Freud,
1) Anna, britische Psychoanalytikerin österreichischer Herkunft, * Wien 3. 12. 1895, ✝ London 9. 10. 1982, jüngste Tochter von 3); seit ihrer Emigration 1938 vorwiegend in Großbritannien tätig; gründete und leitete ein kinderanalytisches Ausbildungs- (1947) und Behandlungszentrum (1952; Hampstead Child-Therapy Course and Clinic) in London. Freud gilt als Begründerin der Kinderpsychoanalyse. Sie arbeitete auch die Theorie der Abwehrmechanismen aus, in der sie die unbewussten Mechanismen (z. B. Verleugnung) aufzeigt, die das Ich zur Abwehr innerer Konflikte wählt. Sie gab 1966-73 die Werke ihres Vaters heraus.
Werke: Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936); Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung (1968).
Ausgabe: Die Schriften, 10 Bände (Neuausgabe 1987).
U. H. Peters: A. F. Ein Leben für das Kind (1979).
2) Lucian, britischer Maler, * Berlin 8. 12. 1922, Enkel von 3); lebt seit 1932 in England. Porträts und Akte, (Stadt-)Landschaften und Blumenstillleben führte er anfangs mit großer technischer Präzision im Stil des magischen Realismus aus. Gegen Ende der 50er-Jahre ging er zu einem zunehmend pastosen Farbauftrag mit grobem Pinselstrich über und entwickelte eine kraftvolle figürliche Malerei, die den nackten Menschen in den Mittelpunkt der Gestaltung stellt.
L. Gowing: L. F. (London 1982);
L. F. Retrospektive, Ausst.-Kat. (Berlin 1988);
3) Sigmund, österreichischer Nervenarzt, * Freiberg (heute Příbor, Nordmährisches Gebiet) 6. 5. 1856, ✝ London 23. 9. 1939, Vater von 1); Schüler des Physiologen E. Brücke und des Hirnpathologen Theodor Hermann Meynerth (* 1833, ✝ 1892); begründete die Psychoanalyse als psychotherapeutisches Verfahren sowie als Erklärungsmodell für das gestörte und das normale Seelenleben. Freud war als Dozent (seit 1885) für Neuropathologie, seit 1902 als Professor in Wien tätig und eröffnete dort eine psychiatrische Praxis. 1938 emigrierte er als Jude nach London.
Freud betrieb zuerst hirnanatomische Forschungen und entdeckte vor K. Koller die schmerzbetäubende Wirkung des Kokains. Bei J. M. Charcot in Paris und Hippolyte M. Bernheim (* 1837, ✝ 1919) in Nancy studierte er seelische Erkrankungen ohne organischen Befund (Hysterien) und deren Behandlungsversuche durch Suggestion und Hypnose. In anfänglicher Zusammenarbeit mit J. Breuer (»Studien über Hysterie«, 1895, zusammen mit demselben) entwickelte er die kathartische Methode zur Abreaktion (abreagieren) verdrängter traumatischer Erfahrungen (Trauma), die er als die Ursache seelischer Störungen erkannte. Das gesamte psychische Geschehen sah Freud von Triebenergien bestimmt, wobei Triebwünsche, v. a. sexueller Art, aus der seelischen Schicht des Unbewussten auf Befriedigung zielen und der psychische Organismus zugleich, in Reaktion auf Reize von außen und von innen, nach Anpassung, Spannungsausgleich und Vermeidung von Unlust strebt. Der Libido (sexuelle Triebkraft) als Hauptantrieb menschlichen Verhaltens stellte Freud später (»Jenseits des Lustprinzips«, 1920) den Todes- oder Destruktionstrieb als Antagonisten zur Seite. Diese Antriebe entstammen nach Freud dem Unbewussten. Andererseits sehe sich das Ich den Forderungen, Normen und Tabus der Gesellschaft gegenüber, die es schon frühzeitig in sich aufnehme (introjiziere) und als eigene Zensurinstanz (z. B. Gewissen) erlebe. Dabei stieß Freud auf die Bedeutung der frühkindlichen psychosexuellen Entwicklungsstadien (orale, anale, phallische und genitale Phase) und die Rolle des Ödipuskomplexes. Den psychischen Organismus (»psychischen Apparat«) gliederte er strukturell (u. a. »Das Ich und das Es«, 1923) in das Es (Unbewusstes), das Ich (dem Bewusstsein verbundene Vermittlungsinstanz zwischen den Forderungen des Es und denen der Außenwelt), das Über-Ich (introjizierte Verhaltensmuster, Forderungen und Normen, zum Teil nicht bewusste Inhalte). Kulturelle Leistungen führte Freud auf Umwandlungen (Sublimierung) des Sexualtriebes zurück.
