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Industriedesign
In|dus|t|rie|de|sign, das:
Industrial Design.

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Industriedesign
 
[-dɪzaɪn], englisch Industrial Design [ɪn'dʌstrɪəl dɪ'zaɪn], Bezeichnung für eine den Erfordernissen der Massenproduktion angepasste Gestaltung von Gegenständen und Geräten aller Art. Das Bestimmungswort »Industrie...« ist heute insofern irreführend, als es nicht mehr auf die Organisationsform des Herstellers ankommt. Heute erstreckt sich das Aufgabengebiet des Industriedesigns von Bereichen wie Porzellan, Glas, Tafel- und Hausgerät, Textilien, Leder und Mode, Uhren und Schmuck, Verpackungen, spezifisch technischen Produkten des Maschinen-, Fahrzeug- und Flugzeugbaus, elektrische und elektronische Geräte, der Gestaltung des öffentlichen Bereichs (Public Design), der Gestaltung von Benutzeroberflächen bei Hard- und Software, dem Corporate Design (Corporate Identity) und dem Design-Management, bis hin zum Service-Design oder dem Design von Dienstleistungen.
 
Geschichte:
 
Die Entwicklung beginnt eigentlich schon in der Renaissance bei G. Vasari, wo der Begriff »Disegno«(Zeichnung oder Skizze aber auch die künstlerische Idee eines Werkes) erstmals auftritt. Das »Disegno interno« bedeutete das Konzept, das »Disegno esterno« das vollendete Kunstwerk selbst. Aus der Verbindung von Naturwissenschaft und Kunst entwickelte sich das Design. Deshalb kann schon Leonardo da Vinci als der erste Designer bezeichnet werden.
 
Mit den im Verlauf der Industrialisierung entstandenen arbeitsteiligen Prozessen, die zur Trennung von Entwurf, Konstruktion und Produktion führten, bildete sich der Beruf des Industriedesigners heraus. Am Beginn des modernen Industriedesigns standen in Großbritannien das Arts and Crafts Movement, in Deutschland die Künstler des Jugendstils, der Deutsche Werkbund und das Bauhaus. Wichtige Impulse erhielt das Industriedesign durch Architekten wie C. R. Mackintosh, P. Behrens, F. L. Wright, W. Gropius, A. Gaudí, L. Mies van der Rohe, Le Corbusier, A. Aalto, G. Ponti, M. Breuer und A. Jacobsen, die auch Möbel und Geräte entworfen haben. Gefördert wurde die Entwicklung des modernen Industriedesigns nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland besonders durch die an die Bauhausideen anknüpfende Hochschule für Gestaltung in Ulm (O. Aicher; M. Bill; G. Bonsiepe, * 1934; H. Gugelot; Herbert Lindinger, * 1933; Tomás Maldonado, * 1922; Walter Zeischegg, * 1917, ✝ 1983). Durch deren Zusammenarbeit mit der Braun AG (Dieter Rams, * 1932) entstanden richtungweisende Produkte (Rundfunk- und Fernsehgeräte, Küchenmaschinen, Rasierapparate), die den Begriff der »guten Form« begründeten. Der Rat für Formgebung erhielt die Aufgabe, vorbildliches Industriedesign zu fördern. In der DDR war die Hochschule für industrielle Formgestaltung (Burg Giebichenstein) in Halle (Saale), die heute unter dem Namen »Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design« weiter besteht, wichtigste Ausbildungsstätte für Industriedesigner. Die Hochschule, zu deren Lehrkörper zahlreiche ehemalige Bauhausstudenten gehörten, orientierte sich hinsichtlich des Grundstudiums am Bauhaus, wurde deswegen aber besonders in den 50er-Jahren (Formalismusdebatte) heftig angegriffen.
 
