Calvin
Am 10. Juli 1509 wurde Jean Cauvin, der später dem Brauch der Humanisten gemäß die lateinische Namensform Johannes Calvinus wählte, in Noyon (Picardie) geboren. Er studierte die Rechte und widmete sich dann humanistischen Studien, die ihn auch mit reformatorischen Gedanken in Berührung brachten. Seine Entwicklung zum aktiven Bekenner des evangelischen Glaubens war jedoch ein langer Prozess. Ende 1533 floh er wegen einer der Ketzerei verdächtigten Rede seines Freundes aus Paris, denn in Frankreich wurden die Protestanten streng verfolgt. Bereits 1535 verfasste er in Basel sein später immer wieder überarbeitetes theologisches Hauptwerk »Institutio Christianae Religionis«, eine Zusammenfassung der evangelischen Lehre und zugleich eine Verteidigung seiner evangelisch gesinnten Landsleute.
Entscheidend für sein ganzes weiteres Leben wurde ein Aufenthalt in Genf 1536, wo ihn der dort wirkende Reformator Guillaume Farel bat, zu bleiben und ein kirchliches Amt zu übernehmen. Calvin fügte sich widerstrebend, aber in dem Bewusstsein, zum Werkzeug Gottes berufen zu sein. In kurzer Zeit begann er mit der reformatorischen Durchgestaltung des ganzen öffentlichen und privaten Lebens der Stadt. Sein Plan, alle Bürger auf den in seinem Genfer Katechismus formulierten Glauben zu vereidigen, traf allerdings auf massiven Widerstand. 1538 wurde Calvin (ebenso Farel) aus Genf verbannt, jedoch nach drei Jahren zurückgerufen. Nun setzte er seine Kirchenordnung, die »Ordonnances ecclésiastiques«, durch, die mit den vier Ämtern der Prediger, Lehrer, Ältesten (meist Ratsherren) und Diakone eine enge Verbindung von Kirchenleitung und Stadtregierung schuf. Das aus Ältesten und Pfarrern zusammengesetzte Konsistorium hatte den Lebenswandel aller Gemeindeglieder zu überwachen. Die strenge Lehr- und Kirchenzucht wurde mit eiserner Härte und ohne Ansehen der Person verwirklicht. Das verwickelte Calvin in zahlreiche Prozesse, als deren Höhepunkt die Ketzerverbrennung des mit Calvin bekannten Michel Servet, eines Gegners der Trinitätslehre, 1553 in Genf gilt.
Calvins unerbittliche Strenge ist nur von seiner Überzeugung her zu verstehen, dass der Ehre Gottes unter allen Umständen Geltung verschafft werden müsse. Dieser Grundzug prägte seine ganze Theologie. Damit hängt auch seine Prädestinationslehre zusammen, das heißt die Auffassung, dass Gott die Menschen nach seinem souveränen, unerforschlichen Ratschluss zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis bestimmt habe. Diese Lehre wurde von den deutschen Lutheranern nicht geteilt. Der Streitpunkt, an dem es schließlich zum Bruch zwischen den beiden Richtungen kam, war allerdings die Abendmahlslehre, in der sich Calvin den Zwinglianern angenähert hatte (siehe auch Zwingli). Die tief gehende Entfremdung führte dazu, dass die Anhänger Calvins im Augsburger Religionsfrieden nicht anerkannt wurden. Außerhalb Deutschlands jedoch beeinflusste Calvin den Protestantismus entscheidend. Weit über seinen Tod (am 27. Mai 1564) hinaus gab seine Lehre dem Widerstand der französischen Hugenotten und der protestantischen Niederländer gegen ihre Unterdrückung Rückhalt.
