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Nationale Volksarmee
Nationale Volks|armee,
 
Abkürzung NVA, Bezeichnung für die Streitkräfte der DDR. Nach Gründung des Warschauer Paktes (14. 5. 1955 und Beendigung des sowjetischen Besatzungsregimes in der DDR (20. 9. 1955 wurde die NVA am 18. 1. 1956 gemäß dem »Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung« gegründet; staatsrechtliche Grundlage bildete die von der Volkskammer am 26. 9. 1955 beschlossene Ergänzung der Art. 5 und 112 der Verfassung der DDR vom 7. 10. 1949. Gleichzeitig wurde die Kasernierte Volkspolizei (KVP) in NVA umbenannt. Am 28. 1. 1956 beschloss der Politische Beratende Ausschuss des Warschauer Paktes, nach Schaffung der NVA deren Kontingente in die Vereinigten Streitkräfte einzubeziehen. Die Aufstellung der NVA begann am 10. 2. 1956, bereits am 1. 3. 1956 erfolgte offiziell die Formierung der ersten Einheiten. Die angestrebte Stärke von 120 000 Mann wurde Mitte 1956 auf 90 000 Mann verringert, da sich zu wenige Freiwillige meldeten. Am 24. 1. 1962 wurde die allgemeine Wehrpflicht (für Männer vom 18. bis zum 50. Lebensjahr) eingeführt (Grundwehrdienstzeit 18 Monate). Für Frauen sah das Wehrpflichtgesetz die allgemeine Wehrpflicht (vom 18. bis zum 50. Lebensjahr) im Fall der Mobilmachung vor. Seit 1970 war für Jugendliche eine vormilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik verpflichtend, ergänzt 1978 durch Wehrkunde in den 9. und 10. Klassen der polytechnischen Oberschulen. Kriegsdienstverweigerung war in der DDR grundsätzlich nicht möglich, jedoch konnten Wehrpflichtige in Einzelfällen (aus religiösen oder ähnlichen Gründen) als »Bausoldaten« waffenlosen Wehrersatzdienst in Baueinheiten der NVA leisten.
 
Die NVA war von Anfang an - als einzige nationale Streitkraft im Warschauer Pakt - dessen Vereinigtem Oberkommando bereits im Frieden mit allen Truppenteilen unterstellt. Oberste nationale militärische Führungs- und Verwaltungsbehörde war das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV), weisungsbefugte höhere staatliche Institution der Staatsrat sowie der Nationale Verteidigungsrat der DDR. Kennzeichnend für die NVA war die enge Verbindung mit der SED; so wirkten z. B. auf allen Führungsebenen Politoffiziere.
 
 Gliederung und Ausrüstung
 
Anfang 1989 betrug die Gesamtstärke der NVA 173 100 Mann, darunter 92 500 Wehrpflichtige, sowie 323 500 Reservisten. Die Landstreitkräfte (120 000 Soldaten) waren im Wesentlichen in zwei Panzer- und vier motorisierte Schützendivisionen gegliedert, im Kriegsfall war die Mobilisierung fünf weiterer motorisierter Schützendivisionen vorgesehen. Die Bewaffnung der Heerestruppen umfasste u. a. 3 140 Kampfpanzer, 4 350 gepanzerte Mannschaftstransportwagen und 1 000 Schützenpanzer.
 
Die Luftstreitkräfte (37 100 Soldaten) umfassten zwei Luftwaffendivisionen mit zusammen zwei Jagdbomber- und sechs Jagdregimentern sowie sieben Flugabwehrregimentern. Die Ausrüstung bestand u. a. aus etwa 400 Kampfflugzeugen und 100 Kampfhubschraubern.
 
Die Volksmarine (16 000 Soldaten) hatte drei Fregatten der Rostock-Klasse (sowjetischer Typ Koni), 16 große Korvetten der Parchim-Klasse, fünf Korvetten der sowjetischen Tarantul-I-Klasse, 13 Flugkörperschnellboote und 20 kleinere Torpedoschnellboote.
 
