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Disziplinarrecht
Dis|zi|pli|nar|recht 〈n. 11; unz.〉 Recht, das Dienstvergehen u. Disziplinarmaßnahmen regelt
Die Buchstabenfolge dis|zi|pl... kann in Fremdwörtern auch dis|zip|l... getrennt werden.

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Dis|zi|p|li|nar|recht, das:
1. <o. Pl.> Teil des Beamtenrechts, das die Rechtsvorschriften enthält, nach denen dienstliche Verfehlungen von Beamten geahndet werden.
2. Berechtigung, das Disziplinarrecht (1) auszuüben.

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Disziplinarrecht,
 
in Deutschland die Gesamtheit der Bestimmungen über Inhalt und Behandlung von Dienstvergehen der Beamten, Soldaten und Richter. Anders als das Strafrecht bezweckt es nicht Sühne für begangenes Unrecht, sondern die Wahrung der Reinheit des Amtes im Sinne eines durch Leistung, Loyalität und Integrität bestimmten Dienstverhältnisses im Interesse von Funktionstüchtigkeit und Ansehen des öffentlichen Dienstes. Neben der Aufrechterhaltung der Disziplin sowie der Entfernung unwürdiger Personen aus dem Dienstverhältnis dient es dem Schutz der Beamten, indem es deren Rechtsstellung durch die förmliche Ausgestaltung des Verfahrens und die Einrichtung besonderer Disziplinargerichte festigt. Um den Unterschied zu den Kriminalstrafen deutlich zu machen, wird die früher übliche Bezeichnung »Dienststrafrecht« heute weitgehend vermieden. Der Begriff »Disziplinarstrafen« wurde im Bereich des Bundes durch den der Disziplinarmaßnahmen ersetzt. Das Disziplinarrecht ist für Bundesbeamte im Bundesbeamtengesetz (BBG) in der Fassung vom 27. 2. 1985 und in der Bundesdisziplinarordnung (BDO) in der Fassung vom 20. 7. 1967 (jeweils mit späteren Änderungen) geregelt. Für Landes- und Kommunalbeamte sind die Beamtengesetze der Länder und die Landesdisziplinarordnungen maßgeblich, die inhaltlich im Wesentlichen mit dem Bundesrecht korrespondieren. Für Richter gelten das Deutsche Richtergesetz in der Fassung vom 19. 4. 1972 (mit späteren Änderungen) sowie die Landesrichtergesetze, jeweils in Verbindung mit den Disziplinarordnungen. Inhalt des formellen Disziplinarrechts ist die Regelung des Aufbaus, der Zuständigkeit und der Befugnisse der im Disziplinarrecht vorgesehenen Stellen sowie die Regelung des Disziplinarverfahrens. Das materielle Disziplinarrecht enthält die Disziplinartatbestände und -maßnahmen. Materiellrechtlich setzt das Disziplinarrecht ein Dienstvergehen voraus. Dies liegt vor, wenn der Beamte schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Was Dienstpflichten sind, ergibt sich aus den bundes- und landesgesetzlichen Beamtengesetzen, einschlägigen Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und Übungen. Ein Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes ist ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Kein Dienstvergehen sind mangelnde Eignung oder mangelnde Bewährung (so das Bundesverwaltungsgericht). Auch ein Ruhestandsbeamter kann wegen bestimmter Ruhestandsverfehlungen disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Erfüllt eine Dienstpflichtverletzung zugleich einen Straftatbestand und wird der Beamte von einem ordentlichen Strafgericht nach dem in der Strafprozessordnung geregelten Verfahren abgeurteilt, so kann wegen des unterschiedlichen Zwecks der Verfahren daneben eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden. Wegen desselben Sachverhalts dürfen bestimmte gravierende Disziplinarmaßnahmen (Geldbuße u. a.) nur verhängt werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Betroffenen zur Pflichterfüllung zu mahnen (z. B. bei Trunkenheitsfahrt eines Kraftfahrers) und um das Ansehen des Beamtentums zu wahren. Eine bereits verhängte Disziplinarmaßnahme ist bei der Strafzumessung im Strafverfahren zu berücksichtigen (so das Bundesverfassungsgericht). Für die Dauer des schwebenden Strafverfahrens ist das Disziplinarverfahren auszusetzen; hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen ist das Disziplinargericht an Urteile in Straf- und Bußgeldverfahren gebunden.
 
