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Wahlrecht
Wahlberechtigung; Stimmrecht

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Wahl|recht 〈n. 11
1. das Recht, zu wählen bzw. sich wählen zu lassen
2. Gesamtheit aller rechtl. Vorschriften über Art u. Durchführung von Wahlen
● aktives \Wahlrecht das Recht, Abgeordnete zu wählen; allgemeines \Wahlrecht Wahlrecht, bei dem alle volljährigen u. voll handlungsfähigen Staatsbürger wahlberechtigt sind; geheimes \Wahlrecht Wahlrecht, bei dem die Stimmzettel verdeckt u. anonym abgegeben werden; gleiches \Wahlrecht Wahlrecht, bei dem alle abgegebenen Stimmen gleich bewertet werden; passives \Wahlrecht das Recht, sich als Abgeordneten wählen zu lassen; ungleiches \Wahlrecht Wahlrecht, bei dem die abgegebenen Stimmen unterschiedlich je nach Stand, Vermögen usw. bewertet werden; →a. Wahl

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Wahl|recht, das:
1. gesetzlich festgelegtes Recht einer Person zur Teilnahme an einer Wahl:
Frauen hatten dort kein W.;
aktives W. (Recht, bei einer Wahl 2 a zu wählen);
passives W. (Recht, sich bei einer Wahl 2 a wählen zu lassen);
sein W. ausüben, nutzen;
von seinem W. Gebrauch machen.
2. Gesamtheit aller rechtlichen Vorschriften zur Durchführung einer Wahl (2 a):
das W. reformieren.

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Wahlrecht,
 
im engeren Sinn die Befugnis, jemanden zu wählen (aktives Wahlrecht, Stimmrecht) sowie die Befähigung, in ein bestimmtes Amt oder Mandat (z. B. Staatspräsident, Abgeordneter, Bürgermeister u. Ä.) gewählt zu werden (passives Wahlrecht, Wählbarkeit); im weiteren Sinn die Gesamtheit der Vorschriften über die Wahl, deren Rechtsgrundlagen meist in den Verfassungen enthalten sind und deren Einzelheiten, besonders das Wahlverfahren, in Wahlgesetz und -ordnungen festgelegt sind.
 
Das Wahlrecht zu den politischen Organen eines Landes gehört als Ausdruck eines fundamentalen Rechts auf Teilhabe an der politischen Willensbildung zu den Bürgerrechten. Dem Wahlrecht als Berechtigung steht die in einigen Staaten bestehende Wahlpflicht gegenüber. Die Befugnis zur Wahl knüpft in der Regel an die Staatsbürgerschaft an. Im Rahmen der EG wurde durch den Vertrag von Maastricht vom 7. 2. 1992 in Art. 8 b Absatz 1 EG-Vertrag alter Fassung (nach dem Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 nunmehr Art. 19 Absatz 1 EG-Vertrag neuer Fassung) eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Diese sieht vor, dass jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament hat. Für das Kommunalwahlrecht ist dies durch Einfügung eines neuen Art. 28 Absatz 1 Satz 3 in das GG umgesetzt worden, der bestimmt, dass sich die Wahlberechtigung und Wählbarkeit nach EG-Recht richtet. Nähere Bestimmungen zum Kommunalwahlrecht für den EG-Bürger enthält die Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. 12. 1994. Bestrebungen, das Wahlrecht auch für andere Ausländer (besonders Türken), die ihren Wohnsitz und damit den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen im Gastland haben, zuzulassen, hatten in Deutschland bisher keinen Erfolg.
 