Von Bedeutung waren die ebenfalls zu den bewaffneten Organen der DDR gehörenden paramilitärischen Truppen: die Grenztruppen der DDR; die Kräfte der Zivilverteidigung (15 000 Aktive); das dem Ministerium für Staatssicherheit unterstehende Wachregiment »Feliks Dzierzynski« in Berlin (etwa 7 000 Mann); unter der Verantwortung des Ministeriums des Innern die Transportpolizei (8 500 Mann); die Volkspolizei (12 000 Mann) und die Kampfgruppen.
 
Im Frühjahr 1989 begann die NVA mit der Reduzierung ihrer Truppenstärke um 10 000 Mann, bis zum Herbst wurden ein Fliegerregiment mit 50 MiG-21 sowie sechs Panzerregimenter mit rd. 600 Kampfpanzern aufgelöst.
 
 Die Entwicklung seit Herbst 1989
 
Die politischen Umwälzungen im Herbst 1989 in der DDR lösten die Außerkraftsetzung oder Änderung verschiedener Verordnungen und Bestimmungen aus (u. a. Verkürzung des Wehrdienstes auf 12 Monate ab 1. 1. 1990, neuer Diensteid). Mit Wirkung vom 3. 10. 1990 hatte die NVA als eigenständige Streitkraft zu bestehen aufgehört; dieser Tag war zugleich der Beginn der gesamtdeutschen Bundeswehr. Die noch existierenden Einheiten, Verbände und Dienststellen der NVA wurden bis auf einige Ausnahmen mit der Absicht der vorläufigen oder längerfristigen Übernahme im Rahmen der Bundeswehr »reaktiviert«. Die herausragenden Repräsentanten der NVA waren bereits entlassen worden, weitere rd. 7 000 Berufssoldaten schieden freiwillig aus dem Dienst aus, Generale und Admirale, Berufssoldaten über 55 Jahre, Politoffiziere und Soldaten der Militärstaatsanwaltschaft und Militärgerichte wurden nicht in die Bundeswehr übernommen. Die noch etwa 6 000 Berufssoldaten der Grenztruppen und der Zivilverteidigung erhielten einen befristeten besonderen zivilen Status. Die Bundeswehr übernahm die Verantwortung für die verbliebenen rd. 40 000 Wehrpflichtigen und 50 000 Zeit- und Berufssoldaten sowie etwa 48 000 Zivilangestellten. Im Rahmen einer bedarfsgerechten Auswahl des militärischen Personals wurden etwa 3 000 Offiziere und 7 600 Unteroffiziere in weiterführende Dienstverhältnisse übernommen. Soldaten, die nicht übernommen wurden, konnten mithilfe des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr für eine neue berufliche Zukunft qualifiziert werden. Von den Zivilangestellten wurden etwa 21 000 weiterbeschäftigt.
 
Gleichzeitig übernahm die Bundeswehr aus den Beständen der NVA und anderer paramilitärischer Einheiten zur Verwertung beziehungsweise Vernichtung, die im November 1997 abgeschlossen werden konnte, 767 Flugzeuge und Hubschrauber (darunter 368 Kampfflugzeuge), 12 228 gepanzerte Fahrzeuge (davon 2 761 Kampfpanzer), 2 199 Artilleriewaffen, 208 Schiffe und Boote (davon 82 Kriegsschiffe), rd. 133 900 Radfahrzeuge, rd. 1,34 Mio. Handfeuerwaffen, rd. 14 335 t Raketentreibstoffe und Reinigungsmittel, rd. 19 087 t Bekleidung und persönliche Ausrüstung sowie rd. 303 690 t Munition. Kriegswaffen, sonstige Waffen und Munition wurden überwiegend zerstört; ein Teil des Materials wurde verkauft. Von den circa 2 300 militärischen Liegenschaften werden etwa 25 % durch die Bundeswehr weiter genutzt.
 
Literatur:
 
V. Koop: Abgewickelt? Auf den Spuren der N. V. (1995);
 
NVA. Anspruch u. Wirklichkeit, hg. v. K. Naumann (21996);
 
Im Dienste der Partei. Hb. der bewaffneten Organe der DDR, hg. v. T. Diedrich,H. Ehlert u. R. Wenzke (1998);
 T. Diedrich u. R. Wenzke: Die getarnte Armee. Gesch. der Kasernierten Volkspolizei 1952-1956 (2001);
 S. Fingerle: Waffen in Arbeiterhand? Die Rekrutierung des Offizierskorps der N. V. (2001).

Universal-Lexikon. 2012.