Straf|recht 〈n. 11; unz.〉
1. Rechtsprechung im Strafprozess
2. Gesamtheit der Rechtsvorschriften für den Strafprozess; Ggs Zivilrecht
3. Strafgewalt
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Straf|recht, das <Pl. selten>:
Gesamtheit der Rechtsnormen, die bestimmte, für das gesellschaftliche Zusammenleben als schädlich angesehene Handlungen unter Strafe stellen u. die Höhe der jeweiligen Strafe bestimmen.
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Strafrecht,
Kriminalrecht, früher peinliches Recht, der Teil der Rechtsordnung, der die Merkmale des verbrecherischen Handelns festlegt und an sie Strafe oder Maßregeln der Besserung und Sicherung als Rechtsfolgen knüpft. Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Nicht zum Strafrecht im engeren Sinn gehört das Recht der nichtkriminellen Sanktionen (z. B. Geldbußen, Disziplinarmaßnahmen). Das Strafrecht ist heute in den meisten Staaten in einem Strafgesetzbuch und durch strafrechtliche Nebengesetze geregelt. Den Inhalt der strafrechtlichen Regeln in ihrem inneren Zusammehang zu entwickeln und zu deuten, ist Aufgabe der Strafrechtswissenschaft.
Das internationale Strafrecht grenzt den Geltungsbereich der nationalen Strafgesetze gegen das Ausland ab. Nach dem deutschen StGB gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Inland begangen wurden (Territorialitätsprinzip, § 3), für Auslandstaten auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen, ferner auch für Taten im Ausland gegen bestimmte inländische Rechtsgüter (Schutzprinzip, § 5), gegen international geschützte Rechtsgüter (Weltrechtsprinzip, § 6), ferner bei Taten im Ausland gegen Deutsche (passives Personalitätsprinzip, § 7 Absatz 1) sowie von Deutschen und Ausländern, die nicht ausgeliefert werden (Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege, § 7 Absatz 2).
Zum römischen Strafrecht römisches Recht.
Im germanischen Stammesrecht, das vielfach durch religiös-sakrale Vorstellungen bestimmt wurde, waren der Verletzte oder seine Sippe zur privaten Rache an dem Täter berechtigt und verpflichtet (Blutrache, Fehde). In der weiteren Entwicklung wurde die private Rache durch öffentliche Strafen und öffentliche Verbrechensverfolgung allmählich zurückgedrängt. Diese Entwicklung begann besonders mit dem Erstarken der Staatsgewalt im Fränkischen Reich, die auch die Ablösung der Blutrache durch Sühnezahlung (Wergeld) begünstigte. Das spätere Mittelalter verschärfte das nun überwiegend staatliche Strafensystem. Das kirchliche Strafrecht entwickelte sich in Anlehnung an das römische Recht weiter, das weltliche Strafrecht blieb in Deutschland (»Sachsenspiegel« und »Schwabenspiegel«, Stadtrechte) uneinheitlich und ohne wissenschaftliche Durchdringung. Neue Impulse setzten sich erst später von Italien aus durch.
