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Chemienobelpreis 1961: Melvin Calvin
Chemienobelpreis 1961: Melvin Calvin
 
Der amerikanische Chemiker erhielt den Nobelpreis für Chemie für »seine Forschungen über die Assimilation des Kohlendioxids bei Pflanzen«.
 
 Biografie
 
Melvin Calvin, * St. Paul (Minnesota) 8. 4. 1911, ✝ Berkeley (Kalifornien) 8. 1. 1997; 1935 Promotion an der University of Minnesota, ab 1937 Dozent an der University of California (Berkeley), ab 1946 Direktor der chemischen Abteilung des Lawrence Radiation Laboratory, ab 1947 gleichzeitig Professor an der University of California.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die im Verlauf eines Jahres sichtbaren Veränderungen der Pflanzen prägen unsere unmittelbare Anschauung unserer Umwelt. Melvin Calvin erhielt den Nobelpreis für Chemie 1961 für ein Erklärungsmodell und für praktische Arbeiten über wesentliche Teilprozesse der biochemischen Vorgänge des Pflanzenwachstums. In der Zusammenfassung aller Ergebnisse gelang es Calvin, einen Photosynthesezyklus vorzuschlagen, diesen mit weiteren biosynthetischen Reaktionen zu verknüpfen und so die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie zu erklären.
 
 Wie und woraus entsteht eine Pflanze?
 
Theorie und Praxis von Calvins Arbeiten ging eine lange Vorgeschichte voraus. Die treibenden Kräfte für Fortpflanzung und Wachstum der Pflanzen interessierten die Menschen von alters her. Der niederländische Arzt Jan Baptiste van Helmont führte im 17. Jahrhundert ein Experiment durch: Er wog eine junge Weide (etwa 2,5 kg) und die Erde (etwa 91 kg), in die er sie einpflanzte. Anschließend beobachtete er über fünf Jahre das Wachstum des eingetopften Baumes. Danach war die Weide um 75 kg schwerer, die Erde um etwa 57 g leichter, woraus van Helmont schloss, dass das zugegebene Wasser für das Wachstum verantwortlich war. Die wissenschaftlichen Vorstellungen über die Herkunft der benötigten Stoffe entwickelten sich, betrachtet mit Bezug auf Calvins Arbeiten, ausgehend von diesem Experiment.
 
Nach intensiven Forschungen waren bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wesentlichen Reaktionsbestandteile und Parameter der Photosynthese in der Summe, aber noch nicht in ihren einzelnen Schritten bekannt: Unter dem Einfluss von Licht werden durch Chlorophyll Kohlendioxid und Wasser in Sauerstoff und in Zuckerverbindungen, im weiteren Reaktionsverlauf die Zuckerverbindungen in Stärke umgewandelt. Verbunden ist mit dieser chemischen Reaktion die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie. Als Speicher für diese chemische Energie dienen die höhermolekularen, in der Pflanze aufgebauten Verbindungen. Als Abfallprodukt der Reaktion entsteht Sauerstoff, den die Pflanze als Abgas entsorgt. Dieser Stoff wiederum ist für Lebensprozesse bei Menschen und Tieren notwendig.
 
Robert Hill gelang 1937 der Nachweis, dass die Umwandlung der aufgenommenen Lichtenergie in chemische Energie, die damit gleichzeitig verbundene Entstehung molekularen Sauerstoffs und die Aufnahme und chemische Umwandlung des Kohlendioxids (CO2) getrennt verlaufen. Diese Umwandlung des CO2 in Zucker und Stärke verläuft in einem ersten Schritt einer langen Kette in einer Dunkelreaktion und wird durch relativ energiereiche chemische Verbindungen ausgelöst. Diese wiederum wandeln sich in energieärmere Verbindungen um, werden dann aber über einen ebenfalls komplizierten und langen Weg regeneriert. Mittels der verschiedenen chemischen Reaktionen leisten die Pflanzen damit einen wesentlichen Beitrag zum Energiedurchsatz in den verschiedenen Lebensprozessen.
 