Bis in die 70er-Jahre war international die Auffassung dominierend, dass die ästhetische Gestalt eines Produkts von seiner Funktion und seinem Material her bestimmt sein soll (»form follows function«). Durch die wissenschaftstheoretische Fundierung einer disziplinären Designtheorie (»Theorie der Produktsprache«) wurde das Dogma der »guten Form« abgelöst. Die inhaltliche Begründung basierte jetzt weitgehend auf der Semiotik, deren Kategorien Syntax, Semantik und Pragmatik für das Industriedesign übernommen wurden. Insgesamt führte dies zur Konsolidierung des Industriedesigns als eigenständige Disziplin. In den 80er-Jahren machten sich zeitweilig eklektizistische und puristische Tendenzen (v. a. in Italien), auch Einflüsse der Popkultur geltend. Stilbildend wirkten die exzentrischen, metaphernbeladenen und oft historisierenden Möbel und Objekte von E. Sottsass, Alessandro Mendini (* 1931) und den Mailänder Gruppen »Alchimia« und »Memphis«. Ihre Arbeiten sind durch einen spielerischen Umgang mit Material, Form und Farbe gekennzeichnet. Erneut bestimmten Architekten das Industriedesign in seinen postmodernen Ausprägungen (M. Graves; H. Hollein; Charles Jencks, * 1939; R. A. M. Stern; R. Venturi). In Deutschland entstand dazu parallel das »Neue deutsche Design«, das sich insbesondere gegen das Konzept der »guten Form« auflehnte und hauptsächlich kunsthandwerkliche Einzelobjekte schuf (Gruppen »Bellefast«, »Kunstflug«, »Möbel perdue«, »Pentagon«, »Stiletto«). Einen Kontrast zu diesen Strömungen bildete die nach äußerster Formreduktion strebende Richtung des Minimalismus (M. Botta; Konstantin Grcic, * 1965; Jasper Morrison, * 1959; Gruppe »Zeus«). Bezeichnend für das Industriedesign der 80er-Jahre waren schnell wechselnde Trends und die Verwischung der Grenze zwischen Kunst und Design (documenta 8, 1987); zunehmend betätigten sich Künstler als Designer (R. Artschwager, D. Hockney, A. Jones, D. Judd, M. Merz, S. Wewerka). Im Übergang zu den 90er-Jahren trat die Bedeutung der Mikroelektronik in den Vordergrund des Industriedesigns, die Möglichkeit zur Miniaturisierung (v. a. auf dem Gebiet der Technik) eröffnete neue Formensprachen. Der Einsatz von CAD/CAM-Systemen ermöglicht den Übergang von der Massenproduktion zur computergestützten individualisierten Kleinserienfertigung. Wichtige Aufgabenfelder für das Industriedesign liegen derzeit in der interdisziplinären Bearbeitung (Design, Softwareergonomie, Medientheorie) von Softwareprodukten. Diese Entwicklung ist durch den Übergang vom Entwurf dreidimensionaler Produkte zum Design zweidimensionaler Interfaces (Schnittstelle) bestimmt (Interface-Design; Mensch-Maschine-Kommunikation).
 
Zu den international anerkannten Industriedesignern gehören Eileen Gray (* 1878, ✝ 1976), Walter Dorwin Teague (* 1883, ✝ 1960), Marcello Nozzoli (* 1887, ✝ 1969), G. Ponti, N. B. Geddes, R. Loewy, Henry Dreyfuss (* 1904, ✝ 1972), C. Eames, George Nelson (* 1908, ✝ 1986), Harry Bertoia (* 1915, ✝ 1978), Tapio Wirkala (* 1915, ✝ 1985), Marco Zanuso (* 1916), Achille Castiglioni (* 1918), Vico Magistretti (* 1920), Cini Boeri (* 1924), Verner Panton (* 1926), Gae Aulenti (* 1927), Luigi Colani (* 1928), Ingo Maurer (* 1932), Richard Sapper (* 1932), Shiro Kuramata (* 1934, ✝ 1991), Mario Bellini (* 1935), F. A. Porsche (* 1935), Gaetano Pesce (* 1936), Giorgetto Giugiaro (* 1938), Andrea Branzi (* 1938), Oscar Tusquets Blanca (* 1941), Alexander Neumeister (* 1941), Toshiyuki Kita (* 1942), Bill Moggridge (* 1943), Hartmut Esslinger (* 1944), Philippe Starck (* 1949), Borek Sipek (* 1949), Javier Mariscal (* 1950), Ron Arad (* 1951), Michele de Lucchi (* 1951), Matteo Thun (* 1952), Alfredo Arribas (* 1954). Über aktuelle Tendenzen des Industriedesigns berichten u. a. die regelmäßig erscheinenden internationalen Design-Jahrbücher, die Handbücher »Design-Innovationen« (herausgegeben vom Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen) und »if« (herausgegeben vom Industrie Design Forum Hannover) sowie zahlreiche Fachzeitschriften.
 
Literatur:
 
Avant-garde u. Industrie, hg. v. S. von Moos u. a. (Delft 1983);
 
Design der Zukunft, hg. v. L. Burckhardt (1987);
 
Design heute, hg. v. V. Fischer (1988);
 H. Hirdina: Gestalten für die Serie. Design in der DDR 1949-1985 (1988);
 D. A. Norman: Dinge des Alltags (a. d. Engl., 1989);
 J. Baudrillard: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltägl. Gegenständen (a. d. Frz., 1991);
 V. Albus u. C. Borngräber: Design-Bilanz. Neues Deutsches Design der 80er Jahre in Objekten, Bildern, Daten u. Texten (1992);
 
Industriekultur - I., bearb. v. C. Marquart (1993, dt. u. engl.);
 B. E. Bürdek: Design. Gesch., Theorie u. Praxis der Produktgestaltung (21994);
 T. Hauffe: Design (1995);
 
Jap. Design seit 1950, bearb. v. K. B. Hiesinger u. F. Fischer, Ausst.-Kat. Kunsthalle Düsseldorf (1995);
 G. Selle: Gesch. des Designs in Dtl. (21997).

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Universal-Lexikon. 2012.