In Deutschland war die »Peinliche Gerichtsordnung« Karls V. (Carolina, 1532) das erste, altdeutsche und italienische Rechtsgedanken verschmelzende Reichsstrafgesetzbuch, das den Strafprozess und das materielle Strafrecht zu einem einheitlichen System verarbeitete. In der Folgezeit setzten sich die Gerichte mehr oder weniger über die klaren Tatbestandsformulierungen der Carolina hinweg. Die Aufklärung forderte dagegen wieder feste Tatbestände, eine strenge Bindung des Richters an das Gesetz und Verhältnismäßigkeit zwischen Verbrechen und Strafe. Das harte Strafensystem der Carolina wurde seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gemildert; es entstand die Freiheitsstrafe in Werk- und Zuchthäusern (in Amsterdam schon 1596; allgemein seit 1700). Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Carolina durch partikulare Strafgesetzbücher der deutschen Territorien ersetzt. Der Grundsatz nulla poena sine lege (»keine Strafe ohne Gesetz«) fand allgemeine Anerkennung. Das 19. Jahrhundert brachte diese Entwicklung zum Abschluss. Begründer der modernen deutschen Strafrechtswissenschaft war P. J. A. Feuerbach, der zugleich Schöpfer des vorbildlichen bayerischen StGB von 1813 war. Das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. 5. 1871 schuf ein für das ganze Reichsgebiet einheitliches Strafrecht; es spiegelt in seinem Inhalt den Geist des liberalen Bürgertums des 19. Jahrhunderts wider und ist in seinem Besonderen Teil heute noch trotz zahlreicher Änderungen und Ergänzungen in Kraft. Die Reformbestrebungen unter Führung F. von Liszts forderten die Ersetzung des auf dem Grundsatz der Tatvergeltung beruhenden Strafrechts durch eine an der Persönlichkeit des Täters orientierte und auf den Erziehungs- und Sicherungszweck abgestellte Strafgesetzgebung. Ihr wichtigstes Ergebnis war die Ergänzung der Strafen durch ein System von Maßregeln der Besserung und Sicherung (besonders durch die Jugendgerichtsgesetze von 1923, 1943 und 1953 sowie durch das Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933). Im nationalsozialistischen Deutschland wurde die durch Rechtssicherheit geprägte Rechtsstaatlichkeit im Strafrecht durch eine legalistische politische Einflussnahme aufgehoben.
Nach Wiederherstellung der rechtsstaatlichen Grundsätze des Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland wurden 1954 die Vorarbeiten für die Schaffung eines neuen StGB wieder aufgenommen.
Nach Abschluss der Beratungen der vom Bundesjustizminister einberufenen »Großen Strafrechtskommission« legte die Bundesregierung 1962 einen vollständigen Entwurf für ein neues StGB vor. Dieser Entwurf (»E 1962«) stieß in Wissenschaft und Öffentlichkeit auf zunehmende Kritik, da er v. a. an veralteten Strafvorschriften (z. B. im politischen und im Sexualstrafrecht) festhalte und den Strafzweck der Resozialisierung zu wenig berücksichtige. Ihren einflussreichsten Ausdruck fand die Kritik in dem seit 1966 von Strafrechtswissenschaftlern veröffentlichten Alternativentwurf eines StGB, der ein modernes Resozialisierungsstrafrecht entwarf und die Einschränkung der immer weiter ausgedehnten Strafbarkeit forderte. Die von der Bundesregierung 1969 verabschiedeten beiden Gesetze zur Reform des Strafrechts (1. und 2. Strafrechtsreformgesetz) stellen sich inhaltlich als ein Kompromiss zwischen beiden Entwürfen dar; der Alternativentwurf setzte sich jedoch bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen überwiegend durch. Das 2. Strafrechtsreformgesetz schuf einen vollständig neuen Allgemeinen Teil des StGB (seit 1. 1. 1975 in Kraft; die wichtigsten Reformen dieser Neuregelung wurden schon durch das 1. Strafrechtsreformgesetz 1969-70 vorweggenommen). Grundlegend war v. a. die Änderung des Sanktionensystems: Die verschiedenen Formen der Freiheitsstrafe sind durch die Einheitsstrafe ersetzt (Abschaffung der Zuchthausstrafe); die Freiheitsstrafe unter sechs Monaten darf nur noch ausnahmsweise verhängt werden, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist (§ 47 StGB); die Möglichkeiten für eine Strafaussetzung zur Bewährung und eine bedingte Entlassung wurden erweitert; die Geldstrafe wurde auf das Tagesbußensystem umgestellt, das es gestattet, die Geldbuße nach Tagessätzen zu verhängen und dadurch den Vermögensverhältnissen des Täters anzupassen; ferner wurden Führungsaufsicht und Verwarnung mit Strafvorbehalt eingeführt.
