus und organisierten sich nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki im Rahmen der Kommunistischen Internationale (Komintern) als kommunistische Parteien neu. Zahlreiche sozialdemokratische Parteien, besonders in Nordeuropa, setzten den reformistischen Weg, nun auch unter dem Eindruck der Labour-Bewegung in Großbritannien, fort und suchten die Idee des »Wohlfahrtsstaates« (besonders in der schwedischen Sozialdemokratie) unter den Bedingungen einer sozial verstandenen nationalen Solidarität zu verwirklichen.
 
Das Görlitzer Programm der SPD (1921), von Bernstein entworfen, sah die SPD als Volkspartei, in der alle »körperlich und geistig Schaffenden, die auf den Ertrag eigener Arbeit angewiesen sind«, für »Demokratie und Sozialismus« zusammengeführt werden sollten. Nach der Verschmelzung der 1916/17 entstandenen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) mit der SPD entstand unter Federführung von Kautsky 1925 das Heidelberger Programm, das auf Positionen des Erfurter Programms zurückgriff und das Bekenntnis des Görlitzer Programms zum parlamentarisch-demokratischen Staat erheblich abschwächte. Die Programmdiskussion der Sozialdemokratie befasste sich in der Mitte der 20er-Jahre besonders mit Gedanken zur Durchsetzung einer Wirtschaftsdemokratie, inspiriert besonders von Hilferding. - In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur (1933-45) in Deutschland politisch verfolgt, griff die Sozialdemokratie im Exil wieder sozialrevolutionäre Gedanken auf; im »Prager Manifest« (1934) forderte sie u. a. den »Kampf der geeinten Arbeiterklasse« gegen die Diktatur Hitlers und die »totale moralische, geistige, politische und soziale Revolution« in Deutschland Unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Reformpolitik der Sozialdemokratie in Schweden, aber auch der Labour Party im britischen Raum setzte sich unter deutsche und österreichische Sozialdemokraten im Exil (z. B. E. Ollenhauer, B. Kreisky) eine Neubesinnung auf die freiheitlichen Grundlagen der westeuropäischen Demokratie durch. - Nach 1945 erlangte das Godesberger Programm der SPD von 1959 mit seinem Bekenntnis zu einem demokratischen Sozialismus, der sich an Wertvorstellungen christlicher Ethik, an klassische Philosophie und Humanismus orientiert, europäische Wirkung. Unter Kreisky war die SPÖ zeitweise die erfolgreichste Partei der europäischen Sozialdemokratie. Nach der globalen Wende 1989 wurde die unter kommunistischer Vorherrschaft ausgelöschte Sozialdemokratie in Mittel-, Ost- und Südosteuropa wieder belebt. (sozialistische und sozialdemokratische Parteien)
 

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So|zi|al|de|mo|kra|tie, die: (im 19. Jh. innerhalb der Arbeiterbewegung entstandene) politische Parteirichtung, die die Grundsätze des Sozialismus u. der Demokratie gleichermaßen zu verwirklichen sucht.

Universal-Lexikon. 2012.