Disziplinarmaßnahmen sind (§§ 5 ff. BDO): Verweis (Tadel eines bestimmten Verhaltens), Geldbuße (bis zur Höhe eines Monatsgehalts), Gehaltskürzung (höchstens 1/5 der Dienstbezüge, längstens fünf Jahre, verbunden mit einer Beförderungssperre), Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (Degradation), Entfernung aus dem Dienst (Dienstentfernung), Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts. Bei Ruhestandsbeamten sind nur Kürzung und Aberkennung des Ruhegehalts, bei Beamten auf Probe oder auf Widerruf nur Verweis und Geldbuße zulässig. Verweis und Geldbuße stehen bei Bewährung einer Beförderung des Beamten nicht entgegen. Zum Teil sehen die Landesdisziplinarordnungen weitere Maßnahmen vor (z. B. Warnung). Ob wegen eines Dienstvergehens disziplinarrechtlich einzuschreiten ist, bestimmen der Dienstvorgesetzte und die Einleitungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Opportunitätsprinzip) unter Würdigung der Tat, der Persönlichkeit des Beamten sowie seines gesamten Verhaltens. Für geringere Vergehen gilt eine Verjährungsfrist von zwei beziehungsweise drei Jahren.
 
Das Disziplinarrecht für Soldaten ist im Soldatengesetz (SG) in der Fassung vom 19. 8. 1975, der Wehrdisziplinarordnung (WDO) in der Fassung vom 4. 9. 1972 und der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) in der Fassung vom 11. 9. 1972 (jeweils mit späteren Änderungen) enthalten und vom Wehrstrafrecht zu unterscheiden. Die WDO regelt sowohl die Würdigung besonderer Leistungen durch förmliche Anerkennung (§§ 3-6) als auch die Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen. Der Soldat begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft seine insbesondere im Soldatengesetz (§§ 7 ff.) festgelegten Pflichten verletzt. Auch Reservisten können sich bestimmter Dienstvergehen schuldig machen (z. B. Verletzung der Schweigepflicht, § 23 SG). Der zuständige Disziplinarvorgesetzte (Kompaniechef, Bataillonskommandeur u. a., Bundesminister der Verteidigung) entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten ist. Will der Disziplinarvorgesetzte Disziplinarmaßnahmen aussprechen, ist die Vertrauensperson vor der Entscheidung zur Person des Soldaten, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß anzuhören. Der Disziplinarvorgesetzte kann einfache Disziplinarmaßnahmen (Verweis, strenger Verweis, Disziplinarbuße, Ausgangsbeschränkung, Disziplinararrest von drei Tagen bis drei Wochen) verhängen; unter bestimmten Voraussetzungen können Disziplinarmaßnahmen auch nebeneinander verhängt werden (§ 18 WDO). Eine einfache Disziplinarmaßnahme steht der Beförderung eines im Übrigen bewährten Soldaten nicht entgegen. Keine Disziplinarmaßnahmen sind die »erzieherischen Maßnahmen« wie Belehrung, Ermahnung, Beseitigung von Erziehungs- und Ausbildungsmängeln. Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Disziplinararrest darf erst nach Zustimmung des Richters des zuständigen Truppendienstgerichts verhängt werden. Sind seit einem Dienstvergehen sechs Monate verstrichen, darf eine einfache Disziplinarmaßnahme nicht mehr verhängt werden. Schwere Disziplinarmaßnahmen, nämlich Gehaltskürzung, Beförderungsverbot, Dienstgradherabsetzung (Degradation), Entfernung aus dem Dienstverhältnis (Dienstentfernung), Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts können nur in einem disziplinargerichtlichen Verfahren verhängt werden (Disziplinarverfahren) und sind zum Teil (Gehaltskürzung, Beförderungsverbot und Dienstentfernung) auf Berufs- und Zeitsoldaten beschränkt (§ 54 Absatz 3 SG). Förmliche Anerkennungen und Disziplinarmaßnahmen werden in Disziplinarbüchern vermerkt.
 
Einem Disziplinarrecht eigener Art unterliegen auch die Angehörigen bestimmter freier Berufe (Berufsgerichte). Zum Disziplinarrecht i. w. S. gehören ferner die disziplinarrechtlichen Regeln in besonderen Gewaltverhältnissen (z. B. Hochschuldisziplinarrecht).
 
In Österreich ist das Disziplinarrecht für Bundesbeamte im Beamten-Dienstrechtsgesetz vom 27. 6. 1979 (v. a. §§ 91 ff.) verankert. Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist zur Verantwortung zu ziehen. Disziplinarstrafen sind Verweis, Geldbuße (bis zur Höhe eines halben Monatsbezugs), Geldstrafe (bis zu fünf Monatsbezügen), Entlassung. Das Strafmaß richtet sich nach der Schwere des Vorwurfs; sinngemäß gelten die Regeln des StGB für die Strafbemessung. Die Möglichkeit, eine Dienstpflichtverletzung zu ahnden, unterliegt der Verjährung (innerhalb von drei Jahren ab Beendigung der Verletzungshandlung; die Frist kann unter besonderen Voraussetzungen um sechs Monate verlängert werden). Wurde der Beamte wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Pflichtverletzung in der Verwirklichung des Straftatbestandes, kann unter bestimmten Voraussetzungen von der disziplinarrechtlichen Bestrafung abgesehen werden. Die Disziplinarbehörde ist an die Tatsachenfeststellung des Strafgerichts gebunden. Disziplinarbehörden sind: Dienstbehörde, Disziplinarkommission, Disziplinaroberkommission. - Das Disziplinarrecht der Richter ist in den §§ 101 ff. Richterdienstgesetz (RDG) 1961 geregelt. Disziplinarstrafen können nur vom Disziplinargericht (OLG oder Oberster Gerichtshof) nach vorangegangener mündlicher Verhandlung durch Erkenntnis verhängt werden.
 