 Wahlsysteme
 
Das Wahlrecht kann allgemein oder beschränkt sein; es ist allgemein, wenn es allen Staatsbürgern von einem bestimmten Mindestalter an zusteht; beschränkt, wenn es den Angehörigen bestimmter Stände oder Klassen vorbehalten ist. Dabei galt im 19. Jahrhundert im Allgemeinen nur das Wahlrecht der Männer, erst im 20. Jahrhundert setzte sich fast überall das Frauenwahlrecht durch. Daneben gibt es gleiches oder ungleiches Wahlrecht; es ist gleich, wenn jeder Wähler über das gleiche Stimmgewicht verfügt; ungleich, wenn eine Abstufung der Stimmenzahl oder des Stimmgewichts nach Besitz, Steuerleistung, Alter, Familienstand u. a. stattfindet (Dreiklassenwahlrecht, Pluralwahlrecht). Das Wahlrecht kann öffentliche oder geheime, mittelbare oder unmittelbare Wahlen vorschreiben. Bei mittelbarer (indirekter) Wahl wählen die Urwähler nicht direkt die Abgeordneten, sondern Wahlmänner (Wahlpersonen), die ihrerseits die Abgeordneten bestimmen (in Preußen bis 1918, noch jetzt in den USA bei der Präsidenten-Wahl). Ferner regelt das Wahlrecht das Verfahren einer Wahl (Mehrheits- oder Verhältniswahl). Nach dem Grundsatz der Mehrheitswahl (Persönlichkeitswahl) ist gewählt, wer die Mehrheit der Stimmen im Wahlkreis erringt. Erforderlich ist bei absoluter Mehrheitswahl mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen; wird diese Mehrheit im ersten Wahlgang nicht erreicht, so findet entweder eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erzielt hatten (so in Frankreich), oder es wird ein zweiter Wahlgang durchgeführt, in dem beliebig viele, auch neue Kandidaten aufgestellt werden können. Bei relativer Mehrheitswahl ist von vornherein gewählt, wer die größte Stimmenzahl erreicht (so in Großbritannien). Bei der Verhältniswahl (Proportional-, Listenwahl) richtet sich die Zahl der von jeder Liste gewählten Abgeordneten danach, in welchem Verhältnis die für jede Liste abgegebenen Stimmen zur Zahl der insgesamt abgegebenen Stimmen stehen. Da die Mehrheitswahl dazu führt, dass die Stimmen der Minderheit unberücksichtigt bleiben, hat sich gegen sie der Einwand erhoben, dass sie gegen die (materielle) Wahlgleichheit verstoße, während die Verhältniswahl das höchstmögliche Maß an effektiver Wahlgleichheit verbürge. Der Gefahr der Stimmen- und Parteienzersplitterung bei der Verhältniswahl kann entgegengewirkt werden durch die Klausel, dass Mandate nur den Listen zugeteilt werden, die einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtstimmenzahl erreichen (z. B. die Fünfprozentklausel).
 
In Deutschland verlangt das GG, dass die Vertretungskörperschaften des Volkes in Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden nach den Prinzipien der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl gewählt werden (Art. 38 Absatz 1 und Art. 28 Absatz 1 GG). Für die Wahl zum Bundestag gelten das Bundeswahlgesetze in der Fassung vom 23. 7. 1993 und die Bundeswahlordnung in der Fassung vom 8. 3. 1994. Wahlberechtigt und wählbar ist jeder Deutsche, der das 18. Lebensjahr vollendet hat (Art. 38 Absatz 2 GG). Wählen darf nur, wer in der Wählerliste (Stimmliste) des Wahlbezirks eingetragen ist oder einen Wahlschein zur Briefwahl erhalten hat. Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine Zweitstimme für die einer Landesliste. Die sich ergebende Mandatsverteilung muss insgesamt grundsätzlich dem Verhältnis der auf die Landesliste entfallenen Stimmen entsprechen, sodass für die Sitzverteilung im Bundestag in der Regel die Zweitstimmen entscheidend sind. Erzielt eine Partei durch die Erststimmen mehr Direktmandate als ihr aufgrund der Zweitstimmen zustehen, kommt es zu Überhangmandaten. Die Zweitstimmen werden seit 1987 nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren ausgezählt. Die Verbindung von Persönlichkeitswahl, die in der Erststimme zum Ausdruck kommt, und der Verhältniswahl durch Listen heißt auch »personalisierte Verhältniswahl«.
 