Daneben wurden nach 1945 auch der Besondere Teil des StGB und andere strafrechtlichen Materien in vielen Bereichen reformiert. Das 2. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. 11. 1964 regelte die Verkehrsgefährdungsdelikte (§§ 315 ff. StGB) neu, die Höchstgrenze der Strafdrohung für Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) wurde auf ein Jahr Freiheitsstrafe heraufgesetzt; heimliche Tonbandaufnahmen wurden durch Gesetz vom 22. 12. 1967 erstmals unter Strafe gestellt (§ 201 StGB); zahlreiche Übertretungen des Nebenstrafrechts (v. a. des Straßenverkehrsrechts) wurden durch Gesetz vom 24. 5. 1968 in nichtkriminelle Ordnungswidrigkeiten umgewandelt, die nur mit Geldbuße geahndet und nicht ins Strafregister eingetragen werden; das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. 6. 1968 liberalisierte das politische Strafrecht durchgreifend und führte neue Vorschriften über den Friedensverrat (§§ 80, 80 a StGB) ein, die eine Vorbereitung von Angriffskriegen und die Aufreizung dazu unter schwere Strafe stellen; durch Gesetz vom 15. 8. 1969 wurde die Möglichkeit geschaffen, bei Triebtätern über 25 Jahren mit deren Einwilligung eine Kastration durchzuführen; das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25. 6. 1969 hob u. a. die Strafbarkeit des Ehebruchs und der einfachen Homosexualität auf. Das 4. Strafrechtsreformgesetz vom 23. 11. 1973 reformierte das Sexualstrafrecht und schränkte die früheren Sittlichkeitsdelikte im Wesentlichen auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (so die neue Überschrift des 13. Abschnitts im Besonderen Teil, §§ 174 ff.) ein.
Das 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. 7. 1976 erließ Strafvorschriften gegen Subventions- und Kreditbetrug (§§ 264, 265 b StGB) und regelte die Konkursdelikte und den Wucher neu (§§ 283 ff. StGB, 302 a StGB alter Fassung, jetzt § 291). Ein Änderungsgesetz vom 18. 8. 1976 schuf eine besondere Strafvorschrift gegen die Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129 a). Das 16. Strafrechtsänderungsgesetz vom 16. 7. 1979 setzte die Unverjährbarkeit des Mordes fest. Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 28. 3. 1980 führte einen neuen 28. Abschnitt »Straftaten gegen die Umwelt« in das StGB ein (§§ 324-330 d, jetzt 29. Abschnitt). Das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. 5. 1986 erließ neue Vorschriften zum Schutz des Scheckverkehrs (§§ 152 a, 266 b StGB) und im Bereich der Computerkriminalität (§§ 202 a, 263 a, 269, 270, 303 a, b StGB) und schuf die neuen Tatbestände des Kapitalanlagebetrugs (§ 264 a StGB) und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB).
Ein Gesetz vom 9. 6. 1989 brachte im Zusammenhang mit der Einführung der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten eine Strafschärfung für erpresserischen Menschenraub und Geiselnahme (§§ 239 a, b). Durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels u. a. Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität vom 15. 7. 1992 wurden die Tatbestände des schweren Bandendiebstahls (§ 244 a StGB), der Bandenhehlerei (§ 260 StGB) und der Geldwäsche (§ 261) neu geschaffen und die Vermögensstrafe (§ 43 a StGB) sowie der erweiterte Verfall (§ 73 d) eingeführt. Das 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. 7. 1993 hat zur Eindämmung des Kindersextourismus die Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 StGB auf Auslandstaten von Deutschen unabhängig vom Recht des Tatorts und der Staatsangehörigkeit des Opfers erweitert (§ 5 Nummer 8 StGB). Ferner führte das 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. 5. 1994 durch Aufhebung des § 175 StGB zur Abschaffung der besonderen Strafbarkeit homosexueller Handlungen und schuf durch Neufassung des § 182 StGB einen einheitlichen Schutz für 14- und 15-jährige Jugendliche beider Geschlechter gegen sexuelle Handlungen. Das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. 1. 1998 brachte weitere, umfassende Änderungen des StGB u. a. Rechtsvorschriften. Im Vordergrund stand die Neuordnung des Strafrahmensystems unter Aufwertung persönlicher Rechtsgüter (z. B. Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung) gegenüber materiellen Rechtsgütern (z. B. Eigentum, Vermögen). Kindesentziehung (§ 235) wurde neu gefasst (jetzt Entziehung Minderjähriger) und der Straftatbestand des Kinderhandels (§ 236) in das StGB eingefügt. Aufgehoben wurden v. a. Auswanderungsbetrug (§ 144), Kindestötung (§ 217), Entführung mit dem Willen der Entführten (§ 236). Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. 1. 1998 soll einen verbesserten Schutz der Bevölkerung vor Rückfalltaten bei Sexual- und anderen gefährlichen Delikten ermöglichen. Es enthält Änderungen u. a. bei der Strafaussetzung zur Bewährung, der Sicherungsverwahrung, der Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt.