Calvin,
1) Johannes, eigentlich Jean Cauvin [ko'vɛ̃], französisch-schweizerischer Reformator, * Noyon 10. 7. 1509, ✝ Genf 27. 5. 1564; bekannte sich nach dem Studium der Rechte zur Reformation und musste deshalb 1533 aus Paris fliehen, wo er 1532 Lizenziat der Rechte geworden war. 1535 ließ er sich zunächst in Basel nieder, wo er sein 1536 veröffentlichtes Hauptwerk, die »Christianae Religionis Institutio« (»Unterricht in der christlichen Religion«), vollendete. Auf einer Durchreise in Genf 1536 gewann G. Farel ihn für die Arbeit am Aufbau der Genfer Kirche. Er wurde aber 1538 nach seinem Versuch, eine strenge Kirchenzucht einzuführen, mit Farel vom Rat der Stadt ausgewiesen. Bevor Calvin sich zur Durchsetzung seines Reformwerkes 1541 endgültig in Genf niederließ, wurde er von M. Bucer zur Betreuung der französischen Flüchtlingsgemeinden in Straßburg gewonnen, dessen Bürgerrecht er 1540 erwarb. Während dieser Zeit konnte Calvin seine schriftstellerische Tätigkeit fortsetzen (2. Ausgabe der »Institutio«, 1539; Kommentar zum Römerbrief, 1540). Durch die Teilnahme an mehreren Religionsgesprächen lernte er die deutsche Reformation und ihre führenden Theologen kennen. 1541 nach Genf zurückgerufen, legte er dem Rat der Stadt eine auf strenge Gemeindezucht angelegte Kirchenordnung, die »Ordonnances ecclésiastiques«, zur Beschlussfassung vor; sie wurde vom Rat angenommen und in den folgenden Jahren konsequent durchgeführt. Daneben gewann Calvins 1542 entstandener »Genfer Katechismus« für die religiöse Erziehung der Gemeinde große Bedeutung. Der heftige Kampf zwischen Anhängern und Gegnern Calvins endete erst 1555 zugunsten der neuen Lehre nach zahlreichen Verbannungen und Hinrichtungen. Aufgezeichnet in der »Institutio«, entwickelte sie v. a. den Gedanken der Prädestination, der jedoch nicht zur Passivität führt, sondern zur rastlosen Tätigkeit treibt: Aus dem Erfolg des Menschen könne auf seine Erwählung geschlossen werden. Calvin vermittelte in der Abendmahlslehre zwischen M. Luther und U. Zwingli. Über Genf hinaus hat Calvin an der Durchsetzung der Reformation in ganz Europa mitgewirkt, besonders durch seinen ausgedehnten Briefwechsel. Diesem Ziel diente auch die von ihm 1559 gegründete Genfer Akademie, die den Führern des reformierten Protestantismus das Rüstzeug für dessen dauerhafte Befestigung vermittelte.
Für den von Calvin beeinflussten Protestantismus (Kalvinismus) wurde Genf für die nun überall in Europa entstehende reformierte Kirche zum Beispiel eines nach der göttlichen Offenbarung gestalteten Gemeinwesens. In der Folge beeinflusste der Kalvinismus wesentlich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Westeuropa und Nordamerika.
Ausgaben: Opera selecta, herausgegeben von P. Barth und W. Niesel, 5 Bände (1-31926-74, teilweise Nachdruck); Supplementa Calviniana. Sermons inédits, herausgegeben von E. Mülhaupt u. a., auf mehrere Bände berechnet (1961 folgende); J. Calvins Lebenswerk in seinen Briefen, übersetzt von R. Schwarz, 3 Bände (21961-62); Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae religionis, bearbeitet von O. Weber (51988); Calvin-Studienausgabe, herausgegeben von E. Busch u. a., auf mehrere Bände berechnet (1994 folgende).
K. Reuter: Vom Scholaren bis zum jungen Reformator. Studien zum Werdegang J. C.s (1981);
M. de Kroon: Martin Bucer u. J. C. Reformator. Perspektiven (a. d. Niederländ., (1991).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Calvins Genfer Reformation: Erwählte und Verdammte
Zwingli und Calvin
2) ['kælvɪn], Melvin, amerikanischer Chemiker, * Saint Paul (Minnesota) 8. 4. 1911, ✝ Berkeley (Calif.) 8. 1. 1997; Prof. an der University of California in Berkeley. Calvin untersuchte den chemischen Verlauf der Photosynthese; er fand dabei zahlreiche Zwischenprodukte, identifizierte das Primärprodukt der Kohlendioxidfixierung als Ribulose-1,5-diphosphat und klärte den Regenerationsmechanismus des Kohlendioxidakzeptors auf (Calvin-Zyklus). Er erhielt 1961 den Nobelpreis für Chemie.
Universal-Lexikon. 2012.