Freud hat mit seiner Lehre weltweiten Einfluss auf die Entwicklung der psychotherapeutischen Behandlung und der psychosomatischen Auffassungen von Krankheitserscheinungen gewonnen (v. a. »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse«, 3 Teile 1916-17). Von den hypnotisch-suggestiven Mitteln immer mehr abgehend, bediente er sich bei der Behandlung seiner Patienten der Technik der »freien Assoziation« (der Patient äußert spontan und ohne Auswahl, was ihm zu einem gegebenen Thema, z. B. einem Erlebnis, einfällt) sowie der Analyse von Fehlhandlungen und Träumen, durch die unbewusste Wünsche, Gedanken und Konflikte in verschlüsselter Form zutage treten. Freuds analytische Methode führte zu völlig neuen Einsichten in die Triebdynamik und einer eigenen Theorie über die Entstehung der Neurosen.
Die Bedeutung Freuds liegt v. a. in der bahnbrechenden Fortentwicklung der vorangegangenen Psychologie durch die zentrale Rolle, die er seelischen Vorgängen zuschrieb, und die Einbeziehung des Unbewussten in die Forschung, die er in einer großen Reihe schriftstellerisch glänzender Arbeiten vertrat. Nach und nach beschäftigte er sich, ausgehend von seiner psychoanalytischen Theorie, mit vielen weiteren Gebieten: so neben der Psychologie des Alltagslebens mit den Fehlhandlungen (»Zur Psychopathologie des Alltagslebens«, 1901), den Träumen (»Die Traumdeutung«, 1900), der Völkerkunde und -psychologie (»Totem und Tabu«, 1913), der Religionswissenschaft und Mythologie (»Der Mann Moses und die monotheistische Religion«, 1939), mit soziologischen (»Das Unbehagen in der Kultur«, 1930), ästhetischen und zeitkritischen (»Warum Krieg?«, 1933, zusammen mit A. Einstein) Problemen.
Freuds Lehre, die besonders hinsichtlich der Sexualtheorie immer wieder kontrovers diskutiert wurde, hatte weltweit beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung nicht nur der Psychologie und Medizin, sondern auch der Anthropologie, Philosophie, Kunst und Literatur.
Ausgaben: Studienausgabe, herausgegeben von A. Mitscherlich und anderen, 10 Bände und Ergänzungsband (1969-75); Gesammelte Werke, herausgegeben von A. Freud, 18 Bände und Nachtragsband (1-91976-93).
Briefe 1873-1939, herausgegeben von E. L. Freud (31980); Briefe 1907-26, herausgegeben von H. C. Abraham (u. a. 21980); S. Freud und L. Andreas-Salomé, Briefwechsel, herausgegeben von E. Pfeiffer u. a. (Neuausgabe 1980).
S.-Freud-Konkordanz und -Gesamtbibliographie, herausgegeben von I. Meyer-Palmedo (31980).
L. Binswanger: Erinnerungen an S. F. (Bern 1956);
E. Jones: Das Leben u. Werk von S. F., 3 Bde. (a. d. Engl., Bern 1960-62);
D. Wyss: Marx u. Freud (1969);
W. Salber: Entwicklungen der Psychologie S. F.s, 3 Bde. (1973-74);
I. Reik: Dreißig Jahre mit S. F. (a. d. Amerikan., 1976);
G. Bally: Einf. in die Psychoanalyse S. F.s (85.-87. Tsd. 1979);
H. Dahmer: Libido u. Gesellschaft (21982);
L. Marcuse: S. F. (Neuausg. 1982);
A. Schöpf: S. F. (1982);
R. W. Clark: S. F. (a. d. Engl., Neuausg. 1985);
H. Schott: Zauberspiegel der Seele. S. F. u. die Gesch. der Selbstanalyse (1985);
E. Fromm: S. F.s Psychoanalyse (a. d. Amerikan., 41986);
H.-M. Lohmann: F. zur Einf. (1986);
L. Flem: Der Mann F. (a. d. Frz., 1993);
O. Mannoni: S. F. (a. d. Frz., 118.—121. Tsd. 1994).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Unbewusstes und Überbewusstes
Universal-Lexikon. 2012.