Das StGB ist aufgrund des Einigungsvertrags am 3. 10. 1990 auch in den neuen Ländern in Kraft getreten. Ausnahmen, die der Einigungsvertrag vorsah (interlokales Strafrecht), haben sich durch die Entwicklung der Gesetzgebung nach dem 3. 10. 1990 fast vollständig erledigt. Insbesondere wurden die Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs nach erbittertem Meinungskampf durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz vom 21. 8. 1995 vereinheitlicht. Dagegen gelten für die strafrechtliche Behandlung von DDR-Alttaten, d. h. der vor dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. 10. 1990 auf dem Gebiet der DDR begangenen Taten, die Regeln des intertemporalen Strafrechts. Aus Art. 315 Absatz1 Einführungsgesetz zum StGB in Verbindung mit § 2 Absatz 3 StGB ergibt sich insoweit, dass auf solche Alttaten grundsätzlich das zur Tatzeit geltende Recht der DDR anzuwenden ist, sofern nicht das Strafrecht der Bundesrepublik eine mildere Beurteilung zulässt.
Das österreichische StGB ist in seiner heutigen Gestalt aus der Großen Strafrechtsreform 1974 hervorgegangen und am 1. 1. 1975 in Kraft getreten. Es liegt auf der Linie einer gemäßigt modernen Reformgesetzgebung und kennt, wie das deutsche StGB, neben der Geldstrafe nur noch eine einheitliche Freiheitsstrafe.
In der Schweiz haben verschiedene Teilrevisionen v. a. die Ausgestaltung der Strafen und Maßregeln reformiert, neuerdings auch im Besonderen Teil neue Tatbestände (z. B. »Insidermissbrauch«, Art. 161; Geldwäscherei; Computerdelikte) geschaffen.
Hans Schultz: Einf. in den Allgemeinen Tl. des S., 2 Bde. (Bern 41982);
O. Triffterer: Österr. S., Allgemeiner Tl. (Wien 1985);
R. Maurach: S. Allgemeiner Tl., 2 Bde. (7-81989-92);
R. Maurach: S. Besonderer Tl., 2 Bde. (7-81991-95);
G. Stratenwerth: Schweizer. S., 4 Bde. (Bern 1-51989-96);
G. Jakobs: S., Allgemeiner Tl. (21991);
D. Kienapfel: Grundr. des österr. S., Besonderer Tl., 2 Bde. (Wien 3-41993—97);
D. Kienapfel: Grundr. des österr. S., Allgemeiner Tl. (ebd. 61996);
C. Roxin: S. Allgemeiner Tl., auf 2 Bde. ber. (1997 ff.);
J. Wessels: S., Allgemeiner Teil (271997);
J. Wessels: S., Besonderer Tl., 2 Bde. (20-211997).
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Straf|recht, das: Gesamtheit der Rechtsnormen, die bestimmte, für das gesellschaftliche Zusammenleben als schädlich angesehene Handlungen unter Strafe stellen u. die Höhe der jeweiligen Strafe bestimmen.
Universal-Lexikon. 2012.