Als Calvin den Nobelpreis für seine Experimente und für sein Modell erhielt, um die »Assimilation des Kohlendioxids in Pflanzen« und die damit zusammenhängenden Fragen zu erklären, war durch die Forschungen vor allem von Otto Meyerhof (Nobelpreis für Medizin 1922) und Hans Adolf Krebs (Nobelpreis für Medizin 1953) der umgekehrte Prozess bekannt: der als »Verbrennung« charakterisierte Abbau von Kohlenhydraten zu Wasser und CO2 im tierischen Organismus. Experimentell konnte Calvin auf die Methode der Markierung einzelner Atome durch radioaktive Isotope zurückgreifen.
 
Im Speziellen benutzte Calvin das 1940 durch Samuel Ruben und Martin Kamen entdeckte Kohlenstoffisotop 14C. Große Mengen des 14C-Kohlenstoffisotops standen Calvin als Nebenprodukt aus dem amerikanischen Programm zum Bau der Atombombe zur Verfügung. Seine Experimente führte er zur Hauptsache an der einzelligen Grünalge Chlorella durch, gleichwohl überprüfte er seine Ergebnisse auch an anderen Pflanzen. Um die einzelnen Schritte der Reaktionsfolge zu erkennen, variierte er die Zeitspanne, in welcher sich das aufgenommene CO2 im untersuchten Organismus verteilen konnte.
 
Herkömmliche Methoden der analytischen organischen Chemie waren für Calvins Problemstellung nur noch bedingt und in Teilbereichen geeignet, da die Menge des zur Verfügung stehenden Untersuchungsmaterials sehr gering und die zu analysierenden Verbindungen chemisch sehr ähnlich waren. Zudem war eine Unterscheidung zwischen den biochemisch umgesetzten Molekülen und Molekülbruchstücken und den Substanzen, die diese Reaktionen steuerten, auf dem Weg der ausschließlichen chemischen Analyse nicht möglich. Calvin setzte daher neben der 14C-Markierung weitere neue Instrumentarien und Methoden wie Ionenaustauschersäulen und Verteilungschromatographie ein, deren Handhabung ihm aus seiner Mitarbeit am amerikanischen Atombombenprojekt vertraut war. So gelang es ihm, das zu untersuchende Chemikaliengemisch in einzelne Verbindungen aufzuteilen. Die Chemikalien wandern dabei unterschiedlich schnell über ein Chromatographiepapier oder durch eine Säule und setzen sich an unterschiedlichen Stellen fest. Die Lage der radioaktiv markierten Verbindungen auf dem Chromatographiepapier stellte Calvin fest, indem er einen fotografischen Film einsetzte. Aufgrund der abgegebenen Strahlung wurde der Film an den entsprechenden Stellen geschwärzt. Um jene chemischen Verbindungen zu identifizieren, benötigten Calvin und seine Arbeitsgruppe weitere zehn Jahre.
 
 Grundlage für Studien zur Landwirtschaft
 
Für wissenschaftliche Arbeiten mit dem Ziel, die Erträge landwirtschaftlicher Nutzpflanzen wie Mais, Zuckerrüben und den Hauptgetreidearten zu steigern, ist der Photosynthesezyklus Calvins die theoretische Grundlage. So war es möglich, einen theoretischen Wert für die Effektivität der Umwandlung von Sonnenenergie in chemische Energie durch den Prozess der Photosynthese zu ermitteln (34 %). Dabei ergibt sich, dass global und im Jahresdurchschnitt betrachtet die Pflanzen nur einen Bruchteil der verfügbaren Energie umwandeln (0,25 %). Selbst bei einer optimierten Pflanzenproduktion entspricht diese Leistung nur etwa einem Drittel des theoretisch möglichen Wertes (etwa 10 %). Gleichwohl sind erhebliche praxisrelevante Fortschritte ungeachtet jahrzehntelanger Forschung hier noch nicht zu verzeichnen.
 
N. Fuchsloch

Universal-Lexikon. 2012.