Für Soldaten, Wehrpflichtige der Reserve und Berufsmilitärpersonen des Ruhestands gilt das Heeresdisziplinargesetz (HDG) 1985. Pflichtverletzung im Sinne des HDG ist insbesondere die Verletzung der durch das Wehrgesetz 1990 auferlegten Pflichten. Disziplinarbehörden sind die Einheitskommandanten, die Disziplinarvorgesetzten, die Haftprüfungsorgane und die Disziplinarkommissionen (§ 12 HDG). Die Strafarten sind für jede der genannten Gruppen verschieden. Für Soldaten, die nicht den Grundwehrdienst leisten, sieht § 48 HDG den Verweis, die Geldbuße, die Geldstrafe und für Soldaten im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis die Entlassung, bei anderen die Unfähigkeit zur Beförderung und die Degradierung vor.
 
Beim Disziplinarrecht der Schweiz ist zwischen den auf Bundesbeamte und den auf Kantonal- beziehungsweise Gemeindebeamte anwendbaren Bestimmungen zu unterscheiden. Auf Bundesebene sind dabei die Art. 30 ff. Beamtengesetz (BtG) vom 30. 6. 1927 maßgebend. Im Gegensatz zu Deutschland sind besondere Disziplinargerichte weitgehend unbekannt; wo Disziplinarmaßnahmen gerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können (auf Bundesebene bei einschneidenden Disziplinarmaßnahmen), findet diese rechtliche Kontrolle im Rahmen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit statt. Auch nach schweizerischem Disziplinarrecht können Disziplinarmaßnahmen nur bei schuldhafter Pflichtverletzung verhängt werden. Das Disziplinarrecht tritt neben das Strafrecht, weshalb ein strafrechtlich relevantes Verhalten auch disziplinarische Folgen haben kann (nicht aber haben muss), wie umgekehrt ein strafrechtlicher Freispruch disziplinarische Maßnahmen nicht ausschließt. Das BtG sieht einen Katalog von neun einzeln und abschließend aufgezählten Disziplinarmaßnahmen vor, die ausnahmsweise miteinander verbunden werden können; die mildeste ist der Verweis, die strengste bildet die disziplinarische Entlassung. Die kantonalen und kommunalen Dienstordnungen sind in den Grundzügen ähnlich ausgestaltet. Wesentlich für das Verständnis des schweizerischen Disziplinarrechts ist sodann die Tatsache, dass die Schweiz im Gegensatz zu Deutschland die Institution des Berufsbeamtentums nicht kennt. Periodisch stattfindende Wiederwahlen geben den Wahlbehörden (und teilweise dem Volk) Gelegenheit, das Dienstverhältnis der Beamten zu überprüfen, weshalb Nichtwiederwahlen aus Gründen möglich sind, die für sich allein eine disziplinarische Entlassung nicht gerechtfertigt hätten.
 
Der militärische Bereich des Disziplinarrechts ist durch die Disziplinarstrafordnung geregelt, die Teil des Militärstrafgesetzes (MStG) vom 13. 6. 1927 (mit Änderungen) ist. Für denjenigen, der dem Militärstrafgesetz untersteht, sind die Vorschriften der genannten Disziplinarstrafordnung anwendbar. Die möglichen Disziplinarmaßnahmen, die hier noch immer als Disziplinarstrafen bezeichnet werden, sind einzeln und abschließend im MStG aufgeführt; sie reichen vom einfachen Verweis über Geldstrafen bis zu 20 Tagen Arrest.
 
Literatur:
 
Beamten- u. D., begr. v. H. Havers u. a., fortges. v. G. Schnupp (71990);
 T. Stiller: D. des Bundes u. der Länder (1991);
 
D., Strafrecht, Beschwerderecht der Bundeswehr, hg. v. K. H. Schnell (131993);
 
Bundesdisziplinarordnung. Hand-Komm. unter Berücksichtigung des materiellen D., bearb. v. H. R. Claussen u. a. (81996).

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Dis|zi|pli|nar|recht, das <o. Pl.>: Teil des Beamtenrechts, das die Rechtsvorschriften enthält, nach denen dienstliche Verfehlungen von Beamten geahndet werden.

Universal-Lexikon. 2012.