Das Wahlergebnis kann zu einer Wahlprüfung führen. Diese obliegt bei Bundestagswahlen nach einer Vorprüfung durch einen Wahlprüfungsausschuss dem Bundestag gemäß Art. 41 Absatz 1 Grundgesetz. Gegen die Entscheidung des Parlaments ist Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht möglich (Art. 41 Absatz 2 GG). Eine Nachwahl findet statt, wenn in einem Wahlbezirk die Wahl nicht durchgeführt worden ist oder ein Wahlkreisbewerber nach Zulassung des Kreiswahlvorschlags, aber vor der Wahl, stirbt. Eine Wiederholungswahl ist durchzuführen, wenn bei der Wahlprüfung eine Wahl ganz oder zum Teil für ungültig erklärt wird. Eine Ersatzwahl findet statt, wenn ein Wahlkreisabgeordneter aus dem Bundestag ausscheidet und er für eine Partei gewählt war, für die keine Landesliste zugelassen war.
 
Manche Wahlgesetze (z. B. in Baden-Württemberg für Kommunalwahlen) erlauben dem Wähler eine stärkere Differenzierung seiner Präferenzen. Er kann z. B. so viele Stimmen haben, wie Abgeordnete zu wählen sind, und sie wenigstens zum Teil auf einen Bewerber häufen (kumulieren) oder, ohne an die Liste einer Partei gebunden zu sein, verschiedene Kandidaten berücksichtigen (panaschieren).
 
In Österreich wird der 183 Mitglieder umfassende Nationalrat in gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlen von den Staatsbürgern gewählt, die vor dem 1. 1. des Wahljahres das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für das passive Wahlrecht muss zum selben Stichtag das 19. Lebensjahr vollendet sein (Art. 26 Absätze 1 und 4 B-VG). Das Wahlverfahren regelt die Nationalrats-Wahlordnung 1992. Eine Wahlpflicht besteht nicht. Die W.-Grundsätze für die Nationalratswahl gelten auch für die Wahlen zu den Landtagen und Gemeinderäten. Dabei darf der Kreis der Wahlberechtigten nicht enger als bei der Nationalratswahl gezogen werden. Bei diesen Wahlen kann durch die jeweiligen Landesgesetze Wahlpflicht angeordnet werden.
 
In der Schweiz werden die Abgeordneten in die Bundesversammlung nach verschiedenen Verfahren gewählt. Die 200 Nationalräte, die im Verhältnis zur Bevölkerung auf die einzelnen Kantone verteilt werden (wobei jeder Kanton oder Halbkanton Anspruch auf mindestens einen Nationalrat hat), werden in den einzelnen Wahlkreisen nach dem Verhältniswahlverfahren (nach dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren) gewählt. Die Mandatsverteilung erfolgt aufgrund der Kandidatenstimmen, die jede Partei insgesamt erhält. Wahlberechtigt sind alle Schweizer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Die zwei Ständeräte pro Kanton (einer je Halbkanton) werden gemäß kantonalem Recht in der Regel nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt.
 
Literatur:
 
Europawahlgesetz - Europawahlordnung. Handkomm., bearb. v. E. Boettcher u. R. Högner (41994);
 
Landeswahl-Ges., Bezirkswahl-Ges., Landeswahlordnung. Handkomm., bearb. v. dens. (141994);
 W. Schreiber: Hb. des W. zum Dt. Bundestag (61998).
 

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Wahl|recht, das <o. Pl.>: 1. gesetzlich festgelegtes Recht einer Person zur Teilnahme an einer Wahl: Frauen hatten dort kein W.; aktives W. (Recht, bei einer ↑Wahl 2 a zu wählen); passives W. (Recht, sich bei einer ↑Wahl 2 a wählen zu lassen); sein W. ausüben, nutzen; von seinem W. Gebrauch machen. 2. Gesamtheit aller rechtlichen Vorschriften zur Durchführung einer ↑Wahl (2 a): das W. reformieren; Nach Bremer W. reicht das zum Einzug ins Landesparlament (FR 7. 6. 99, 1).

Universal-Lexikon. 2012.